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Wie Psyche und Ordnung zusammenhängen
Alles in Ordnung? Vermutlich nicht bei allen, denn während einige Menschen Sauberkeit und Organisation lieben, haben andere doch einen gewissen Hang zum Chaos. Doch auch, wenn jeder seine eigene Vorstellung von der perfekt aufgeräumten Wohnung hat, fühlen sich die meisten Leute in einer nach ihrem Ermessen ordentlichen Umgebung wohl. Denn bei zu viel Unordnung und Schmutz verlegt man nicht nur schneller seine Besitztümer, das Chaos kann auch einen negativen Einfluss auf die Psyche haben.
Ordnung im Außen schafft Ordnung im Inneren
Je stärker das Bedürfnis nach Übersichtlichkeit individuell ausgeprägt ist, desto stärker sind demnach auch die negativen Effekte der Unordnung. Besonders bei ordentlichen Personen kann zu viel Chaos und Wirrwarr in der Wohnung oder am Arbeitsplatz zu innerer Unruhe und Stress führen. Konzentrationsprobleme, eine schlechte Schlafqualität oder eine niedergeschlagene Stimmung sind dann mögliche Folgen.
Im Umkehrschluss kann sich aber auch der äußere Effekt des Aufräumens auf den mentalen Zustand auswirken. „Bei der Ordnung im Außen fängt es meistens an. Dadurch entsteht eine große innere Klarheit darüber, die sich auf verschiedene Lebensbereiche überträgt“, erklärt Aufräumcoach Annika Schwertfeger gegenüber der "Welt". Diese äußere Struktur kann dann auch im Alltag und im Leben ein Gefühl von Übersicht und Struktur verleihen.
Ordnung ist gesund
Laut Schwertfeger liegt dieser Klarheit verschaffende Effekt des Aufräumens dabei in der Wechselwirkung zwischen Äußerem und Innerem begraben. „Der Mensch mag ja keine Dissonanz. Herrscht in einer Wohnung Harmonie, überträgt sich das auf das Innere“, erklärt sie. „Psyche und Raum hängen unwahrscheinlich stark zusammen.“ Dies sei auch der Grund, dass gestresste Menschen oft anfangen, aufzuräumen.
Eine organisierte Wohnung kann sogar Vorteile für die Gesundheit bringen. „Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiges Aufräumen und Putzen die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen minimieren kann. Und tatsächlich zeigen vor allem Frauen, die in einem unaufgeräumten Haushalt leben, ein relativ hohes Level des Stresshormons Cortisol, vergleichbar mit jenem Level, das auch Menschen mit chronischer Übermüdung aufweisen“, erklärt Psychologin Annegret Wolf von der Martin-Luther-Universität in Halle dem MDR.
Chaos macht kreativ
Doch auch Chaos kann Vorteile haben, wie Forschende von der University of Minnesota herausgefunden haben. Sie ließen Studienteilnehmer jeweils an einem unordentlichen und einem aufgeräumten Schreibtisch Aufgaben erfüllen. „Das Experiment zeigte, dass Teilnehmer in einem unordentlichen Raum kreativer waren als Teilnehmer in einem ordentlichen Raum“, berichtet Kathleen Vohs von der University of Minnesota. Ordnung ist also nicht ausschließlich von Vorteil.
Laut der Ordnungsberaterin Gunda Borgeest sollten Menschen deshalb am besten selbst herausfinden, welches individuelle Maß an Organisation und Chaos im Umfeld zu ihnen passt. Denn während einige Menschen am liebsten ganz nach der Philosophie des Netflix-Aufräumgurus Marie Kondo all ihre Besitztümer in Boxen, Klarsichtfolien oder Gläser verpacken würden, passt zu anderen vielleicht eine etwas lockerere Organisationsstruktur.
Aufräumen schafft Konflikte im Zusammenleben
Doch genau diese unterschiedlichen Ordnungsbedürfnisse können im Zusammenleben auch ein Problem darstellen – etwa in Wohngemeinschaften oder bei gemeinsam lebenden Paaren. Denn nicht selten wünscht sich eine Person dabei mehr Struktur und Sauberkeit als die andere. Im schlimmsten Fall bleiben dann die Aufgaben wie Boden wischen, Geschirr wegräumen oder den Müll runterbringen an der ordentlichsten Person der Partnerschaft oder WG hängen.
Dieses Ungleichgewicht im Ordnungsbedürfnis kann mit der Zeit auch zu Konflikten führen. Doch laut den Experten der Oberberg Kliniken geht es bei derartigen Streits häufig ohnehin um etwas tieferliegendes. „Dabei geht es jedoch oft gar nicht darum, ob die Wäsche gewaschen oder die Spülmaschine ausgeräumt wurde. Oft steht die Thematik stellvertretend für etwas anderes – für Respekt in der Partnerschaft, die Balance bei der Aufgabenverteilung oder Erwartungen“, erläutern sie.
Sollte aber tatsächlich die pure Ordnungsvorliebe das Problem sein, lässt sich das Problem oft gut lösen, wenn man über die individuellen Bedürfnisse verhandelt, statt Vorwürfe zu äußern. Beispielsweise wenn einem eine aufgeräumte Küche besonders wichtig ist, ein schmutziges Bad aber unter Umständen ertragbar wäre. Diese Präferenzen lassen sich dann am besten gemeinsam klären, denn aus einer unordentlichen Person wird eher selten plötzlich ein Putz- und Aufräumjunkie.
Tipps und Tricks beim Ausmisten
Ist man der Chaot in einer Beziehung oder WG oder ist man mit dem eigenen Organisationsgeschick unzufrieden, kann es durchaus sinnvoll sein, ein wenig Selbstbetrachtung zu üben: Was könnte die Ursache für die eigene Unordnung sein und warum gelingt es uns partout nicht, Organisation ins Leben oder die Wohnung zu bringen? Fehlt dafür die Struktur, kann man sich nicht von bestimmten Gegenständen trennen oder assoziiert man Unordnung etwa aus der Vergangenheit noch mit Geborgenheit?
Petra Jagow in Köln hat eine ganz allgemeine Antwort auf diese Frage: „Ausmisten fällt uns deshalb so schwer, weil man Entscheidungen treffen muss“, so die Wirtschaftspsychologin. Um dieses Problem zu lösen, empfehlen viele Online-Ratgeber: Nicht zu große Ziele setzen und sich unter Umständen von den kleinen Herausforderungen zu den größeren vorarbeiten. Also vielleicht mit dem Schreibtisch anfangen und erst am Ende die Kleidung aus der Jugendzeit ausmisten, an der das Herz noch so hängt.