wissen.de Artikel
„Mouth-Taping“: Was bringt der neue Schlaftrend wirklich?
In Deutschland schläft fast jeder Zweite öfter mal so schlecht, dass er am Folgetag müde, unkonzentriert und reizbar ist. Doch laut einem neuen TikTok-Trend lassen sich diese Schlafstörungen ganz einfach bekämpfen, und zwar indem man nachts ausschließlich durch die Nase atmet. Um das zu erzwingen, soll man sich ein Pflaster auf den Mund kleben. Auch verschiedene Prominente wie der norwegische Fußballer Erling Haaland, das Supermodel Ashley Graham und die Schauspielerin Gwyneth Paltrow sind Verfechter dieser „Mouth-Taping“ genannten Methode. Doch funktioniert sie wirklich?
Nase schlägt Mund
Der Grundgedanke des Mouth-Tapings ist gar nicht so weit hergeholt. Tatsächlich ist es für unseren Körper deutlich besser, nachts durch die Nase statt durch den Mund zu atmen. Denn Luft, die wir durch die Nase einatmen, wird erwärmt, befeuchtet und gereinigt, bevor sie in unseren Lungen landet. Dafür sorgen die Nasennebenhöhlen sowie die feinen Härchen und Immunzellen, die in unserer Nasenschleimhaut sitzen. Sie filtern auch gröbere Partikel wie Pollen oder Staub heraus, sodass diese nicht die Lunge reizen und unseren Schlaf dadurch unruhig machen.
Atmen wir hingegen durch den Mund, dringt die Luft ungefiltert und ungewärmt in unsere Lungen ein und kann dort Irritationen auslösen, die unseren Schlaf stören. Gleichzeitig trocknet bei der Mundatmung unser Rachen aus, was den pH-Wert des Mundes verändert und Karies begünstigen kann.
Mundatmung geschieht nicht grundlos
Es ist also durchaus sinnvoll, nachts vorrangig durch die Nase zu atmen. Und deshalb tun es die meisten Menschen ohnehin automatisch und ohne Hilfe eines speziellen Pflasters. Für sie bringt Mouth-Taping somit keinerlei Mehrwert. Doch auch diejenigen, die nachts durch den Mund atmen, tun dies in der Regel aus gutem Grund. Mundatmer leiden etwa häufig an einer Verkrümmung der Nasenscheidewand oder besitzen gutartige Wucherungen in den Nebenhöhlen, sogenannte Polypen. Atmen sie durch die Nase, dringt nicht genügend Luft bis in die Lungen vor. Sie atmen daher durch den Mund, um ausreichend mit Sauerstoff versorgt zu sein.
Und genau an dieser Stelle wird Mouth-Taping problematisch: Indem sich vor allem diejenigen Menschen nachts den Mund zukleben, die nicht automatisch durch die Nase atmen, versperren sie sich den einzigen freien Atemweg und bekommen dadurch mitunter zu wenig Luft, was den Schlaf nicht unbedingt erholsamer macht. Auch in diesem Fall verfehlt Mouth-Taping also sein Ziel. Dass man mit zugeklebtem Mund nachts erstickt, ist Experten zufolge jedoch so gut wie ausgeschlossen. Denn wenn unser Körper im Schlaf zu wenig Luft bekommt, weckt er uns beziehungsweise erzwingt die Mundatmung auch trotz Pflaster.
Bei Schlafproblemen lieber zum Arzt
Eine handfeste Gefahr sehen Experten in dem Trend daher nicht, einen konkreten Nutzen jedoch ebenfalls nicht. Bisher gibt es praktisch keine Studien zum Thema Mouth-Taping. Dass die Methode die Schlafqualität verbessert, ist wissenschaftlich also nicht erwiesen. Wer Schlafprobleme hat, weil er nachts stark durch den Mund atmet, sollte sich also lieber an einen Hals-Nasen-Ohrenarzt wenden und so herausfinden, warum er durch die Nase nicht genügend Luft bekommt. Manchmal reichen bereits spezielle Medikamente aus, um die Nasenatmung zu erleichtern.
Menschen mit Schlafproblemen, die sich nicht gezielt auf Mundatmung zurückführen lassen, können wiederum bei einem Schlafmediziner Hilfe finden und mit ihm auf Ursachensuche gehen. In vielen Fällen reicht es bereits, an der eigenen Schlafroutine zu arbeiten. Also zum Beispiel vor dem Schlafengehen nicht mehr in das wachmachende blaue Licht von Handy und Tablet zu schauen oder abends keine schweren Mahlzeiten mehr zu essen. Auch Entspannungsübungen können dabei helfen, abends besser zur Ruhe zu kommen und erholter zu schlafen.