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Plötzlich allergisch gegen Insektenstiche - und nun?
Die Sonne scheint, wir sitzen im Biergarten, grillen im Garten oder gehen spazieren – die Freiluftsaison hat begonnen. Doch damit wächst auch die Gefahr, von Insekten wie Bienen, Wespen und Co gestochen zu werden. Für die meisten Menschen hat dies keine schwerwiegenden Folgen: Die Stichstelle wird rot, schwillt an und tut einige Stunden weh, bevor die Beschwerden wieder abklingen.
Doch das ist nicht immer so: Rund ein Viertel aller Deutschen regiert verstärkt auf einen Insektenstich, schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen hierzulande sind allergisch. Bei Kindern gehen Mediziner davon aus, dass etwa jedes hundertste Kind an einer Insektenstichallergie leidet – teilweise unerkannt. Was viele nicht wissen: Eine solche Allergie kann jederzeit neu auftreten, auch bei einem Erwachsenen.
Der Sensibilisierungs-Prozess – wie sich die Allergie anbahnt
Eine Allergieneigung kann angeboren sein, nicht aber die allergische Reaktion selbst Der Körper entwickelt diese überschießende Immunreaktion erst, wenn er zum ersten Mal Kontakt mit den potenziellen Allergieauslöser hat. Diese sogenannte Sensibilisierung verläuft jedoch von uns meist unbemerkt. Ähnlich wie bei der Abwehr von Krankheitserregern reagieren spezielle Zellen unseres Immunsystems auf die Substanz. Sie merken sich dabei spezielle Oberflächenstrukturen ihres "Gegners", um diesen beim nächsten Mal schneller zu erkennen.
Parallel dazu bildet die Immunabwehr Antikörper, die genau auf diese Oberflächenstrukturen passen – im Falle einer Insektenstichallergie passen diese Antikörper auf die Moleküle des von der Biene oder der Wespe injizierten Gifts.
Wenn nun die betroffenen Person erneut von einem Insekt gestochen wird, kommt es zur allergischen Reaktion: Die Immunabwehr erkennt das Gift als schon bekannten "Feind" und produziert sofort große Mengen der passenden Antikörper, die sogenannten Immunglobuline E (IgE). Diese IgE-Antikörper lagern sich nun an spezielle Zellen an, die Mastzellen, die daraufhin den Körper mit speziellen Botenstoffen, den Histaminen, fluten. Diese übermäßige Histamin-Ausschüttung ist es, die die Blutgefäße erweitert, Entzündungsreaktionen verursacht und im Extremfall einen den anaphylaktischen Schock auslösen kann.
Wie macht sich eine Insektenstichallergie bemerkbar?
Vorsicht ist geboten, sobald nicht nur der Stich wehtut und gerötet ist, sondern man auch an anderen Körperstellen Veränderungen bemerkt – wie beispielweise Juckreiz, rote Flecken oder Schwellungen. "Sobald die Allergie-Anzeichen über eine örtliche Hautreaktion hinausgehen, sollte der Notarzt verständigt werden", erklärt Allergologe Tilo Biedermann von der TU München. Denn dies ist ein Hinweis darauf, dass sich ein sogenannter anaphylaktischer Schock anbahnt – eine im schlimmsten Fall lebensgefährliche allergische Reaktion.
Ursache für diese Reaktion ist eine Freisetzung enormer Mengen des Allergiebotenstoffs Histamin. Dies erweitert die Gefäße und führt so zu einem starken, abrupten Blutdruckabfall. Bemerkbar macht sich dies in Kreislaufsymptomen wie Herzrasen, Schwindel und Benommenheit , auch Blässe und Übelkeit können einen solchen anaphylaktischen Schock ankündigen. Weil die Schleimhäute anschwellen, kann es zu Atemnot, pfeifendem Atem und Schluckbeschwerden komm
Was tun im Notfall?
Spätestens beim Auftreten der ersten Kreislaufsymptome sollte man den Notarzt rufen. Bis dieser eintrifft, kann man der betroffenen Person helfen, indem man sie mit höhergelagerten Beinen hinlegt. Diese sogenannte Schocklage wirkt dem Kreislaufkollaps entgegen. Ist die gestochenen Person bewusstlos, sollte man sie in die stabile Seitenlage bringen und immer wieder Atmung und Puls überwachen.
"Jeden Sommer sterben rund 20 Personen an den Folgen einer allergischen Reaktion auf Insektengift von Wespen und Bienen", sagt Biedermann. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich weit höher. "Nur sehr wenige Menschen wissen um ihre Allergie und lassen sich entsprechend behandeln. Zu viele Menschen setzen sich unnötig akuter Lebensgefahr aus", so der Mediziner. "Daher mein Appell: Haben Sie nach dem Stich einer Biene oder Wespe schon einmal Symptome festgestellt, die über eine Rötung oder Schwellung der Einstichstelle hinausgehen? Dann lassen Sie sich von einem allergologisch tätigen Arzt auf eine Insektengiftallergie untersuchen."
Wie können sich Allergiker schützen?
Weiß jemand, dass er selbst oder sein Kind unter einer Insektenstichallergie leidet – beispielsweise wegen einer durchlebten schweren Reaktion oder weil man einen Allergietest gemacht hat – dann kann man sich auf den "Ernstfall" vorbereiten. Denn es gibt Medikamente ´, die die allergische Reaktion hemmen und so den anaphylaktischen Schock verhindern können – aber sie müssen sofort nach dem Stich verabreicht werden.
„Ein Notfallset enthält einen Adrenalin-Autoinjektor, flüssiges Antihistaminikum und Kortison – alles zusammen rettet im Notfall Leben", erklärt Alexander Kapp von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Denn die Medikamente unterdrücken die Folgen der allergischen Reaktion, sodass der Patient bei einem allergischen Schock am Leben bleibt, bis der Notarzt die weitere Versorgung übernimmt.“ Von der Insektenstichallergie Betroffene sollten daher im Sommer und beim Aufenthalt im Freien immer ein Notfallset dabei haben.
Hyposensibilisierung: Die Allergie "abtrainieren"
Von allein geht eine Insektenstichallergie meist nicht weg. Man kann das Immunsystem aber darauf trainieren, nicht mehr so übermäßig zu reagieren. Dies bezeichnet man als Hyposensibilisierung. Dabei wird der Körper an den auslösenden Giftstoff gewöhnt indem man ihm im Laufe eines längeren Zeitraums langsam steigende Dosen des Insektengifts verabreicht.
„Da jedes Jahr immer noch Menschen nach einem Insektenstich an den Folgen ihrer Allergie sterben, ist bei dieser Allergie die Hyposensibilisierung auf jeden Fall angeraten, denn danach zeigen über 90 Prozent der Insektengift-Allergiker bis auf lokale Schwellungen keine Allgemeinsymptome mehr nach einem Stich", sagt Kapp. Damit gehört die Insektengiftallergie zu den wenigen gefährlichen Erkrankungen, die sehr gut und langfristig behandelbar sind. Geeignet ist die Therapie für Erwachsene und für Kinder ab fünf Jahren.