Lexikon
Verhaltensforschung
eine biologische Forschungsrichtung, die die Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Sinnes-, Nerven-, Hormon- und Muskelphysiologie sowie Kybernetik klären Mechanismen, durch die Tiere einschließlich des Menschen handeln. Ihre Ergebnisse gipfeln in der Erkenntnis vom Zusammenspiel (Integration) aller Faktoren. Innerhalb der Verhaltensforschung ist ein eigenes Begriffssystem entstanden (z. B. angeborener Auslösemechanismus, Appetenzverhalten, Auslöser, Erbkoordination, Instinkt, Instinkthierarchie, Kampf, Rangordnung).
Historische Entwicklung
Der bewusste Umgang mit Tieren (Jagd, Domestikation) zwang den Menschen schon früh zur Beobachtung ihres Verhaltens. Erste Versuche der Deutung beobachteter Verhaltensweisen aus philosophischer Sicht sind aus der Antike überliefert. Aristoteles gestand den Tieren Lust- und Unlustempfindungen zu, die sich in triebhaftem Verhalten äußerten. Sie seien jedoch auch in der Lage, von ihresgleichen und besonders vom Menschen zu lernen. Eine andere Denkrichtung verfolgten Epikur und Plutarch, die wegen der angenommenen Gleichheit der Bausteine des Lebendigen und der Seele das tierische Verhalten aus menschlichen Eigenschaften und Beweggründen herleiteten (Anthropomorphismus). Die Beurteilung nach menschlichen Maßstäben hielt bis in die jüngste Vergangenheit an. Die Folgezeit der abendländischen Kultur ist geprägt durch das Bestreben, die Naturbeobachtung in das jeweils vorgegebene philosophische oder religiöse Weltbild einzufügen. Die Suche nach Übereinstimmungen zwischen Mensch und Tier ist durch Spekulationen bestimmt.
Aristoteles
Aristoteles
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1873 stellte C. Darwin erstmals grundlegende Zusammenhänge des Ausdrucksverhaltens dar (Prinzipien der Aneignung zweckmäßiger Gewohnheiten, der direkten Wirkung des erregten Nervensystems auf den Körper, unabhängig von Willen und Gewohnheit). C. L. Morgan bemühte sich im Kampf gegen die Vermenschlichung der Tiere um eine Versachlichung in der Beschreibung tierischen Verhaltens. J. H. Fabre veröffentlichte jahrzehntelange Beobachtungen des Insektenverhaltens. I. Pawlow leitete die labor-experimentelle Verhaltensforschung ein. Nach einer Reihe weiterer Arbeiten wurde der Grundstock für die exakte Verhaltensbeobachtung 1910/11 von O. Heinroth gelegt. Er bezeichnete das vergleichende Studium stammesgeschichtlich entstandener, erblich fixierter Normen des Verhaltens erstmals als Ethologie. Hier knüpften K. Lorenz und N. Tinbergen an, die meist als Begründer der ethologischen Forschung angesehen werden. Zusammen mit K. von Frisch, der das Farbsehen und die „Sprache“ der Bienen erforscht hatte, erhielten sie 1973 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Die von I. Pawlow eingeleitete physiologische Arbeitsrichtung wandelte sich, begründet durch J. B. Watson, in die Schule der „experimentellen Psychologie“ (Behaviorismus). Während der experimentelle Ansatz allgemein Eingang in die Verhaltensforschung gefunden hat, blieb die hauptsächlich auf den amerikanischen Raum beschränkte, streng milieutheoretisch orientierte Denkrichtung des Behaviorismus ohne internationale Anerkennung.
Arbeitsrichtungen
Die Ethologie entwickelte sich aus der vergleichend morphologischen Betrachtungsweise mit stammesgeschichtlicher Ausrichtung (vergleichende Verhaltensforschung). Ausgehend von der Beobachtung am tierischen Objekt (deskriptive Ethologie), steht der Artvergleich unter Einbeziehung ökologischer Aspekte im Vordergrund. Besondere Berücksichtigung finden im Hinblick auf die Evolution die angeborenen Teile des Verhaltens (Überlebenswert), das hierauf beruhende Instinktkonzept und die Individualentwicklung (Ontogenese). Die Erbkoordination (ererbtes Verhalten) wird als gleich bedeutendes Artmerkmal gegenüber morphologischen und physiologischen Merkmalen gesehen (sog. „klassische Verhaltensforschung“).
Der Behaviorismus beruft sich auf die Objektivierbarkeit von Reiz-Reaktions-Beziehungen. Hauptsächlich wird untersucht, unter welchen im Labor messbaren Bedingungen bestimmte Verhaltensabläufe eintreten und welche Faktoren eine Abschwächung oder Verstärkung der Reaktion auslösen. Hiermit ist der Untersuchungsansatz zwar auf wenige Labortiere begrenzt, kann jedoch zur Klärung wichtiger Fragestellungen beitragen. Im krassen Gegensatz zur Ethologie steht dabei die extrem milieutheoretisch orientierte Denkrichtung des Behaviorismus. Hiernach werden angeborene Verhaltensweisen mit Ausnahme der einfachsten Reflexe abgelehnt. Ausgehend von einer gleichen Ausstattung der Organismen bei der Geburt, sollen Verhaltensabläufe als Ergebnis von Lernvorgängen ausschließlich durch Umwelteinflüsse bestimmt sein.
Die vergleichende Verhaltenspsychologie nimmt eine vermittelnde Position ein. Nachdem zunächst mit dem behavioristischen Denkansatz ein Vergleich des Verhaltens verschiedener Tierarten einschließlich des Menschen erreicht werden sollte, erfolgte wegen des Scheiterns am „unbiologischen Modell“ eine Annäherung an die ethologischen Untersuchungsmethoden.
Heute greifen die verschiedenen Teildisziplinen der Verhaltensforschung sehr eng ineinander. Das Nebeneinander von angeborenen, erfahrungsbedingten und einsichtigen Verhaltensweisen wird anerkannt, ohne die Positionen der vergleichenden Verhaltensforschung aufgeben zu müssen. Damit hat der Begriff Ethologie eine umfassende Erweiterung erfahren. Er ist anwendbar auf Mensch (Humanethologie) und Tier (Tierethologie) und schließt nachfolgende Arbeitsgebiete ein:
Verhaltensembryologie, die Untersuchung der Entwicklung des Verhaltens vor der Geburt oder vor dem Schlüpfen aus dem Ei im Hinblick auf angeborene und umweltbedingte Verhaltensanteile; Verhaltensgenetik, der Nachweis der Vererbung von Erbfaktoren, die das Verhalten beeinflussen; Verhaltensphylogenetik, die Ermittlung stammesgeschichtlicher Zusammenhänge; Verhaltensökologie, Öko-Ethologie, die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem Verhalten einer Tierart und ihrer belebten und unbelebten Umwelt; Verhaltensphysiologie, die Erforschung der physiologischen Grundlagen des Verhaltens.
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