Lexikon

Kernphysk

ein Gebiet der Physik, das sich mit der Erforschung der Atomkerne beschäftigt. Die Untersuchungen werden durch Beschießen von Atomen mit den verschiedenen Elementarteilchen durchgeführt. Heute stehen hierfür große Apparaturen (Teilchenbeschleuniger) zur Verfügung. Als Erster entdeckte E. Rutherford 1919 beim Beschießen von Stickstoffatomen mit α-Teilchen, dass diese in den Atomkernen stecken bleiben und dass statt ihrer Protonen aus dem Kern herausfliegen. 1932 wies J. Chadwick nach, dass aus einem Atomkern auch neutrale Teilchen, die er Neutronen nannte, herauskommen können. Heute steht fest, dass alle Atomkerne aus Protonen und Neutronen, die zusammen auch die Bezeichnung Nukleonen führen, aufgebaut sind. Diese beiden Teilchenarten sind fast gleich schwer und rund 1836-mal schwerer als das Elektron. Die Zahl der Protonen gibt die positive Ladung des Kerns (Kernladung) und damit die Stellung des Elements im Periodensystem an und heißt Ordnungszahl. Die Zahl der Nukleonen (Protonen plus Neutronen) entspricht dem Atomgewicht und wird als Massenzahl bezeichnet. Kerne mit gleicher Protonen-, aber verschiedener Neutronenzahl heißen Isotope.
Die Nukleonen werden im Kern durch die Kernkräfte zusammengehalten. H. Yukawa vermutete 1935, dass die Kernkräfte durch das Hin-und-her-Fliegen von Mesonen zwischen den Nukleonen erzeugt werden, und tatsächlich wurden später die für die Kernkräfte verantwortlichen Mesonen entdeckt; bisher ist es aber noch nicht gelungen, die Eigenschaft der Kerne durch diese Theorie vollkommen zu erfassen. Außer den üblichen Kräften gibt es noch verschiedene Arten von sog. Austauschkräften, die man nur in mathematischen Formeln fassen, aber nicht anschaulich beschreiben kann. Eine Austauschkraft z. B. tritt bei der Wechselwirkung zwischen einem Proton und einem Neutron dadurch auf, dass das Proton in ein Neutron (und umgekehrt) übergeht. Durch die Kernkräfte werden die Nukleonen im Kern so stark zusammengehalten, dass die Energie von etwa 8 Mio. Elektronenvolt (MeV) nötig ist, um ein Nukleon aus dem Kern zu entfernen. Nach der Energie-Masse-Beziehung E = m · c2 entspricht diese Energie etwa 1% der Nukleonenmasse im Kern, d. h., das Nukleon wiegt im Kern rund 1% weniger als außerhalb. Die gesamte Energie, mit der alle Nukleonen im Kern gebunden sind, die also nötig wäre, um sie alle voneinander zu trennen, heißt Bindungsenergie (Wechselwirkungen). Da die Bindungsenergie der radioaktiven Elemente klein ist, sind diese nicht stabil, sondern gehen unter Aussendung von α-, β- und γStrahlen, Positronen u. a. in andere Kerne über. Man kann auch Kerne durch Neutronenbeschuss künstlich radioaktiv machen, so dass sie zerfallen. Aus der Energiebilanz bei der hierdurch u. U. bewirkten Aussendung eines Elektrons ist zu schließen, dass gleichzeitig mit dem Elektron auch ein sehr leichtes neutrales Teilchen entsteht, das man Neutrino nennt.
