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Warum ist Karneval politisch?

Ob auf den Umzugswagen, in Büttenreden oder in den Uniformen der Garde und des Elferrats – an Karneval geht es nicht nur albern, sondern häufig auch politisch ernst zu und das schon seit Jahrhunderten. Woran liegt das? Und seit wann ist Karneval politisch?
SSC, 28.02.2025
Kostümierte Blechbläser auf dem Rosenmontagszug in Mainz, 2014

© olllo, iStock

An Karneval nehmen Narren und Jecken Politiker auf die Schippe und kritisieren die Regierung in Form von Reden und Skulpturen sowie Uniformen und Kostümen. Inzwischen kommentieren auch Politiker selbst in Büttenreden das politische Geschehen, beispielsweise die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die bis 2020 im saarländischen Karneval regelmäßig als „Putzfrau Gretl“ auftrat. 

In Blut badender Putin auf einem Motivwagen des Düsseldorfer Karnevals, 2023
Ein Blutbad für Putin – viele Motivwagen auf den Karnevalszügen im In- und Ausland zeigen Hochpolitisches.

© We-Ge, iStock

Endlich wieder närrisches Treiben

Auf diese Weise wird Karneval schon seit Jahrhunderten gefeiert. Die Büttenrede geht sogar auf das sogenannte „Rügerecht“ im Mittelalter zurück, bei dem das Volk die Herrscher zur Fastnachtszeit kritisieren konnte, ohne eine Strafe fürchten zu müssen.

So richtig politisch wurde er jedoch erst nach der Eingliederung des Rheinlands in den Staat Preußen nach dem Wiener Kongress 1815. Zuvor verboten die französischen Truppen das närrische Treiben weitgehend. Ab 1804 erlaubten sie immerhin wieder kleinere Feiern, doch der Straßenkarneval war nahezu ausgestorben.

Im Jahr 1822 beschlossen einige Kölner, „dem Carneval eine edlere, den gegenwärtigen Zeitverhältnissen entsprechendere Form zu geben, ihn geistig aus seiner Versunkenheit wieder emporzuheben, ihn gleichsam poetisch zu gestalten“, wie Christian Samuel Schier, einer der Beteiligten, festhielt. Um ein Jahr später den ersten Rosenmontagsumzug zu organisieren, gründeten sie die „Grosse Karnevalsgesellschaft“.

Auf dem ersten Rosenmontagsumzug bestieg der Kölnisch-Wasser-Fabrikant Emanuel Ciolina Zanoli als „König Karneval“ den Thron und kritisierte so bereits die damals bestehen­de Herr­schafts­ord­nung. Aus den 10.000 Zuschauern auf dem ersten Umzug wurden im folgenden Jahr 50.000.

Öffentliche Kritik verboten?

Mit der steigenden Beliebtheit des Kölner Karnevals in den 1820er Jahren stieg auch seine Kommerzialisierung: Händler verkauften Karnevalsbriefpapier und verschiedene Erinnerungsstücke sowie die typische Narrenkappe. Sie diente nicht nur als Eintrittskarte für die Festveranstaltungen, sondern auch als Symbol für die Gleichheit und Eintracht aller Narren, und erinnerte damit an die Idee der Gleichheit aller Bürger der französischen Revolution.

Der Karneval entwickelte sich zu einem indirekten politischen Sprachrohr in immer mehr Städten, da offene Kritik an der preußischen Regierung kaum möglich war. So kritisierte 1829 der Kölner Polizeipräsident Ge­org Karl Phil­ipp von Stru­en­see die Kölner Karnevalszeitung: „Das Witz­blatt ent­hielt zahl­rei­che ernst­ge­mein­te An­spie­lun­gen – zu­letzt die For­de­rung nach ei­ner Ver­fas­sung – und war nach ob­jek­ti­ven Ge­sichts­punk­ten nicht zu zen­sie­ren“, schreibt das Portal Rheinische Geschichte.

Nachdem von Struensee die Zeitung verboten hatte, sagten der Karnevalspräsident und das Karnevalskomitee den Rosenmontagszug ab, ver­teil­ten To­ten­zet­tel auf den Kar­ne­val und leg­ten „Hans­wurst“ in Ket­ten.

Rote Funken aus Köln,einmal als Karnevalsgesellschaft und einmal als Stadtsoldaten
Die "Roten Funken" aus Köln knüpfen Namen und Ausstattung an eine Truppe an, die im 18. Jahrhundert in roten Uniformjacken und weißen Hosen als Stadtsoldaten dienten.

© Romaine (l.) und Historisch (r.), beide gemeinfrei

Jeder wird durch den Kakao gezogen

„Ne­ben sol­chen auf­se­hen­er­re­gen­den Ak­tio­nen lie­ßen sich po­li­ti­sche Im­pli­ka­tio­nen in Büt­ten­re­den, Lie­dern und Ge­dich­ten auf­spü­ren“, heißt es im Portal Rheinische Geschichte. „Sie wur­den auf den Stra­ßen ge­sun­gen, in der über­re­gio­na­len Pres­se dis­ku­tiert und weck­ten das In­ter­es­se des preu­ßi­schen Staats­ober­haupts.“

Friedrich Wilhelm III. – seinerzeit preußisches Staatsoberhaupt – interessierte 1827 „wel­che Be­hör­de in neue­rer Zeit die Er­laub­niß [sic] zu die­sen in Deutsch­land nicht üb­li­chen Volks­be­lus­ti­gun­gen ge­ge­ben ha­be“. Die Verwaltungsbehörden der rheinischen Karnevalshochburgen Aachen, Düsseldorf, Koblenz, Köln und Trier versuchten daraufhin, ihre politischen Scherze als moralisch völlig unbedenklich abzutun. Sie betonten, dass nicht nur die Regierung, sondern auch die Kirche und die Narren selbst Zielscheibe satirischer Verballhornungen wurden.

Närrische Kleidung als Politikum

Besonders im Fokus des politischen Karnevals stand jedoch seit jeher das Militär. Die Veranstalter der ersten Karnevalsumzüge waren auf die Pferde, Fuhrwerke und Ausrüstungen des örtlichen Militärs angewiesen und bedienten sich für ihre Kleidung aus dem Fundus der französischen Militärausrüstung. „Ihr öf­fent­li­ches Auf­tre­ten konn­te da­her so­wohl als po­si­ti­ve Re­mi­nis­zenz an ver­gan­ge­ne Zei­ten oder aber als an­ti­fran­zö­si­sche Sa­ti­re in­ter­pre­tiert wer­den“, erklärt das Portal Rheinische Geschichte.

Die als karnevalistische Garde fungierenden Roten Funken des Kölner Karnevals sollten an die Stadtsoldaten und somit an die einstige Autonomie der Stadt erinnern. Die Uniformen und hierarchische Ordnung vieler Karnevalsinstitutionen sollen zudem alte preußische Traditionen aufs Korn nehmen. Die jährlich wechselnde Narrenkappe nahm mal die Form der preußischen Pickelhaube und mal die Form der Jakobinermütze an – eine Mütze, die Vertreter der politischen Linken während der französischen Revolution trugen.

„Der In­ter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum sol­cher Be­ob­ach­tun­gen war groß und lag im Au­ge des Be­trach­ters“, sagt das Portal Rheinische Geschichte. Da die Menschen die Symbole wie die wechselnde Narrenkappe sowohl als Kritik als auch als nostalgische Erinnerung deuten konnten, bot der Karneval eine indirekte Möglichkeit zur politischen Positionierung und Meinungsäußerung.

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