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G8 vs. G9: Schadet das Turbo-Abi der Intelligenz?

Dümmer durch G8? Je länger Kinder und Jugendliche zur Schule gehen, desto besser für ihre Intelligenz. Auf diesen Zusammenhang deuten Studien mit G8- und G9-Schülern hin. Kurz nach dem Übergang in die Oberstufe schneiden die G9-beschulten Jugendlichen in Intelligenztests demnach in fast allen Bereichen besser ab als ihre Mitschüler, die das Turbo-Abi absolvieren. Das eine Jahr mehr Schulzeit scheine für Fähigkeiten wie abstraktes Denken einen deutlichen Unterschied zu machen - und zwar unabhängig vom Lehrplan oder dem Alter der Schüler, sagen die Forscher.
Deutsche Gesellschaft für Psychologie / DAL, 16.10.2017

Studien zeigen, dass sich jedes zusätzliche Jahr Beschulung positiv auf das Abschneiden in Intelligenztests auswirkt.

thinkstock.com, Wavebreakmedia Ltd

Für den gleichen Abschluss ein Jahr weniger die Schulbank drücken: So lautete die Devise der G8-Reform kurz nach der Jahrtausendwende. Nach und nach wurde die Gymnasialzeit dabei in fast allen Bundesländern in Deutschland um ein Jahr verkürzt. Das Abitur sollten Schüler nun nach acht Jahren auf dem Gymnasium ablegen – anstatt, wie zuvor in den meisten Ländern üblich, nach neun Jahren.

Durch die Umstellung sollte die Wirtschaft schneller mit Hochschulabsolventen versorgt werden. Außerdem sollten Schüler die Möglichkeit erhalten, jünger in den Arbeitsmarkt einzusteigen und damit auch im internationalen Wettbewerb bessere Chancen haben. Doch das achtjährige Gymnasium wurde schnell unpopulär, als Turbo-Abi verschrien und zum Stresstest für Schüler erklärt. Kritiker befürchteten: G8 überfordere die Schüler, raube ihnen ihre Kindheit und die nötige Zeit für geistige Reifeprozesse. Doch was ist dran an diesem Vorurteil?

Wer ist intelligenter?

Tatsächlich zeigen Studien, dass sich jedes zusätzliche Jahr Beschulung positiv auf das Abschneiden in Intelligenztests auswirkt. Doch ist dieser Effekt tatsächlich auf eine "echte" Intelligenzsteigerung zurückzuführen oder helfen den Schülern lediglich ihr höheres Alter und die in der Schule vermittelten Fähigkeiten dabei, solche Tests zu bearbeiten – etwa, weil sie schon besser lesen können oder mehr Faktenwissen haben als jüngere Kinder?

Sebastian Bergold von der Technischen Universität Dortmund und seine Kollegen haben das nun im Rahmen von zwei Studien untersucht und dabei die Intelligenzwerte von G8- und G9-beschulten Jugendlichen im Alter von 15 und 16 Jahren verglichen. Zum Zeitpunkt der Untersuchungen waren die Schüler gerade in die Oberstufe gekommen. Die G8-Schüler befanden sich somit in der zehnten, die G9-Schüler in der elften Jahrgangsstufe.

Im Auftrag der Wissenschaftler bearbeiteten insgesamt 244 G8-Schüler und 204-G9 Schüler aus Nordrhein-Westfalen den Intelligenz-Struktur-Test 2000 R. Dieser Test gilt als seriöser IQ-Test und überprüft Fähigkeiten aus unterschiedlichen Kategorien. Faktenwissen wird dabei in der Regel nicht abgefragt.

G9-Schüler liegen vorn

Die Ergebnisse scheinen deutlich: Bei beiden Studien schnitten die G9-Schüler in nahezu allen getesteten Bereichen besser ab als die G8-Schüler. Diese Differenzen zeigten sich auch dann, wenn die Forscher den Alterseffekt statistisch herausrechneten. "Die Unterschiede können also nicht vollständig durch das jüngere Alter der G8-Schüler erklärt werden", sagt Bergolds Kollegin Linda Wirthwein.

Die Auswertung der Testergebnisse deute vielmehr daraufhin, dass die Dauer der Beschulung mit einer Steigerung intelligenznaher Fähigkeiten – also einer "echten" Steigerung der Intelligenz – einhergeht. Wie genau die längere Beschulung Fähigkeiten wie logisches Schlussfolgern oder das Kurzzeitgedächtnis fördert, lässt sich aus den Daten selbst zwar nicht schlussfolgern. Es gibt jedoch Vermutungen darüber.

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