Da es bis jetzt nicht möglich ist, die Kerne exakt quantentheoretisch zu berechnen, hat man sich mehr oder weniger anschauliche („phänomenologische“) Modelle ausgedacht, um wenigstens gewisse Eigenschaften der Kerne beschreiben zu können. Nach dem Tröpfchenmodell wird der Kern wie ein Flüssigkeitstropfen betrachtet, dessen Energie aus Volumen-, Oberflächen- und elektrischer Energie (gegenseitige Abstoßung der Protonen) besteht. Durch dieses Modell konnte man die Zusammenhänge zwischen Bindungsenergie, Massenzahl und Ordnungszahl sowie die Spaltung der schweren Atomkerne erklären. In neuerer Zeit entdeckte man, dass genau wie bei der Elektronenhülle auch Atomkerne mit bestimmten Neutronen- und Protonenzahlen besonders stabil sind. Zur Erklärung dient das Schalenmodell: Auf jedes einzelne Nukleon wirken Kräfte, die von den anderen Nukleonen herrühren. Diese Kräfte sind im Mittel so beschaffen, dass sich ein Nukleon im Kerninnern frei bewegen kann und bei Annäherung an den Kernrand eine Kraft verspürt, die es in das Kerninnere zurückzieht. Diese Kraft ist außerdem noch davon abhängig, ob die Richtung des Spins (d. h. der inneren Kreiselbewegung) eines Nukleons parallel oder antiparallel zur Richtung seines Bahndrehimpulses (d. h. der Drehbewegung, die es um den Kern ausführt) ist. Die Abhängigkeit der Energie von der Kopplung zwischen Spin und Bahn des einzelnen Teilchens heißt Spin-Bahn-Kopplung. Wegen der erwähnten Art der Wechselwirkung sind Kerne mit den Neutronen- und Protonenzahlen 2, 8, 20, 28, 40, 50, 82, 126 (magische Zahlen) besonders stabil. In Analogie zu den Elektronenschalen des Atoms werden für Kerne mit diesen Zahlen abgeschlossene Nukleonenschalen (abgeschlossene Schalen) angenommen. Auch die magnetischen Momente der Kerne lassen sich durch dieses Modell bereits erklären. Das optische Modell zur Berechnung der Kernreaktionen bei Neutronenbestrahlung betrachtet den Kern als ein „optisches“ Medium, in dem die Materiewellen der Neutronen gebrochen und absorbiert werden.
Die Forschungsergebnisse der Kernphysik werden u. a. im Kernreaktor zur Energieerzeugung verwertet. Die in ihm erzeugten Neutronen oder die im Betatron, Zyklotron oder Synchrotron erzeugten hochenergetischen geladenen Teilchen kann man auf andere Atome auftreffen lassen und so Kernumwandlungen erzielen, bei denen meist radioaktive Atome entstehen. Die Neutronen eignen sich besonders gut dazu, weil sie wegen ihrer elektrischen Neutralität leicht in den Kern eindringen. Man kann so in der Natur nicht vorhandene Elemente erzeugen, z. B. die Transurane, oder radioaktive Isotope von bekannten Elementen herstellen. Das dadurch erschlossene Anwendungsgebiet der Kernphysik heißt Kernchemie. Die radioaktiven Elemente dienen als Indikatoren in der Medizin, Biologie, Chemie und Technik (Radioindikatoren). Atom.
HR_Schuelerlabor1.jpg
Wissenschaft

Die Quanten-Arena

Wo die Gesetze der Quantenmechanik das Zepter führen, stoßen klassische Experimente und selbst die leistungsstärksten Supercomputer an ihre Grenzen. Doch es gibt einen anderen Weg, um neue Erkenntnisse über den Mikrokosmos zu gewinnen: das Konzept der Quantensimulation. von RALF BUTSCHER Wenn Johannes Zeiher die Steuerung für...

Phaenomenal_NEU.jpg
Wissenschaft

Die Mär von den todbringenden Hornissen

Hornissen werden oft für gefährliche Bestien gehalten. Warum man vor den Tieren im Normalfall aber eigentlich gar keine Angst zu haben braucht, erklärt Dr. med. Jürgen Brater. „Drei Hornissenstiche töten einen Menschen und sieben ein Pferd“. Mit dieser Warnung jagen Eltern ihren Kindern noch heute eine gewaltige Angst vor den...

Weitere Lexikon Artikel

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus der Wissensbibliothek

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon