wissen.de Artikel

Wie ausgewogen berichtet der öffentlich-rechtliche Rundfunk?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht immer wieder in der Kritik, zu einseitig zu berichten und somit seinen Pflichten nicht ausreichend nachzukommen. Doch stimmt das tatsächlich? Berichten öffentlich-rechtliche Nachrichtenmedien unausgewogener als private Anbieter? Und wie lässt sich die journalistische Qualität in beiden Lagern noch weiter steigern?
AMA, 31.01.2024
Nachrichtensprecherin

© Suzi Media Production, iStock

Ob „Lügenpresse“ oder „linksversifft“: Öffentlich-rechtliche Medien müssen sich immer wieder Vorwürfe anhören, die ihnen Einseitigkeit und Unausgewogenheit unterstellen. Tatsächlich hielt in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa aus dem Sommer 2023 nur rund ein Drittel der Befragten die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für „ideologisch ausgewogen“. 29 Prozent empfanden sie als zu links, zehn Prozent als zu rechts. Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen offenbart außerdem, dass das Vertrauen in ARD und ZDF mittlerweile so gering ist wie nie zuvor. Zurecht?

Duell zwischen privat und öffentlich-rechtlich

Da der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem erheblichen Teil von seinen Zuschauern und deren Rundfunkbeiträgen finanziert wird, sind die Erwartungen an ihn besonders hoch. Schließlich sollte eine solche Finanzierung ARD, ZDF und Co. ermöglichen, unabhängig von Investoren- und Sponsoreninteressen zu sein und somit möglichst objektiv über die aktuelle Nachrichtenlage zu berichten.

Diese besondere Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die mit ihr einhergehenden Pflichten sind auch im sogenannten Medienstaatsvertrag festgehalten. Unter anderem steht darin, dass die verschiedenen Programme die „Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“ sollen.

Um herauszufinden, ob das tatsächlich so ist, haben Forscher um Marcus Maurer von der Universität Mainz nun 10.000 Nachrichtenbeiträge analysiert, die zwischen April und Juni 2023 veröffentlicht wurden. Neben neun öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten wie Tagesschau und Deutschlandfunk waren auch 38 private Nachrichtenangebote dabei, darunter RTL Aktuell, das Handelsblatt und die Bild. Für all diese Medien untersuchten Maurer und sein Team sowohl, wie vielfältig die Themen waren, über die berichtet wurde, als auch, wie vielfältig die Perspektiven und Akteure waren, die jeweils zu Wort kamen.

Ausgewogen, aber Luft nach oben

Das Ergebnis (PDF-Doc): Anders als häufig angenommen sind die Öffentlich-Rechtlichen hinsichtlich ihrer Themensetzung und Meinungsvielfalt ähnlich ausgewogen wie die Privaten. Beide berichten über ein breites Spektrum an Themen und lassen dabei Akteure verschiedener Lager zu Wort kommen, so Mauer und seine Kollegen. „Die Behauptung, die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien besonders einseitig, trifft folglich in dieser Form nicht zu“, lautet das Fazit der Forscher.

Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es keinen weiteren Verbesserungsbedarf gibt. So zeigt die Analyse zum Beispiel trotzdem, dass die meisten öffentlich-rechtlichen Formate bei ihrer Berichterstattung eher eine Perspektive links der Mitte einnehmen. Sie positionieren sich zum Beispiel häufiger liberal-progressiv als konservativ und befürworten wirtschaftlich betrachtet eher den Sozialstaat als den Marktliberalismus, der mit Angebot und Nachfrage argumentiert.

„Man muss aber bedenken, dass ein Teil des Publikums solche Positionen vertritt und vermutlich erwartet, sie auch in den öffentlich-rechtlichen Formaten (häufiger) wiederzufinden. Hier geht es auch um das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil Menschen vor allem solchen Medieninhalten vertrauen, in denen sie (auch) ihre eigene Weltsicht bestätigt finden“, erklären Maurer und seine Kollegen. Obwohl auch einige private Medien eine ähnlich linke Tendenz aufweisen, ist sie bei den Öffentlich-rechtlichen aufgrund ihrer besonderen Position für die Demokratie deutlich gravierender.

Zu viel Kritik schwächt Vertrauen

Außerdem offenbart die Analyse, dass die untersuchten Nachrichtenformate Politiker und Parteien deutlich häufiger kritisieren als loben, vor allem jene mit besonders linker oder rechter Gesinnung. Das ist zwar grundsätzlich gut, denn als „vierte Gewalt“ sollen Journalisten in demokratischen Gesellschaften schließlich kritisch berichten und so Missstände und Skandale aufdecken.

Doch diese Tendenz hat auch Schattenseiten, wie Maurer und sein Team erklären: „Alle hier untersuchten Nachrichtenmedien erweckten bei ihrem Publikum überwiegend den Eindruck, dass weder Regierung noch Opposition in der Lage sind, die aktuellen Probleme zu lösen.“ Das schwäche das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik und könne im schlimmsten Fall einen Zuwachs bei extremen Parteien bewirken, die sich als Alternative zur aktuellen Politik präsentieren.

Um die eigene Ausgewogenheit weiter zu stärken, empfehlen Maurer und sein Team den verschiedenen Nachrichtenformaten daher, auch hinsichtlich Kritik und Lob ausgewogener zu berichten. „Die Menschen sollten nicht nur über politische Probleme, sondern auch über Erfolge informiert werden, denn auch diese sind für ihre politische Meinungsbildung relevant“, so die Forscher.

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon