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Nomophobie: Wenn das Handy Ängste auslöst

Ob zum Surfen, für soziale Medien oder zum Spielen: Handys sind für die meisten von uns fester Teil des Alltags, oft geht es kaum mehr ohne. Doch genau dies kann auch krankhaft werden: Immer mehr Menschen leiden unter einer Nomophobie. Betroffene dieser "No Mobile Phone Phobia" haben eine übersteigerte Angst vom eigenen Smartphone und der Handykommunikation getrennt zu sein. Aber was genau ist die Nomophobie? Wie viele sind betroffen? Und wer ist besonders anfällig?
NPO, 02.02.2023
Symbolbild Smartphonenutzung

© golubovy, GettyImages

Smartphones sind aus unserm Leben kaum mehr wegzudenken. In Deutschland nutzen 78 Prozent der Bevölkerung ein Handy, im Schnitt ist dieses fast vier Stunden täglich im Einsatz. Dank der Smartphones sind wir überall erreichbar, können uns Langeweile mit Spielen vertreiben oder auch nützliche Dinge damit tun wie Bezahlen, Recherchieren oder unseren Alltag planen.

No Mobile Phone Phobia

Doch die exzessive Handynutzung hat auch Folgen für unsere Psyche. Eine noch kaum bekannte Auswirkung ist die Nomophobie – abgeleitet von "No Mobile Phone Phobia". Sie steht für eine übersteigerte Angst, vom eigenen Smartphone und der Handykommunikation getrennt zu sein. „Geht das Handy verloren oder ist man aufgrund eines Funklochs oder eines leeren Akkus kurzzeitig nicht erreichbar, kommt es zu einem subjektiv verschobenen, übermäßigen Angstempfinden“, erläutert Yvonne Görlich von der Privaten Hochschule Göttingen. In einer Studie berichten beispielsweise 83 Prozent der befragten Studierenden, sie hätten schon einmal Panikattacken erlebt, weil sie ihr Handy nicht mehr fanden.

Obwohl es Überschneidungen der Nomophobie mit der Smartphone- und Internetsucht gibt, stellt sie ein eigenständiges Konstrukt dar. „Smartphone-Abhängigkeit zählt zu den Suchterkrankungen, während Nomophobie eine Angststörung ist“, erläutert Görlich. Und ähnlich wie andere Angststörungen wirkt sich Nomophobie häufig auch auf andere Aspekte der Psyche aus: „In früheren Studien wurden signifikante Zusammenhänge zwischen Nomophobie und Einsamkeit, Depression, Ablenkung und verminderter Impulskontrolle festgestellt“, so die Psychologin.

Wie verbreitet ist Nomophobie?

Bei uns in Deutschland zeigt fast die Hälfte der jüngeren Erwachsenen erste Symptome einer Nomophobie, wie Görlich und ihr Team kürzlich in einer Studie festgestellt haben. Dabei fühlen sich Betroffenen ohne ihr Smartphone bereits unwohl, sind nervös, ängstlich oder gereizt. Bei 4,1 Prozent der Testpersonen konnten die Psychologinnen sogar eine schwere Nomophobie diagnostizieren. Wie bei der Smartphonesucht gilt: Je länger und häufiger ein Mensch sein Handy im Alltag nutzt, desto höher ist die Gefahr, dass ein Nichtnutzenkönnen mit übersteigerte Angst verbunden wird.

Wer ist besonders anfällig?

Studien zeigen, dass die Häufigkeit und Dauer der Handynutzung das Risko für eine Nomophobie erhöht. Kein Wunder: Wer im Alltag ständig  aufs Smartphone schaut und dieses als "Fenster zur Welt" nutzt, für den wird es schnell unverzichtbar – entsprechend groß sind die Ängste, wenn es ausfällt oder wir es verlegt haben. Einen engen Zusammenhang gibt es auch mit einer zweiten sehr modernen Angst, der "Fear of Missing Out" (FOMO).  Sie entsteht dann, wenn Menschen Angst haben, etwas zu verpassen – beispielsweise indem sie längere Zeit nicht in sozialen Medien aktiv sind.

Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Frauen sind etwas häufiger und stärker von Nomophobie betroffen als Männer. „Wir können davon ausgehen, dass Frauen aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen das Smartphone stärker zur Kommunikation nutzen und somit höhere Nomophobie-Scores erzielen“, sagt Görlich. Dazu passt, dass Frauen ihr Handy zwar nicht häufiger, aber meist länger nutzen als Männer.

Ein weitere Faktor ist der Persönlichkeitstyp: Das psychologische Merkmal des Neurotizismus – ein Fachausdruck für eine Neigung zu geringerer emotionaler Stabilität und einer Tendenz zu Angst, Unsicherheit und Nervosität – erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Nomophobie. Wer also ohnehin leicht zu Ängsten neigt, der empfindet dies auch eher in Bezug auf sein Handy als Fenster zur Welt.

Ist Nomophobie eine echte Angststörung?

Noch gilt Nomophobie nicht als anerkannte Krankheit. „Angesichts der so weit verbreiteten Smartphone-Nutzung und internationaler Studienergebnisse liegt die Frage jedoch nahe, ob Nomophobie in die Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) oder das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM) aufgenommen werden sollte“, sagt Görlich. Wäre das der Fall, wäre die Nomophobie offiziell als Angststörung anerkannt.

Nach Ansicht der Psychologin sollte dies durchaus erwogen werden. Denn in schweren Fällen können Leidensdruck und Mechanismen ähnlich sein wie bei Spinnenphobie, Platzangst und anderen klassischen Angststörungen.

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