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Fisch: Aquakulturen als nachhaltige Alternative zum Fang?

Lachs zum Frühstück, Forelle und Austern zum stilvollen Abendessen: Seit den 1960er-Jahren hat sich der weltweite Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch nahezu verdoppelt. Längst sind Meerestiere zu einer der wichtigsten Eiweißquellen für die Weltbevölkerung geworden. Um die steigende Nachfrage an Fisch auf dem Speiseplan zu befriedigen, gibt es immer mehr Zuchtanlagen für beliebte Fischarten. Aber bedeutet das auch eine Entlastung für ihre wildlebenden Artgenossen?
ABO, 21.09.2020

Käfiggehege an der norwegischen Küste

iStock.com, cookelma

In den Jahren von 1961 bis 2017 ist der Verbrauch von Fischen und Meeresfrüchten um jährlich durchschnittlich 3,1 Prozent angestiegen und wuchs somit sogar schneller als die Bevölkerung. Damit liefern die Meerestiere heute ungefähr 17 Prozent des globalen Tierproteins für die menschliche Ernährung. Laut dem Fisch-Informationszentrum (FIZ) liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland mit beachtlichen 14 Kilogramm im Jahr noch deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt.

Ein neuer Hoffnungsträger

Der erhöhte Fischkonsum ist schon seit Jahren ein Problem – vor allem für die Meere und ihre Bewohner. Denn die Bestände sind durch die Überfischung nahezu erschöpft und einige Arten aus stark befischten Gebieten sind nahezu verschwunden. Dennoch ist die Nachfrage nach Fisch unvermindert hoch. Hoffnungsträger in diesem Dilemma ist die Aquakultur. "Um die wachsende Bevölkerung ausreichend mit Proteinen zu versorgen, kommen wir ohne Aquakulturen nicht mehr aus", sagt Ulfert Focken vom Thünen-Institut für Fischereiökologie in Ahrensburg.

Aber wie genau funktioniert diese Fischhaltung? Während Familien in Afrika und Asien schon seit Jahrtausenden kleine Fischzuchtanlagen zur Ernährung nutzen, hat sich diese Methodik nun zu einer Industrie gewandelt. Im Gegensatz zur Fangfischerei werden Meerestiere - insbesondere Fische, Muscheln, Krebse und Algen - beim Aquafarming in kontrollierter Aufzucht gehalten und vom Besitzer für den Verkauf gefangen und getötet. Die Haltung reicht von intensiver Fischhaltung in riesigen Käfigen bis hin zu geschlossene Anlagen an Land. Letztere ermöglichen eine Züchtung unabhängig von natürlichen Wasservorkommen an fast jedem Ort der Erde.

Aufschwung der Aquakulturen

Ökonomisch haben sich die Aquakulturen bereits bewährt: Seit den 1980er-Jahren erlebt die Branche einen rasanten Aufschwung. Die Aquakultur ist mit Steigerungsraten von durchschnittlich neun Prozent seit 1970 der am schnellsten wachsende Zweig in der globalen Ernährungswirtschaft. 2018 wurden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen weltweit bereits rund 80 Millionen Tonnen Meereslebewesen in Aquakulturen produziert – das entspricht der Hälfte der verzehrten Gesamtmenge an Fisch, Meeresfrüchten und Co.

Inzwischen werden 600 verschiedene Arten von Meerestieren in Gefangenschaft gezüchtet, hauptsächlich aber Lachs, Forellen und Karpfen. Neben China als wichtigstes Produktionsland sind auch Indien, Indonesien, Vietnam, Bangladesch, Ägypten, Dänemark und Norwegen großflächig in die Branche eingestiegen. Von den weltweit 60 Millionen Beschäftigten in der Fischerei arbeiten etwa 20 Millionen Menschen in der Aquakultur.

Die Vorteile von Aquakulturen gegenüber traditionellen Fischfangmethoden liegen in niedrigeren Verkaufspreisen und in der kontinuierlichen Verfügbarkeit des Fisches: Während das Aufkommen von wildem Lachs naturgemäß starken Schwankungen unterliegt, ist der Ertrag aus Aquakulturen gleichmäßiger und leichter zu prognostizieren.

Methoden der Aufzucht

Die wohl bekannteste Technik der Aquakultur sind die Käfig- und Netzgehege: Mittlerweile stammt ein Großteil der Lachse in unseren Kühlregalen aus riesigen Käfiggehegen in den Fjorden Norwegens. Bis zu 200.000 Lachse tummeln sich in einem dieser Zuchtbecken. Die Gehege werden in natürlichen Gewässern wie Teichen, Flüssen oder dem offenen Meer verankert. In der Regel besteht ein Netzgehege aus einem schwimmfähigen Trägersystem und einem Netz, das meist handelsübliche Fische wie Doraden, Lachse oder Kabeljau einschließt. Die Begrenzung erleichtert den Fischern die Fütterung, Kontrolle und den Fang.

