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Prager Frühling - das Ende der Freiheit
Der 5. Januar 1968 markiert den Auftakt einer innenpolitischen Wende: In der Tschechoslowakei wird Alexander Dubcek zum neuen Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei ernannt – ein Politiker, der umfassende Reformen plant. Er will den Sozialismus im Sinne eines "Dritten Weges" demokratisieren. Angetrieben wird er dabei von einer breiten Strömung in der Bevölkerung und heftigen Studentenprotesten im Herbst 1967. Die Menschen in der Tschechoslowakei fordern mehr Pluralismus im starr zentralistischen System ihres Staates - und mehr Demokratie.
Dubcek, der zum Reformflügel der kommunistischen Partei gehört, greift dies auf. Sein Ziel ist es, dem Sozialismus ein "menschliches Antlitz" zu verleihen. Oppositionsparteien will zwar auch er nicht erlauben. Der neue Parteichef Dubcek macht sich jedoch für mehr Freiheit und wirtschaftliche Veränderungen stark. Schon einen Monat nach seinem Amtsantritt hebt er die Pressezensur auf, im April werden Rede- und Versammlungsfreiheit eingeführt. Auch Reisen ins westliche Ausland sind nun erlaubt. Zudem wird die Privatisierung kleinerer und mittlerer Betriebe eingeleitet.
Manifest der 2.000 Worte
Für die Bevölkerung bringen diese Umbrüche des "Prager Frühlings" ganz neue Freiheiten. Zu lange durften die Bürger im Land ihre Meinung nicht öffentlich äußern, zu lange konnten Künstler und Schriftsteller nicht frei arbeiten. Die neuen Reformen machen ihnen Hoffnung darauf, dass es zwischen Kommunismus und Kapitalismus tatsächlich einen Mittelweg geben kann – einen Weg, der auch von demokratischer Mitbestimmung und Rechtsstaatlichkeit geprägt ist.
Viele Menschen wollen, dass dieser neue Weg noch schneller beschritten wird: Tausende von ihnen unterzeichnen deshalb im Juni das "Manifest der 2.000 Worte" – hauptsächlich Intellektuelle. In ihrer Schrift attestieren sie der alten Führung Unfähigkeit und fordern weitere politische und gesellschaftliche Reformen.
Nächtlicher Einmarsch
Der Kommunistischen Partei der Sowjetunion sind diese Entwicklungen ein Dorn im Auge. Sie sieht durch den Prager Frühling die Einheit des Ostblocks gefährdet – und spricht sich für eine militärische Lösung aus, sollte die CSSR nicht umgehend von ihrem neuen Kurs abweichen. Gemeinsam mit Bulgarien, Ungarn, Polen und der DDR fordert sie die tschechoslowakische Regierung im "Warschauer Brief" zu einem Stopp der Reformen auf.
Obwohl Prag seine Verbundenheit mit den sozialistischen Staaten beteuert, verschärft sich die Situation jedoch. In der Nacht vom 20. auf den 21. August machen die Warschauer Pakt-Staaten ernst: Sie rollen mit Panzern in die Tschechoslowakei ein. Doch die Bürger wollen ihre neu gewonnene Freiheit nicht so einfach aufgeben. Sie stellen sich den Eindringlingen in den Weg und organisieren sich dabei über das Radio.
Erfolgloser Widerstand
Busse, Baufahrzeuge und Bulldozer werden als Barrikaden errichtet, Straßenschilder abmontiert und übermalt, um die Besetzer in die Irre zu leiten. Frauen und Mädchen irritieren die Soldaten, indem sie ihre Handtaschen an die Panzerläufe hängen. Viele Menschen versuchen, mit den Eindringlingen zu diskutieren.
Doch vergebens: Trotz des zivilen Widerstands der Bevölkerung gewinnen die Soldaten des Warschauer Pakts die Oberhand und schlagen den Protest blutig nieder. Zahlreiche Menschen kommen dabei ums Leben, noch mehr werden schwer verletzt. Dubcek und andere Parteimitglieder werden nach Moskau entführt und dort tagelang festgehalten.
Eine neue Protestbewegung
Schließlich wird Dubcek gezwungen, seine Kapitulation zu erklären. Mit seiner Unterschrift unter dem "Moskauer Protokoll", macht er alles rückgängig, wofür er sich in den vergangenen Monaten eingesetzt hat. Als Folge werden in der Tschechoslowakei sowjetische Truppen stationiert. Eine neue Führung setzt die Reformen des Prager Frühlings Schritt für Schritt wieder aus.
Viele Bürger fliehen daraufhin aus ihrem Land. Doch auch die, die geblieben sind, lassen sich nicht lange unterdrücken. Mit der "Charta 77" entsteht bereits ab 1977 eine neue Protestbewegung. Sie leitet einen Wandel ein, der 1989 schließlich in der "Samtenen Revolution" und der Etablierung einer Demokratie mündet.
In den westlich geprägten Ländern Europas lösen der Prager Frühling und seine gewaltsame Niederschlagung heftige Diskussionen und ein teilweise großes Echo aus. Dies galt vor allem für die Studentenbewegung in Deutschland, die mit ihrer außerparlamentarischen Opposition (APO) ebenfalls mehr Mitbestimmung und eher linke Ziele forderte. Für viele von ihnen war der "dritte Weg" Dubceks ein auch für Deutschland und Westeuropa erstrebenswertes Ziel.