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Düstere Vergangenheit: Woher kommen die Exponate im Museum?
Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn ist für seine aufwändigen Dioramen bekannt, nachgebaute Landschaften, die Besucher in exotische Welten voller ausgestopfter wilder Tiere entführen. In der Savanne tummeln sich zum Beispiel Elefanten und Löwen, im Unterholz eines afrikanischen Regenwaldes hält sich ein Schimpansen-Baby an seiner Mutter fest und in der Wüste schaut ein Kamel träge in den Raum. Doch woher kommen all diese Tiere?

Auf der Jagd nach Exponaten
Die Antwort des Bonner Museums: „Ein Großteil unserer Sammlungen wurde natürlich von Alexander Koenig zusammengetragen. Er kaufte und jagte Tiere. Seine Expeditionen dienten auch dazu, spektakuläre Präparate in sein Museum zu bringen, wie es damals üblich war.“ Allgemein gesprochen heißt das: Die gezielte Jagd war bei den Naturkundemuseen bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein gängige Praxis, um die Ausstellungsflächen zu bestücken.
Auch das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main bekennt sich dazu, dass ein paar der ausgestellten Tiere einst auf diese Weise ins Museum gelangt sind. Ein Opfer dieser Praxis war die Senckenberger Gorillafamilie, die dort erstmals im Jahr 1907 ausgestellt wurde. „Ursprünglich handelte es sich um eine echte Gorillafamilie, die in der Region Französisch-Kongo in Westafrika lebte. Dieselben Schüsse, die im April 1906 die Eltern töteten, führten auch dazu, dass der Säugling von einem Baum in den Tod stürzte“, erklärt Lynn Nyhart von der University of Wisconsin-Madison.
Wie sie ermittelt hat, war dies kein Versehen: „Diese Gorillas waren mit dem Ziel getötet worden, sie zu einem Ausstellungsstück zu machen. Die toten Tiere wurden fotografiert, vermessen, beschrieben und ihre Häute wurden dann für den Versand nach Europa in einer trockenen Zubereitung aus Salz und Alaun verpackt“, so Nyhart weiter.

Handelsbeziehungen mit Sammlern
Um ihre Ausstellungen zu bestücken, setzten die Naturkundemuseen von damals außerdem auf feste Handelsbeziehungen zu „Sammlern“ aus aller Welt. So hat sich zum Beispiel der Sammler Oscar Neumann einst mit neun Antilopen-Schädel im Berliner Naturkundemuseum verewigt. Er selbst hatte sie auf Sansibar bei einer Karawane gekauft.
Auch der Botaniker Robert Schomburgk war ein wichtiger „Lieferant“ für das Museum in Berlin. Auf seinen Reisen durch die damalige Kolonie Britisch-Guyana kamen kistenweise naturkundliche Objekte zusammen, die er direkt ins Museum verschiffte. Zu diesen „Souvenirs“ gehörten getrocknete Pflanzen, Skelette und in Weingeist eingelegte Tiere. Als Schomburgk gegen Ende seiner Reise im März 1843 erfuhr, dass in Berlin ein zoologischer Garten eröffnen sollte, erweiterte er sein Repertoire auch um lebende Tiere.
Zoos als Lieferanten
Von den Tieren, die Schomburgk „sammelte“, überlebten allerdings nur wenige die lange Überfahrt nach Europa. Es ist dokumentiert, dass gerade einmal neun lebend im Berliner Zoo ankamen, darunter ein grüner Leguan und eine Riesenschlange. Der Leguan schaffte einen weiteren Monat im Zoo und starb dann ebenfalls. Danach landete er als präpariertes Ausstellungsstück im Berliner Naturkundemuseum. Damals ein übliches Schicksal, wie die Museums-Mitarbeiter Ina Heumann und Tahani Nadim berichten: „Mitte des 19. Jahrhunderts trugen die gescheiterten Versuche, lebende Tiere nach Europa zu bringen oder in Zoos am Leben zu halten, vor allem dazu bei, Sammlungen zu bestücken.“
Dieser „Ringtausch“ war so fest einkalkuliert, dass der Zoo für das Museum eine regelmäßige Bezugsquelle für die neuesten Exponate darstellte. „Das Museum, das eine möglichst vollständige Erfassung der Weltfauna anstrebte, übernahm aus dem Zoo von Anfang an zahlreiche Vögel und Säugetiere. Ab 1913, als im Zoo ein Aquarium errichtet wurde, kamen Fische, Insekten, Amphibien und Reptilien dazu“, erklären Heumann und Nadim. Es ist überliefert, dass das Museum für ein totes Zootier damals im Schnitt zehn Prozent vom Wert des lebenden Tieres zahlte.
Kolonialismus macht’s möglich
Der globale Tierhandel war in diesem Ausmaß nur dank des damals vorherrschenden Kolonialismus möglich. In Afrika, Asien und Ozeanien profitierten große Tierhandelshäuser wie Jamrach, Hagenbeck und Reiche stark von den kolonialen Bedingungen. Sie erhielten bereitwillig Lizenzen zur Jagd und konnten sich außerdem an lokalen Arbeitskräften aus der indigenen Bevölkerung „bedienen“, wenn es um die Durchführung der gefährlichen Jagdexpeditionen ging.
Doch es waren längst nicht nur exotische Tiere, die dank des Kolonialismus in großen Zahlen nach Europa gelangten. Ähnlich erging es auch kulturellen Artefakten, darunter Statuen, Masken, Schmuck oder sogar ganze Bauwerke. Diese koloniale Raubkunst wurde teilweise gezielt von den Einheimischen gestohlen, um sie in europäischen Museen auszustellen. In deutschen Kolonien, zu denen unter anderem das heutige Namibia und Kamerun gehörten, fand dieser Kunstraub vor allem zwischen 1885 und 1918 statt.
Raubkunst und „entführte“ Tiere teilen heute dasselbe Schicksal: In beiden Fällen lässt sich nur schwer zurückverfolgen, woher genau sie einst kamen. So warten zum Beispiel immer noch viele der konservierten und präparierten Tiere, die im frühen 20. Jahrhundert ins Berliner Museum gelangten, auf eine Aufarbeitung ihrer Herkunft. Bei der Raubkunst ist es ähnlich. Wissenschaftler versuchen in kleinteiliger Detektivarbeit, die rechtmäßigen Besitzer der Objekte ausfindig zu machen. Gelingt das, kommt es mittlerweile immer häufiger zu Rückgabe-Aktionen.