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Kleider machen Leute – aber warum?
Gregor ist Computernerd: Normalerweise sitzt um diese Zeit im Hacker-Hoodie vor seinem PC. Heute Abend musste er seinen Schlabberlook gegen etwas Schickeres austauschen, denn sein Bruder feiert Hochzeit. Den Dresscode „Black Tie“ musste er erst mal googeln. Jetzt sitzt er, mit Jackett und Fliege bekleidet, steif auf seinem Platz und lächelt gezwungen. Ohne seinen Komfort-Hoodie kann er sich kaum entspannen und in diesem steifen, kratzigen Kostüm erst recht nicht.
So oder so ähnlich habe sich viele schon gefühlt: Ob man sich als Hacker unfreiwillig ins Jackett schmeißen muss oder als schicke, selbstbewusste Person im verschlissenen Jogginganzug durch die Stadt trottet – wenn man Kleidung trägt, die nicht zum Selbstbild passt, fühlt man sich häufig darin unwohl. Das liegt daran, dass viele Menschen ihre Gefühlslage und ihre Persönlichkeit durch ihr Outfit ausdrücken. Wenn ich gerade die Welt umarmen könnte, trage ich schließlich keine grauen Wollpullis und wenn ich mich für individuell und exzentrisch halte, keine braune Outdoor-Jacke.
Wie hängen Stil und Persönlichkeit zusammen?
Also kann man den Charakter einer Person tatsächlich an ihrem Outfit ablesen? Sind schick gekleidete Menschen wirklich alle abgehoben? Laut einer Studie aus Israel gibt es zumindest einen Zusammenhang zwischen Kleidungsstil und bestimmten Charakterzügen. So kleideten sich neugierige, weltoffene Frauen tendenziell individualistischer und modischer als ihre reservierten Genossinnen. Wer hingegen strukturiert ist und hart arbeitet, mag adrette Business-Kleidung, wie Blazer oder Hosenanzüge. Außerdem tragen saubere Menschen saubere Kleidung. So weit, so erwartbar.
Doch am Outfit ablesen kann man den Charakter einer Person anscheinend trotzdem nicht. In einer weiteren Studie wurden den Teilnehmenden Bilder von verschiedenen Leuten in unterschiedlichen Klamotten gezeigt. Basierend auf deren Kleidungsstil sollten die Testpersonen nun versuchen, die Charakterzüge der gezeigten Person zu erraten – mit wenig Erfolg. Sie konnten die Eigenschaften der abgebildeten Personen nicht besser einschätzen als die Kontrollgruppe, die nur Fotos der Gesichter zu sehen bekam. Denn es existieren zwar Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Stil, doch die gängigen Stereotype sind eben nicht immer zutreffend.
Obwohl viele Leute sich bei einem „Hippie“ beispielsweise einen freundlichen, friedlichen Blumenwiesenmensch vorstellen, sind Menschen im Batik-Shirt mit Peacezeichen-Aufdruck laut Studie meist rücksichtsloser und weniger empathisch. Die Erklärung: Wer sich unkonventionell kleidet, will häufig provozieren. Freundliche, soziale Menschen hingegen tragen eher konventionelle Kleidung. Sie passen sich damit den gesellschaftlichen Erwartungen an, statt der Welt kleidungstechnisch den Mittelfinger zu zeigen.
Kleider machen Leute
Doch der Mensch bleibt Mensch und urteilt auch trotz fehlender Faktenlage anhand von Oberflächlichkeiten über seine Mitmenschen. Diese Neigung, Menschen am Äußeren einzuschätzen, kann man sich aber auch zunutze machen. Im Amerika des Slogans "vom Tellerwäscher zum Millionär" wurde diese Einstellung in den 2000er Jahren unter dem Wahlspruch: „Dress to impress“ zusammengefasst – wer Eindruck schinden will, muss sich schick anziehen. Und dieses Schauspiel funktioniert. In einer Studie der New York University sollten Testpersonen die Kompetenz von Menschen auf Fotos einschätzen. Das Ergebnis: Personen in Anzug oder Hemd, deren Kleidung sie also wohlhabender wirken ließ, wurden für kompetenter gehalten, als weniger adrett gekleidete Leute in Shirt und Hoodie.
Außerdem werden Personen in formeller Kleidung auch generell deutlich positiver beurteilt. Sie werden schon allein durch ihre Kleidungswahl als attraktiver, mächtiger, intelligenter und beruflich erfolgreicher wahrgenommen. Diese positive Einschätzung von außen hat wiederum einen Effekt auf das Verhalten: Wenn jemand mich behandelt, als wäre ich kompetent, blühe ich auf und verhalte ich mich auch kompetenter. Wenn mich dagegen jemand behandelt, als wäre ich dumm, schwächt das mein Selbstvertrauen und ich verhalte mich auch dementsprechend. Die Erwartungen anderer Personen können demnach dazu führen, dass am Ende genau das eintritt, was von uns erwartet wurde.
Richtige Kleidung steigert IQ
Der Schriftsteller Thomas Mann soll aus diesem Grund all seine Romane im Anzug und mit Fliege geschrieben haben. Ob seine Bücher in Jogginghose genauso gut geworden wären? Eine Studie der University Michigan kam zum Ergebnis: Nein. Dort ließen die Forschenden eine Gruppe Frauen in zwei verschiedenen Outfits Matheaufgaben lösen. Eine Gruppe trug einen Bikini, die andere war voll bekleidet. Die Studentinnen im knappen Zweiteiler schnitten bei den Tests wesentlich schlechter ab als ihre bekleideten Mitstreiterinnen. Bikinis machen also dumm – zumindest beim Mathetest.
Praktische Lebenstipps lassen sich aus dieser Erkenntnis zwar nicht ableiten, denn es hat hoffentlich niemand vor, seine nächste Klausur in Bademode zu absolvieren. Doch es zeigt trotzdem, wie wir uns je nach Outfit anders verhalten. Auch eine weitere Untersuchung bestätigt diese Erkenntnis: Dort absolvierten die Teilnehmenden verschiedene Konzentrationstests. Einige trugen dabei einen Arztkittel, andere Freizeitkleidung. Und siehe da: Die vermeintlichen Götter in Weiß schnitten in den Tests tatsächlich besser ab.
Kleider machen also tatsächlich Leute. Doch die Schubladen, in die wir andere stecken, sind häufig falsch und sagen vermutlich wenig aus über unser schick angezogenes, stark geschminktes Gegenüber.