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Das Phänomen Linkshändigkeit
Anlässlich des Linkshändertags beleuchten wir einmal die Hintergründe der Händigkeit – der Tatsache, dass manche Menschen ihre link, andere aber ihre rechte Hand bevorzugt nutzen. Obwohl Linkshändigkeit keine moderne Erfindung ist, lassen sich bis heute nicht alle Mythen um dieses Phänomen wissenschaftlich erklären.
Wie viele Linkshänder gibt es?
Es bleibt eine Seltenheit: Schätzungen zu Folge bevorzugen nur rund zehn bis 15 Prozent aller Menschen mindestens bei einigen Tätigkeiten ihre linke Hand. Aber Linkshänder ist nicht gleich Linkshänder: Experimente der Psychologin Marian Annett von der Universität von Leicester zeigten, dass drei bis vier Prozent der Personen alles mit links machten, 70 Prozent Rechtshänder und 25 bis 33 Prozent Mischhänder waren, deren Handpräferenz von der jeweiligen Tätigkeit abhing. So gibt es zum Beispiel Linkshänder, die zwar mit links schreiben, aber zum Zähneputzen lieber ihre rechte Hand benutzen. Aber woher kommt die Vorliebe seine linke Hand zu benutzen überhaupt?
Eine Menge Spekulationen
Seit Jahren häufen sich die Theorien um die Linkshändigkeit: Das DC-Modell von Chris McManus, Professor für Neurologie am University College London, besagt beispielsweise, dass eine genetische Ausprägung eines Gens die Rechtshändigkeit fördert. Ist eine andere Variante vorhanden, entscheidet dagegen der Zufall. Wohingegen das Right-Shift-Modell der Psychologin Marian Annett von der University of Leicester darlegt, dass die Händigkeit nur eine Art Nebenwirkung eines anderen Gens sein könnte. Ihrer Theorie nach führt dieser Effekt dazu, dass die Dominanz der linken Gehirnhälfte gefördert und bestimmte Mechanismen der rechten Hälfte geschwächt werden.
Auch die Vermutungen, dass der Hormonhaushalt, die Östrogene der Mutter oder das Testosteron des Vaters eine Rolle in Bezug auf die Händigkeit des Nachwuchses spielen könnten, bleiben Spekulationen.
Gene für Linkshändigkeit identifiziert
Mittlerweile konnte aber Licht ins Dunkele gebracht werden: Fest steht, dass bereits im Mutterleib bei sieben Wochen alten Embryonen die eine Hand der anderen in ihrer Entwicklung voraus sein kann. Für einen genetischen Ursprung sprechen gleich mehrere Auffälligkeiten: Sind beide Eltern Linkshänder, wird ihr Kind mit nahezu 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls die linke Hand bevorzugen. Bei Kindern von zwei Rechtshändern liegt diese Chance dagegen gerade mal bei zwei Prozent. Interessanterweise steigt die Chance für linkshändigen Nachwuchs, wenn zumindest die Mutter auch Linkshänder ist. Auch aktuelle Zwillingsstudien und familiäre Häufungen deuten darauf hin, dass die Linkshändigkeit zu rund 25 Prozent erblich bedingt sein könnte.
Doch welche Gene hinter der Linkshändigkeit stecken, war bisher unbekannt. Vor kurzem hat jedoch die bisher umfangreichste genetische Vergleichsstudie neue Erkenntnisse erbracht: Akira Wiberg von der University of Oxford und ihre Kollegen verglichen dafür Unterschiede in einzelnen DNA-Basen bei mehr als 38.000 Linkshändern und rund 350.000 Rechtshändern.
Das Ergebnis: Die Forscher entdeckten vier Genorte, die sich bei Linkshändern oft von den DNA-Sequenzen der Rechtshänder unterschieden. Drei von diesen Genorten sind eng mit der Gehirnentwicklung verknüpft, wie Wiberg berichtet.
In den Kopf geschaut
Die Vermutung, dass auch das Gehirn eine Rolle spielen könnte, kam schon früh auf: Neben der Forschung am Genom interessierte es viele Wissenschaftler, das Gehirn von Linkshändern und Rechtshändern zu vergleichen. Schon in den 1860er Jahren fand der Arzt Paul Broca heraus, dass das Gehirn asymmetrisch ist. Das bedeutet, dass zwar viele Grundfunktionen wie zum Beispiel die Sinneswahrnehmungen in beiden Gehirnhälften lokalisiert sind, aber bei den meisten komplexeren Aufgaben eine der beiden Hälften dominiert. So finden die Formenerkennung, räumliche Orientierung, aber auch die Verarbeitung von Emotionen und Musik vorwiegend rechts statt, das logische und mathematische Denken dagegen links.
Auch die Wissenschaftler der University of Oxford verglichen neben dem Genom zusätzlich Scans der Hirnaktivität von 721 linkshändigen und 6.685 rechtshändigen Teilnehmern. Die Aufnahmen erlaubten ihnen Rückschlüsse darauf, dass die Linkshänder-Genorte in engem Zusammenhang mit unterschiedlichen Verknüpfung bestimmter Hirnregionen stehen. „Wir haben entdeckt, dass die Sprachregion der linken und rechten Hirnhälften bei Linkshändern koordinierter miteinander kommunizieren als bei Rechtshändern“, erklärt Wiberg.
Das bestätigt frühere Funde, nach denen sich Linkshänder-Gehirne gerade bei der Sprachverarbeitung und der Aufgabenteilung der Sprachzentren von denen der Rechtshänder unterscheiden. So scheint die Asymmetrie der Hirnhälften zumindest bei einigen Linkshändern weniger stark ausgeprägt zu sein.
Kann das noch Zufall sein?
Die Vergleiche zwischen Links- und Rechtshänder gehen noch weiter: Johann Wolfgang von Goethe, Marie Curie, Isaac Newton – sie alle gelten als Genies auf ihrem Gebiet. Und sie alle sind Linkshänder. Sind Linkshänder also intelligenter? Chris McManus vom University College London fand in einer großangelegten Studie mit 11.000 Kindern zunächst heraus, dass der durchschnittliche IQ von Links- und Rechtshändern im Prinzip identisch ist.
„Aber sobald man sich die beiden Extreme anschaute, stimmte das nicht mehr“, so der Forscher. Denn sowohl unter den hochbegabten als auch unter den stark zurückgebliebenen Kindern gab es wesentlich mehr Links- als Rechtshänder. „Der durchschnittliche IQ ist also der gleiche, aber die Verteilung ist eine andere.“ Auch heutige Tests zeigen, dass unter Linkshändern vermehrt die Extreme von höchstintelligenten oder sehr wenig intelligenten Menschen vorkommen.
In der Kunst scheinen ebenso überproportional viele Linkshänder vertreten zu sein, darunter Goethe oder Beethoven. Nach Ansicht der meisten Wissenschaftler ist die größere Kreativität von Linkshändern aber nur ein moderner Mythos. Einen Vergleich zu ziehen, wie viele Künstler die rechte oder linke Hand bevorzugen, sei nämlich praktisch kaum möglich. Und auch Neurologen bestätigen, dass wir Ressourcen aus beiden Hälften unseres Gehirns brauchen um kreativ zu sein. Inwieweit dabei die Ausprägungen der Gehirnhälften eine Rolle spielen, ist ungewiss. Dass eine Kommunikation zwischen den Hemisphären stattfindet, lässt sich – unabhängig von der Händigkeit – aber nicht abstreiten.