Lexikon

Bismarck

Die Innenpolitik des Reichskanzlers

Der Klassenkampf ist unvermeidbar
Der Klassenkampf ist unvermeidbar
Zwei Monate, nachdem die SPD bei der Reichstagswahl stärkste Partei wurde, einen Monat nach seiner Entlassung als Reichskanzler, erklärte Otto v. Bismarck gegenüber dem Korrespondenten des New York Herald (23. April 1890).

...Nein, dieser Kampf der Klassen wird niemals aufhören. Ihn lösen zu wollen, wäre dasselbe wie das Problem der Quadratur des Kreises lösen zu wollen. Es ist eine Utopie, der Traum des tausendjährigen Reiches, das Millenium, der nur verwirklicht werden kann, wenn die Menschen Engel werden. Irgendein Arrangement auf Grund eines festen Arbeitslohnes, z. B. fünf Schilling pro Tag, ist nicht ausführbar. Kein solches Arrangement würde bindend gemacht werden können für diejenigen, welche hundert Jahre später leben werden. Auch würde der Arbeiter von heute nicht zufrieden bleiben. Man gebe ihm fünf Schilling, und er würde bald sechs oder selbst sieben verlangen. Es ist überflüssig, eine endgültige Lösung dieser Frage mit Ausschluss eines künftigen Kampfes für möglich zu halten. Der Sozialismus wird uns noch viel Mühe machen. Den Regierungen ist oft der Vorwurf gemacht worden, es sowohl an Energie wie an Wohlwollen haben fehlen zu lassen. Ich nenne es nicht Nachsicht, wenn ein Mensch so feige ist, dem Druck einer Demonstration nachzugeben. Zuweilen besteht das rechte Wohlwollen darin, Blut zu vergießen. Das Blut einer aufrührerischen Minorität, und zwar zur Verteidigung der ruheliebenden und dem Gesetz gehorchenden Majorität. Das erste Erfordernis einer Regierung ist Energie. Sie darf nicht der Zeit sich anbequemen, nicht die Zukunft für eine nur zeitweilig bequeme Einrichtung aufopfern. Eine Regierung muss konsequent sein. Die Festigkeit, ja sogar die Härte einer herrschenden Macht ist eine Bürgschaft des Friedens, sowohl nach außen wie nach innen. Eine Regierung, die immer bereit ist, einer Majorität nachzugeben, sei die letztere nun eine lokale oder bloß eine zeitweilige, eine parlamentarische oder aufrührerische, und welche ihr Ansehen nur durch Zugeständnisse aufrecht erhält, von denen jedes den Weg zu einem neuen Zugeständnis anbahnt, eine solche Regierung befindet sich in einer traurigen Klemme...

In den beiden Jahrzehnten der Reichskanzlerschaft verfügte Bismarck, der auch preußischer Ministerpräsident blieb, über eine nahezu unangreifbare innenpolitische Stellung. Er arbeitete zunächst mit den Nationalliberalen und den sich ihm nur zögernd wieder annähernden Konservativen zusammen, doch fand er kein vertrauensvolles Wechselverhältnis zum Reichstag. In oppositionellen Kräften sah er „Reichsfeinde“, wodurch der innere Frieden im Reich nachhaltig gestört wurde.
Im Kulturkampf, der Mitte der 1870er Jahre seinen Höhepunkt erreichte, suchte er das neu entstandene Zentrum wegen dessen Kooperation mit den Polen, Elsässern u. Welfen vergeblich zu treffen. Nach zwei Attentaten auf Wilhelm I. 1878 sollte das Sozialistengesetz (bis 1890 mehrfach verlängert) die 1875 gegründete Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, die mit den Anschlägen nichts zu tun hatte, ausschalten.
1878/79 brach Bismarck mit der Mehrheit der Nationalliberalen, die langfristig eine Parlamentarisierung der Monarchie erwarteten, und vollzog durch die Einführung einer Schutzzollpolitik und der damit verbundenen Abkehr vom Freihandel eine grundlegende Wende der deutschen Innenpolitik. Nunmehr sich auf wechselnde Mehrheiten im Reichstag stützend, begann er ein umfassendes sozialpolitisches Programm (Sozialgesetzgebung) zu verwirklichen: Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884), Alters- und Invalidenversicherung (1889); dessen Hauptzweck, die Entfremdung der Arbeiterschaft von der Sozialdemokratie, wurde nicht erreicht.
Bismarck zur Sozialgesetzgebung
Bismarck zur Sozialgesetzgebung
In einer Rede vor dem Reichstag legt Reichskanzler Otto von Bismarck am 2. April 1881 seine Motive für seine sozialpolitischen Pläne dar. Das von ihm eingebrachte Unfallversicherungsgesetz scheitert in diesem Jahr dennoch zweimal im Reichstag.

... das Feld der Gesetzgebung, welches mit diesem Gesetz betreten wird, ... berührt eine Frage, die wahrscheinlich von der Tagesordnung so bald nicht abkommen wird. Seit fünfzig Jahren sprechen wir von einer sozialen Frage. Seit dem Sozialistengesetz ist immer an mich die Mahnung herangetreten von amtlicher, hoch stehender Seite und aus dem Volke: es sei damals versprochen, es müsse auch positiv etwas geschehen, um die Ursachen des Sozialismus, insoweit ihnen eine Berechtigung beiwohnt, zu beseitigen ...

Ich bin nicht der Meinung, dass das laisser faire, laisser aller, das reine Manchestertum in der Politik, jeder sehe, wie er's treibe, jeder sehe, wo er bleibe, Wer nicht stark genug ist, zu stehen, wird niedergerannt und zu Boden getreten, Wer da hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird genommen -, dass das im Staat, namentlich im monarchischen, landesväterlich regierten Staat Anwendung finden könne, im Gegenteil, ich glaube, dass diejenigen, die auf diese Weise die Einwirkung des Staates zum Schutz der Schwächeren perhorreszieren [mit Abscheu zurückweisen], ihrerseits sich dem Verdacht aussetzen, dass sie die Stärke, die ihnen, sei es kapitalistisch, sei es rhetorisch, sei es sonst wie, beiwohnt, zum Gewinn eines Anhangs, zur Unterdrückung der anderen, zur Anbahnung einer Parteiherrschaft ausbeuten wollen und verdrießlich werden, sobald ihnen dieses Beginnen durch irgendeinen Einfluss der Regierung gestört wird ..."
  1. Einleitung
  2. Politische Laufbahn
  3. Der Weg zur Reichsgründung
  4. Die Innenpolitik des Reichskanzlers
  5. Das außenpolitische Bündnissystem
  6. Entlassung und letzte Jahre
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