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Kann uns das Erdöl wirklich ausgehen?
Unsere Welt befindet sich derzeit in einer gigantischen Spirale: Immer mehr Menschen bevölkern den Planeten, immer mehr Staaten steigen wirtschaftlich auf, immer mehr Autos fahren durch die Straßen und stoßen immer mehr Abgase aus. Der Mensch formt die ganze Erde um und darunter leidet auch das Klima. Doch wie sieht es aus: Wird uns Mutter Erde wirklich in gar nicht allzu ferner Zukunft den Ölhahn abdrehen oder können wir uns nur selbst dafür entscheiden?
Baldiger Peak Oil?
Erdöl ist ein zutiefst wissenschaftliches Thema. Und die meisten seriösen Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass die Ölvorräte dieses Planeten begrenzt sind. Das ist zwar Fakt, aber schon wenn man versucht, zu erklären, wie lange die Ölvorräte unter welchem Teil der Erde überhaupt noch ausreichen, wird es weit weniger konsistent. Klar ist hier nach dem aktuellen Wissensstand nur, dass es zwar einen Peak Oil gibt, also den Förderhöherpunkt, hinter dem trotz gestiegenem Förderaufwand die aus der Erde gepumpten Mengen absinken. Doch das Problem daran ist, dass dieses Maximum sich in ständiger Fluktuation befindet. Für die USA wurde es einst bereits für 1970 vorausgesagt, als das Land 533,5 Millionen Tonnen aus dem Boden holte.
Doch mit sinkenden Fördermengen stiegen die Preise. Das in Verbindung mit neuen Techniken machte es möglich, viel mehr Aufwand zu betreiben, um an das schwarze Gold zu gelangen. 2015 überschritten die USA dann ihren 1970er Peak mit 565,1 Millionen Tonnen Öl. Und in anderen Ländern sieht es ähnlich aus, sodass man nie mit letzter Sicherheit sagen können wird „ab diesem Punkt kann nur noch weniger kommen“.
Reserven unbekannt
Ein weiteres Erschwernis kommt hinzu, weil alle bisherigen Prognosen über die Gesamtmenge des sich in der Erdkruste befindlichen Öls Schätzungen sind. Zwar seriöse Schätzungen, aber eben nur Vermutungen, die auf den Abmessungen bisheriger Ölfelder, der Fördertiefe und vor allem den aktuell zur Verfügung stehenden Techniken beruhen.
Das bedeutet also, dass die Wissenschaft sowieso nur Prognosen darüber gibt, wie viele Milliarden Barrel Erdöl mit den heutigen Methoden noch gefördert werden können. Was die Zukunft bringt, was noch an Techniken entwickelt wird, darüber lässt sich eben keine wirklich fundierte Aussage treffen und deshalb sind solche theoretischen Prognosen auch nichts für Wissenschaftler, sondern eher Wahrsager.
Und das Erdvolumen?
Natürlich darf man eine feste Größe bei diesem Spiel nicht außeracht lassen, die Abmessungen unserer Erde. Lässt man einfach mal beiseite, dass unser blauer Planet unzählige Erhöhungen und Vertiefungen hat, dass er in der Mitte flüssig und nur den obersten dutzend Kilometern fest ist, dann ergibt sich daraus eine Kugel, die ein Volumen von ungefähr 1,0833· 1012 Kubik-Kilometern hat.
Das bedeutet, selbst wenn man annähme, dass die gesamte Erdkugel gleich eines gigantischen Tanks mit Erdöl gefüllt wäre (was sie natürlich nicht ist) wäre die Menge begrenzt, weil eben der Planet nicht unendlich groß ist. Doch hier kommt das große Aber: Schon die Dicke der Erdkruste, also dem Speichermedium von Öl, unterscheidet sich teils erheblich von Ort zu Ort.
Und weil von den Ozeanen, die immerhin 71% der Erdoberfläche bedecken, lediglich rund fünf Prozent erforscht sind und sich viele Ölquellen unter dem Meeresboden befinden, bleibt eben eine große Dunkelziffer, innerhalb der man einfach nicht feststellen kann, wie viel Öl absolut vorhanden ist. Das ist in etwa so, als wollte man aus einem gigantischen Heuballen eine unbekannte Anzahl an Nadeln herausziehen. Man weiß zwar, dass die absolute Menge begrenzt ist. Aber selbst wenn man sehr viele Nadel gefunden hat, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es wirklich alle waren.
Die dauerhafte Entstehung
Die nächste harte Nuss für die Forscher ist der Entstehungsprozess von Öl. Dazu haben sich im Lauf der Jahrzehnte zwar eine ganze Menge Theorien herauskristallisiert, doch die heute mit Abstand am weitesten verbreitete und seriöseste ist diejenige, nach der Öl über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen und vor allem Plankton entstand. Alle anderen Erklärungsansätze, so logisch sie vielleicht klingen mögen, etwa die sogenannte abiogene Entstehung, werden von der etablierten Wissenschaft eher in den Bereich der Verschwörungstheorien verortet.