Eine weitere Methode der Aquakultur ist die sogenannte Teichwirtschaft, bei der natürliche oder künstlich angelegte Teiche zur Aufzucht von Fischen oder Krebstieren - wie zum Beispiel Karpfen und Garnelen - dienen. Sie ist die bis heute am häufigsten genutzte Form der Aquakultur.

Sogenannte Durchflussanlagen sind eine Form der Teichwirtschaft, die sich besonders für Fische eignen, die strömendes Wasser benötigen, wie beispielsweise Forellen oder Wolfsbarsche. Sie bestehen aus mehreren hintereinander geschalteten Becken, durch die das Wasser eines natürlichen Flusses oder Baches geleitet wird. Regulierbare Zu- und Abläufe ermöglichen eine Aufzucht unter kontrollierten Strömungen und bei gleichbleibender Wasserqualität. Das Abwasser wird vor der Rückführung in die Gewässer von Futterresten und Exkrementen der Tiere gereinigt.

Im Gegensatz dazu benötigen geschlossene Kreislaufanlagen keine natürlichen Gewässer als Wasserlieferanten. Stattdessen wird das Abwasser durch Filtersysteme ständig aufbereitet und in die Zuchtbecken zurückgeführt. In der Regel wird das Wasser unter konstanter Sauerstoffzufuhr durch die Anlage gepumpt und passiert dann einen mechanischen Filter zur Entsorgung von Futterresten und Fischkot. Die Kreislaufanlagen sind aufgrund des hohen technischen Aufwandes kostenintensiver als andere Systeme. Jedoch ermöglichen sie die Zucht von Meerestieren wie Aalen und Wolfsbarschen an fast jedem Standort.

Austernfarm an der Ostküste der USA

pixabay.com, 1957725

Muscheln an der Leine

Nicht nur Fische, sondern auch Muscheln wie Miesmuscheln und Austern werden in mariner Aquakultur gezüchtet: Die bekanntesten Methoden der Muschelzucht sind die Bodenkulturen, die Haltung in Drahtkörben oder Netzsäcken und die Kultivierung auf Langleinen.

Sowohl bei der Bodenkultur als auch bei der Kultivierung in Körben werden Jungmuscheln aus Naturbänken abgefischt und anschließend ins Zuchtgebiet gebracht. Bei der Langleinenkultur heften sich die wilden Jungmuscheln an Seile aus Kunststoff, die an Wasseroberfläche, an Bojen oder am Boden fixiert sind. Schließlich werden sie dort herangezüchtet. Das Plankton im Wasser dient als Nahrungsgrundlage für die Schalentiere, sodass ein zusätzlicher Fütterung von Nährstoffen kaum nötig ist.

Gut für uns, schlecht fürs Tier

Obwohl die Methoden vielversprechend klingen, sind  die Folgen der Aufzuchtmethoden für Tiere und Natur kaum erfreulich: Da Meerestiere wie wir Menschen ein Schmerzempfinden besitzen, kritisieren Tierrechtsorganisationen, dass es sich bei der Fischzucht häufig um Massentierhaltung handelt. Ethisch gesehen sei es nicht vertretbar, dass die Tiere meist auf engstem Raum gehalten werden. Durch die hohe Zahl an Meerestieren, die in den Anlagen zusammenlebt, empfinden die Tiere Dauerstress. Das macht sie anfällig für verschiedene Arten von Krankheiten, darunter Flossenverletzungen durch ständiges Reiben an Artgenossen sowie Parasitenbefall.

Statt die wilden Fischpopulationen zu entlasten, hat die Zucht nachweislich sogar negative Auswirkungen auf die in den Ozeanen lebenden Tiere. Der Grund: Der wachsende Bedarf an Futter gefährdet die überfischten Wildbestände in den Ozeanen. Häufig wird zur Fütterung von fleischfressenden Fischen Fischmehl oder Fischöl verwendet. Dieses stammt von Fischen aus dem Meer. Außerdem gelangen Zuchtfische immer wieder aus den Anlagen in die Ozeane und pflanzen sich mit ihren wilden Verwandten fort. So gelangt für die Zucht verändertes Erbgut in die wilden Fischpopulationen – ein derzeit nicht abzuschätzendes Risiko.

Auch Krankheiten aus den Farmen können auf die wilden Fische im Ozean übertragen werden. Hinzu kommt, dass viele Aquakulturen dort errichtet werden, wo die Fischart gar nicht heimisch ist. Entkommene Tiere können dann das natürliche Gleichgewicht in den Meeren stören, indem sie zum Beispiel mit heimischen, wilden Arten um Nahrung konkurrieren oder sie verdrängen.

Umgekehrt werden immer wieder auch Jungfische aus knappen Wildbeständen gefangen und dann in Aquakulturen aufgezogen. Zum Beispiel ist es noch nicht gelungen Roten Thunfisch in ausreichender Zahl für die Farmen nachzuzüchten. Daher werden junge Thunfische aus freier Wildbahn gefangen, um sie dann in den Farmen groß zu züchten. Das gleiche gilt auch für den Aal.

