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John Maxwell Coetzee

John Maxwell Coetzee stelle „in zahlreichen Verkleidungen die überrumpelnde Teilhabe des Außenseitertums“ dar – so lautete 2003 das Urteil des Nobelpreiskommitees, das den südafrikanischen Schriftsteller 2003 mit dem Nobelpreis für Literatur auszeichnete.

J.M. Coetzees Romane zeichnen sich durch verschlagene Komposition, verdichteten Dialog und analytische Brillanz aus. Aber er ist gleichzeitig ein gewissenhafter Zweifler, schonungslos in seiner Kritik der grausamen Vernunft und der kosmetischen Moral der westlichen Zivilisation. Seine intellektuelle Ehrlichkeit zersetzt alle Grundlagen des Trostes und distanziert sich vom billigen Theater der Reue und des Bekenntnisses. Auch wenn seine eigene Überzeugung durchscheint wie in der Verteidigung der Rechte der Tiere, so erhellt er eher die Voraussetzungen dieser Überzeugung, als dass er für sie argumentiert.

Coetzee ist vor allem an Situationen interessiert, in denen sich die Unterscheidung von richtig und falsch als unbrauchbar erweist, obwohl sie kristallklar ist. Wie der Mann in einem bekannten Gemälde Magrittes, der seinen Nacken im Spiegel sieht, stehen Coetzees Gestalten in den entscheidenden Augenblicken unbeweglich hinter sich selbst, unfähig in ihren Handlungen anwesend zu sein. Aber die Passivität ist nicht nur der dunkle Dunst, der die Persönlichkeit verschluckt, sie ist auch das äußerste Mittel, das der Mensch hat, der einer unterdrückenden Ordnung trotzen will, indem er sich vor ihren Absichten unerreichbar macht. Indem er Schwäche und Niederlage erforscht, fängt Coetzee den göttlichen Funken des Menschen.

 

Das Debut

Der Debütroman Dusklands war die erste Probe eines Einfühlungsvermögens, mit dessen Hilfe Coetzee immer wieder unter die Haut des Fremden und Abstoßenden kriecht. Ein Mann, der während des Vietnam-Krieges für die amerikanische Verwaltung arbeitet, träumt davon, ein unüberwindbares System der psychologischen Kriegführung zu gestalten, während sein Privatleben in Trümmer zerfällt. Seine Überlegungen werden mit einem Bericht über eine Entdeckungsreise ins Land der schwarzen Eingeborenen zusammengestellt, der angeblich von einem Buren während der Pionier-Zeit im 18. Jahrhundert aufgezeichnet wurde. Zwei Arten von Menschenverachtung, die eine intellektuell und größenwahnsinnig, die andere vital und barbarisch, spiegeln sich ineinander.

 

Im Herzen des Landes

Das folgende Buch, Im Herzen des Landes, trägt Züge der Schilderung einer Psychose. Eine vergrämte Haustochter betrachtet mit Unwillen die Liebesbeziehung ihres Vaters mit einer jungen Farbigen. In ihrer Phantasie ermordet sie die beiden, aber allem Anschein nach entscheidet sie sich lieber dafür, sich in einen perversen Pakt mit dem Diener des Hauses einzuschließen. Der eigentliche Ablauf des Geschehens ist nicht festzustellen, da die einzige Quelle des Lesers ihre Aufzeichnungen sind, in denen Lüge und Wahrheit, Rohheit und Verfeinerung launenhaft von Zeile zu Zeile wechseln. Die prunkende Edwardianische Kunstprosa des Monologs der Frau harmoniert auf seltsame Weise mit der umgebenden afrikanischen Landschaft.

 

Dichter der Einsamkeit

Warten auf die Barbaren ist ein politischer Thriller in der Tradition Joseph Conrads, in dem die Vertrauensseligkeit des Idealisten das Tor zum Grauen öffnet. Der spielerische Metaroman Mr. Cruso, Mrs. Barton und Mr. Foe berichtet eine Lügengeschichte über die Unvereinbarkeit und Unzertrennlichkeit der Literatur und des Lebens, die von der Frau vorgetragen wird, die Teil einer großen Erzählung werden will, wo eigentlich nur eine kleine vorhanden ist. Mit dem Roman Leben und Zeit des Michael K, der seine Wurzeln sowohl bei Defoe als auch bei Kafka und Beckett hat, wird der Eindruck, Coetzee sei ein Dichter der Einsamkeit, verdeutlicht. Der Roman behandelt die Flucht eines unbedeutenden Mitbürgers vor wachsender Unordnung und heranziehendem Krieg in einen Zustand von Bedürfnislosigkeit und Stummheit, der die Logik der Macht außer Kraft setzt.

Der Meister von Petersburg paraphrasiert Dostojewskis Leben und Romanwelt. In seinem Herzen von der Welt wegzusterben - die Versuchung, der sich Coetzees erdichtete Gestalten gegenübersehen - stellt sich als das Prinzip der gewissenlosen Freiheit des Terrorismus heraus. Das Ringen des Verfassers mit dem Problem des Bösen bekommt hier einen Zug von Dämonologie, der in seinem jüngsten Buch Elizabeth Costello wiederkehrt.

 

Schande – Booker Preis zum Zweiten für Coetzee

In Schande engagiert sich Coetzee für den Kampf eines entehrten Universitätslehrers um seine Ehre und die Ehre seiner Tochter unter den neuen Gegebenheiten, die in Südafrika nach dem Fall der weißen Herrschaft entstanden sind. Der Roman berührt eine zentrale Frage seiner schriftstellerischen Arbeit: Ist es möglich, der Geschichte zu entgehen?

Der Junge. Eine afrikanische Kindheit kreist vor autobiographischem Hintergrund vor allem um die Erniedrigung des Vaters und die Gespaltenheit, die sie beim Sohn hinterlässt, aber das Buch vermittelt auch eine magische Anwesenheit in einem altmodischen südafrikanischen Landleben mit seinen ewigen Konflikten zwischen Burischem und Englischem, zwischen Weiß und Schwarz. In der Fortsetzung Die jungen Jahre seziert der Verfasser sich selbst als jungen Mann mit einer Grausamkeit, die verwunderlich tröstend ist für einen jeden, der sich wiedererkennt.

Der Variationsreichtum in Coetzees Werk ist groß. Er verfertigt nie zwei Bücher nach demselben Rezept. Bei beharrlicher Lektüre tritt als ein sich wiederholendes Muster die Fahrten in einem sich nach unten drehenden Strudel hervor, die er für die Erlösung seiner Gestalten als notwendig erachtet. Seine Helden werden von der Sehnsucht zu sinken übermannt, aber gewinnen paradoxerweise Stärke dadurch, dass sie aller äußeren Würde entkleidet werden.

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