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Stuttgart 21: Demo ist nur ein Symbol
Es ist doch nur ein Bahnhof! Wieso der Neubau eines Bahnhofs den massiven und nicht nachlassenden Protest der Stuttgarter entfacht hat, erscheint auf den ersten Blick völlig unverständlich. Tatsächlich aber hat sich bei den Stuttgart 21 Demos der Unmut der Bürger an einem Symbol entzündet, wie Politikwissenschaftler Professor Uwe Jun erklärt, einem Symbol für die Distanz zwischen etablierter Politik und Volk. Selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Unzufriedenheit der Menschen mit der Parteienpolitik derart massiv in einen Protest auf der Straße umgeschlagen. Der Trierer Politikwissenschaftler erklärt im Interview mit wissen.de, wie es so weit kommen konnte und wieso die Stuttgart 21 Demos nachhaltige Folgen für die Politik in Deutschland haben wird.
wissen.de: Stehen die massiven Stuttgart 21 Demos oder auch die Proteste in München gegen die Atompolitik der Bundesregierung für ein neues Protestverhalten?
Prof. Uwe Jun: Tatsächlich unterscheiden sich die aktuellen Demonstrationen von denen der 70er, 80er und frühen 90er Jahre, als Gruppen am Rande der Gesellschaft sowie Gruppen in Ausbildung auf die Straße gegangen sind. Heute sind es die etablierten Gruppen, die Leistungsträger, die nicht nur dahinterstehen, sondern von denen der Protest zum Teil überhaupt erst ausgeht. Das war zum Beispiel beim Hamburger Bildungsstreit der Fall. Dieses Phänomen erklärt sich dadurch, dass diese Gruppen eine immer größere Distanz gegenüber der Politik, den etablierten Parteien spüren. Sie sind der Überzeugung, ihre Interessen werden nicht mehr angemessen vertreteten. Neu ist auch, dass sich der Protest durch alle Altersgruppen durchzieht. In Stuttgart gehen sowohl Schüler als auch Rentner auf die Straße.