Fest steht aber auf jeden Fall, und das völlig ungeachtet aller Entstehungstheorien, dass das Öl, das die Menschheit in etwas über einem Jahrhundert verbrauchte und verbraucht, über einen ungleich längeren Zeitraum entstanden ist. Und hier kommt der nächste Knackpunkt: Der Prozess des Entstehens, also Plankton, das in den Meeren herumschwimmt, abstirbt, absinkt und dort von den Sedimenten bedeckt wird, fand ja nicht nur vor Jahrmillionen statt und endete dann irgendwann. Tatsächlich hat sich seitdem nichts an diesen Prozessen geändert. Auch jetzt, wenn Sie diesen Artikel lesen, läuft er auf unseren Meeren ab.
Allerdings sollte man sich hüten, zu jubeln und vom nachwachsenden Öl zu sprechen. Denn obgleich der Prozess dauernd läuft, dauert er eben wesentlich länger als die Menschheit Bestand hat. Das Plankton, das seit der allerersten Ölbohrung 1859 auf den Meeresboden abgesunken ist, wird erst in mehreren hundert Millionen Jahren zu Erdöl geworden sein. Zum Vergleich: Die ersten Vertreter des modernen Menschen wanderten vor nicht einmal 300.000 Jahren über die Erde.
Künstliches Erdöl?
Schon vor dem Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs begann im chronisch Öl-armen Deutschland die Suche nach einem künstlichen Ersatz. Damals entdeckte man die Möglichkeit, Kohle zu verflüssigen und so Treibstoff zu erzeugen. Aufwendig zwar, aber durchaus funktional. Mittlerweile ist die Forschung auch so weit, dass man mittelfristig einen Treibstoff aus der katalytischen Umwandlung von CO2 herstellen kann.
Und dann muss man ja auch immer noch bedenken, dass selbst herkömmliches Erdöl letzten Endes nur das Produkt aus Zeit, Druck und Temperatur ist. Alle drei Techniken werden bereits von der Wissenschaft so gut beherrscht, dass man bereits künstliche Diamanten herstellen kann. Das bedeutet, mit genügend Forschung könnte auf gleichem Wege auch künstliches Erdöl hergestellt werden. Allerdings muss man auch hier den Jubel bremsen: Die Verfahren benötigen extrem viel Energie und sind nicht mal ansatzweise auf die Mengen anwendbar, die tagtäglich auf der Welt benötigt werden.
Zusammenfassung
Die gesamte Geschichte des Erdöls ist eine Geschichte voller „Abers“. Um gleich die Haupt-Frage dieses Artikels zu beantworten: Nein, es ist nicht möglich, dass der Erde eines Tages das Öl komplett ausgehen wird. Das ist schon deshalb unmöglich, weil der Prozess seiner Entstehung kontinuierlich abläuft und auch so lange weiter laufen wird, wie Plankton und Pflanzen existieren. Eine ganz andere Frage ist es jedoch, ob nicht nur der Erde, sondern der Menschheit das Öl ausgehen wird. Und hier ist die Antwort schon deutlich spekulativer und liegt eher im Bereich eines „Jein“. Fakt ist, dass Erdölförderung nicht nur eine der finanzstärksten Industrien unseres Planeten ist. Nein, sondern Öl ist wegen seiner enormen Bedeutung für unzählige Bereiche abseits der Kraftstoffherstellung auch außerhalb des Benzintanks für unsere Welt von unschätzbarer Bedeutung. Das heißt, es werden auch weiterhin enorme Anstrengungen unternommen, um es zu finden und abzupumpen. Und je teurer das Öl wird, desto rentabler wird es, auch bisher nur schwer zu erreichende Ölquellen anzuzapfen bzw. durch neue, noch zu entwickelnde Techniken überhaupt zu entdecken.
Komplett versiegen wird das Öl während der nächsten Jahrtausende der Menschheitsgeschichte wahrscheinlich nicht. Aber in Anbetracht all der Nachteile, die aus seiner Förderung, Umwandlung und Verwendung entstehen, wird irgendwann der Punkt kommen, an dem es schlicht und ergreifend nicht mehr tragbar ist, es zu verwenden. Wegen des Klimawandels am frühesten wird die Abkehr vom erdölbasierenden Treibstoff kommen. Und durch den sich schon jetzt abzeichnenden Wechsel in den Köpfen der Menschheit werden auch Kunststoffe, Dünger und alles andere, das heute noch ohne Erdöl undenkbar ist, mittelfristig eine Alternative finden. Es passiert vielleicht nicht in zehn und vielleicht auch nicht in hundert Jahren. Aber unsere fernen Nachfolger werden definitiv ohne Öl auskommen. Auch wenn unter ihren Füßen vielleicht noch ungeahnte Mengen schlummern und das Meer tagtäglich neues produziert.