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Nudging - Angeschubst zur besseren Entscheidung?
"Nudging" bedeutet übersetzt so viel wie sanftes Schubsen. Doch wenn Marketingfachleute, Politiker oder Psychologen diesen Begriff verwenden, meinen sie damit keine Berührung. Vielmehr ist eine subtile Manipulation unseres Verhaltens gemeint: Mithilfe von Nudging sollen Menschen in die richtige Richtung "geschubst" werden, um eine bestimmte Entscheidung zu treffen.
Dahinter steckt die Annahme, dass viele von uns zwar bestimmte Bedürfnisse und Einstellungen zu einem Thema haben – aber im Alltag nicht immer danach leben. So wollen wir uns zum Beispiel gesünder ernähren und finden Nachhaltigkeit gut, greifen in der Kantine dann aber aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit trotzdem zum konventionell produzierten Schnitzel mit Pommes.
Subtile Manipulation
Wie sich solche irrationalen Entscheidungen verhindern lassen, beschrieben der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein in ihrem 2008 veröffentlichten Buch "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt". Demnach sind dafür keine Verbote oder wirtschaftliche Anreize nötig, sondern ganz einfach Veränderungen der Rahmenbedingungen.
Ein paar Beispiele: Wird die Salatbar im Eingang der Kantine platziert, greifen Angestellte häufiger zu. Gibt es gut ausgebaute Radwege in einer Stadt und Duschen in Unternehmen, fahren mehr Menschen mit dem Drahtesel zur Arbeit. Wird der Drucker auf doppelseitigen Druck voreingestellt, wird automatisch mehr Papier gespart. Und wo der Zustimmung zur Organspende aktiv widersprochen werden muss, ist die Zahl der Organspender um ein Vielfaches höher.
Wirksam – aber auch besser?
Seitdem Thaler und Sunstein den Begriff des Nudging geprägt haben, ist er in aller Munde: Menschen ohne Zwang sanft zur "richtigen" Entscheidung zu schubsen, gilt inzwischen als Universallösung für die unterschiedlichsten Probleme. Tatsächlich belegen Studien, dass das Prinzip funktioniert: Nudges können unser Verhalten beeinflussen. Doch: Führt dies auch zu einer besseren, unseren Bedürfnissen mehr entsprechenden Entscheidung?
Ob Nudging dieses Versprechen halten kann, haben nun Nick Netzer und Jean-Michel Benkert von der Universität Zürich überprüft. Dabei stießen sie jedoch auf ein Problem: Wie lässt sich überhaupt messen, inwiefern ein Nudge die Entscheidung aus Sicht der angeschubsten Person verbessert? "Bevor wir nicht verstanden haben, wie eine Person Entscheidungen trifft, können wir dazu gar nichts sagen", erklärt Netzer.
Irrationale Entscheidungen
Die klassische Ökonomie nimmt an, dass sich die Bedürfnisse einer Person aus ihren Entscheidungen und ihrem Verhalten ableiten lassen. Das sogenannte Rationalverhaltens-Modell geht davon aus, dass sich eine Person beispielsweise für das Menü 2 in der Kantine entscheidet, weil dieses Gericht ihren Bedürfnissen entspricht. Genau das bestreiten Verfechter des Nudging aber. Sie gehen davon aus, dass Menschen häufig irrational und nicht ihrem tatsächlichen Interesse folgend entscheiden.
Für die Bewertung eines Nudges ist die Annahme des Rationalverhaltens-Modells darüber hinaus aus einem weiteren Grund problematisch. Denn genau das Verhalten, das Aufschluss über die Bedürfnisse der Person geben soll, wird beim Nudging manipuliert. Wären andere Annahmen womöglich besser für eine aussagekräftige Bewertung dieser Strategie geeignet?
Die erstbeste Wahl
Um dies herauszufinden, betrachteten die Wissenschaftler zwei weitere Verhaltensmodelle: zunächst das sogenannte "Satisficing"-Modell. Dieses Modell geht davon aus, dass eine Person immer die erstbeste Alternative wählt. Diese muss nicht hundertprozentig ihren Bedürfnissen entsprechen, sondern lediglich zufriedenstellend sein. Eine Person, die nach diesem Prinzip Entscheidungen trifft, wählt in der Kantine das Menü 2, weil es das erste Gericht ist, das sich mehr oder minder mit ihren Ansprüchen deckt.
Vielleicht gäbe es ein Gericht, das ihr noch besser schmecken würde. Aber die weiteren Menüs zieht sie gar nicht mehr in Betracht, da sie ihre Wahl bereits getroffen hat. In diesem Modell sind kaum Rückschlüsse auf die wahren Präferenzen einer Person möglich und somit auch keine Beeinflussung in ihrem Sinne, so die Einschätzung der Forscher.
Geschickte Salatplatzierung
Anders sieht die Situation aus, wenn man von einer "beschränkten Aufmerksamkeit" ausgeht: Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass eine Person aus einer Reihe von Möglichkeiten immer eine bestimmte Anzahl in Betracht zieht – aus fünf Menüs in der Kantine beispielsweise die ersten drei. Diese wägt sie dann gegeneinander ab und wählt daraus das beste Gericht. Im Gegensatz zum Satisficing-Modell lassen sich unter diesen Annahmen effektive Rückschlüsse auf die tatsächlichen Bedürfnisse ziehen, wie Netzer und Benkert berichten.
Liegt den Entscheidungen einer Person ein solcher Prozess zugrunde, so lassen sie sich durch Nudging in ihrem Interesse verbessern. Ein Beispiel: Weiß man, dass die Person auf ihre Ernährung achten möchte und der Salat tatsächlich das ideale Gericht wäre, dann garantiert die Platzierung unter den ersten drei Menüs, dass er überhaupt in Betracht gezogen und womöglich ausgewählt wird.
Im Sinne des Verbrauchers?
Um Nudging als Mittel zur Verbesserung von Entscheidungen im Sinne des Verbrauchers bewerten zu können, muss man demnach die wahren Bedürfnisse einer Person kennen. Doch das ist mit den wenigsten Verhaltensmodellen überhaupt möglich, wie die Wissenschaftler abschließend zusammenfassen.
"Unsere Resultate zeigen, dass der Erfolg von Nudging sehr stark davon abhängt, wie man sich den menschlichen Entscheidungsprozess vorstellt. Solange der aktuelle Wissensstand von Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Neurowissenschaften noch keine einstimmige Bewertung von Nudging ermöglicht, kann die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Nudging auch nicht abschließend beantwortet werden", schließt Netzer.