Flächenfrass: Shrimp-Teiche an der mexikanischen Küste.

Ökologisch bedenklich

Ein Blick auf die Umwelt weckt weitere Nachteile: Aquakulturen verursachen in der Regel große Umweltschäden, wenn Chemikalien, Nahrungsreste, Fischkot und Antibiotika aus den Anlagen in die Flüsse und Meere gelangen. Denn damit geht eine Überdüngung der natürlichen Gewässer durch die große Zahl an Nährstoffen einher. Absinkendes Futter und Fäkalien verschmutzen zusätzlich den Meeresboden unter den Gehegen. Außerdem benötigen einige in Aquakulturen gezüchtete Arten regulierte Temperaturen oder Wasserzufuhr. Das bedingt einen hohen Energie- und Wasserbedarf.

Hinzu kommt: Um überhaupt Platz für die Farmen zu schaffen, wurden bereits großflächig Küstenwälder abgeholzt. Die Welternährungsorganisation schätzt, dass seit 1980 weltweit 3,6 Millionen Hektar der Fischzucht weichen mussten. In den Küstenregionen tropischer und subtropischer Länder gehen durch den Bau von Zuchtanlagen ökologisch wertvolle Lebensräume wie Mangrovenwälder verloren. Alleine auf den Philippinen sind für die Einrichtung von Shrimpzuchtteichen inzwischen zwei Drittel der Mangrovenwälder abgeholzt worden.

Nachhaltigere Perspektiven

Aquakultur ist jedoch nicht per se ökologisch verwerflich - es kommt aber auf die Art der Haltung der auf die gehaltenen Fischarten an. Um die Meere und seine Bewohner zu entlasten, kann die Zucht von pflanzenfressenden Fischen wie Karpfen eine Hilfe sein. So werden die Wildbestände nicht mehr durch Verfütterung gefährdet. "Vor diesem Hintergrund würde es Sinn machen, den Anteil karnivorer Arten in der Aquakultur zu senken“, sagt Michael Ebeling vom Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg.

Und sogar bei einigen räuberischen Fischarten sind die Auswirkungen auf wilde Artgenossen weniger belastend. "Auch Zuchtlachse benötigen eine Mindestmenge an Fischmehl in ihrem Futter um heranzuwachsen. Dieser Anteil wurde jedoch so weit reduziert, dass man heute mit etwa 1,2 Kilogramm Kleinfischen ein Kilogramm Lachs erzeugen kann", so Ebeling. Denn zum einen werde dem Futter ein hoher pflanzlicher Anteil beigemengt. Zum anderen bewegen sich die Zuchtfische deutlich weniger als ihre wilden Verwandten und brauchen deshalb auch insgesamt weniger Nahrung.

Auch zum Schutz der Gewässer gibt es bereits nachhaltigere Züchtungsanlagen - Norwegen macht es vor: Hier haben sich beispielsweise die Produktionsmethoden der Lachszucht verbessert. Dank moderner Impfstoffe verzichten die Züchter dort heute fast gänzlich auf Antibiotika. Und durch veränderte Futtertechniken scheiden die Fische dort weniger Exkremente aus.

Und mit den richtigen Methoden lässt sich auch Wasser sparen: "Anstatt das Abwasser der Fischfarmen in andere Gewässer fließen zu lassen, kann man die Nährstoffe darin auch sinnvoll nutzen", sagt Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er und seine Kollegen betreiben Zuchtsysteme, deren Abwässer zusätzlich im Pflanzenanbau genutzt werden. Mit ihren geschlossenen Kreislaufanlagen können beispielsweise mit 220 Litern Wasser ein Kilo Fisch und 1,6 Kilogramm Tomaten produziert werden.

Drangvolle Enge: Durch die großen Zahl an Meerestieren, die in den Anlagen zusammenlebt, empfinden die Tiere Dauerstress.

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Auf die Verpackung geschaut

Doch nicht nur auf Seite der Produzenten tut sich etwas: "Die Menschen achten verstärkt darauf, Fische aus kontrollierter Herkunft zu kaufen", sagt Aquakultur-Ökonom Ebeling. Im Jahr 2012 ist ein europaweit gültiges Siegel für schonende Aquakultur auf den Markt gekommen: das "Aquaculture Stewardship Council" - kurz ASC. Hersteller, die das Zertifikat erhalten, verpflichten sich nicht nur zum Arten-, Umwelt- und Wasserschutz in den Anbaugebieten, sondern erfüllen auch hohe Sozialstandards.

Auch ein Blick auf Bio-Siegel wie „Naturland“ und „Bioland“, die es inzwischen auch für Zuchtfische gibt, helfen dem Verbraucher über die Haltung des Speisefischs zu entscheiden.

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