Die Tuberkulose verfolgt die Menschheit wahrscheinlich schon seit rund 3000 Jahren. Während dieser Zeit konnten die Mediziner viele Erfolge beim Erforschen und Bekämpfen der bakteriellen Infektion verzeichnen, mussten aber auch viele Rückschritte hinnehmen. Glaubte man Mitte des 20. Jahrhunderts noch, der Seuche Herr geworden zu sein, so musste man schon wenige Jahrzehnte später mit Schrecken feststellen, dass die Zahl der Erkrankungen weltweit wieder ein bedrohliches Ausmaß angenommen hatte. Heute ist ein Drittel der Weltbevölkerung mit dem Tuberkulosebakterium infiziert. Das mag unglaublich klingen, ist aber traurige Wahrheit. Jedes Jahr sterben rund zweieinhalb Millionen Menschen an der Krankheit. 1993 erklärte die Weltgesundheitsbehörde die Tuberkulose zum weltweiten Notfall.
Obwohl der Tuberkuloseerreger jedes Organ des Körpers befallen kann, ist die Erkrankung der Lunge mit 90 Prozent die häufigste Form der Infektion. Sie äußert sich durch Husten mit blutigem Auswurf, Atemlosigkeit, nächtlichem Schwitzen und Gewichtsverlust. Die Patienten scheinen dahinzuschwinden. Einer der vielen Namen, den die Krankheit trägt, lautet daher auch Phthisis, was im Griechischen "dahinschwinden" bedeutet. In der Bevölkerung weit verbreitetet war lange Zeit der Beiname "Schwindsucht". Auch "weiße Pest", bezogen auf den bleichen Hautton der Patienten, "die Motten", "Morbus Koch" und "Tbc" sind geläufige Bezeichnungen.
Zwischen der Ansteckung und dem Ausbrechen der Krankheit können teilweise viele Jahre liegen. Allerdings bricht die Krankheit nur bei zehn Prozent der Infizierten aus. Die übrigen leben ihr Leben lang mit der Krankheit, oft ohne von ihr zu wissen. Eine nahe Verwandte ist die Rindertuberkulose, die auch auf den Menschen übertragbar ist, heute jedoch keine große Rolle mehr spielt.
Wachsende Städte boten der Tuberkulose optimale Bedingungen
Bereits in chinesischen Texten aus dem Jahr 2700 v. Chr. wird eine Krankheit beschrieben, die der heutigen Tuberkulose sehr ähnlich ist. Auch die Altägypter, die Griechen und Römer kannten sie. Der griechische Arzt Hippokrates führte sie auf schlechte Luft zurück.
Ihren großen Auftritt hatte die Tuberkulose im 19. und frühen 20 Jahrhundert. Damals veränderte sich das Leben vieler Menschen durch die industrielle Revolution drastisch. Unzählige wanderten vom Land in die Städte aus, wo sie unter schlechten und unhygienischen Bedingungen in Behausungen dicht an dicht lebten. Idealer Nährboden für einen Keim, der sich durch Tröpfchen ausbreitet. Davon wusste man damals allerdings noch nichts, vielmehr nahm man an, dass die Krankheit vererbt wird. Die Tuberkulose fand Millionen von Opfer. Gefährdet waren vor allem Menschen mit einem schwachen Immunsystem. Um 1900 starb jeder vierte Erwachsene in Europa und den USA an Tbc, mehr als an jeder anderen Infektionskrankheit.
Schwindsucht – Die Krankheit der Schönen und Intellektuellen
Zwar boten die widrigen Lebensumstände der unteren sozialen Bevölkerungsschichten der "weißen Pest" optimalen Nährboden, doch viel mehr Aufsehen erregten die zahlreichen Fälle der Künstler und Intellektuellen, die an Tuberkulose starben. Ob Chopin († 1849), Kafka (†1924), die Schriftstellerin Katherine Mansfield († 1923) oder die deutschen Dichter Christian Morgenstern († 1914) und Friedrich Schiller († 1805) – die Galerie der an Schwindsucht gestorbenen Künstler ist beeindruckend. So kam es, dass die Schwindsucht lange als Krankheit der Auserwählten galt. Blasse, ausgezehrte Genies und tragisch Liebende mit fieberglänzenden Augen – das war das ziemlich verklärte Klischeebild der Kranken. Auch in Romanen, Operetten und Theaterstücken wurde die Volksseuche abgehandelt. Bekanntes Beispiel dafür ist das Buch "Der Zauberberg" von Thomas Mann, im dem er über das Leben in einem Lungensanatorium in Davos schreibt. Hintergrund ist der reale Aufenthalt seiner an Tbc erkrankten Frau Katja in Davos. Und auch in der Malerei tauchte die Gestalt der todesnahen, vergeistigten Figur der Schwindsüchtigen auf – etwa in der "femme fragile" der Fin-de-siècle-Malerei. Und auch der norwegische Maler Edvard Munch thematisierte die Tuberkulose: Auf seinem Bild "Das kranke Mädchen" von 1885 stellt er ein tuberkulosekrankes Kind dar. Munch hatte einen traurigen persönlichen Bezug zur Schwindsucht: Im Alter von fünf Jahren hatte er seine Mutter und mit 14 Jahren seine Schwester durch die Krankheit verloren. Auch sein Vater starb 1889 an Tuberkulose.
Bei der gängigen Idealisierung der Krankheit wurde leicht übersehen, dass die Tuberkulose in der Realität alles andere als romantisch ist. Ob es wirklich ein "schönes Sterben" voll Eleganz und Tragik ist, wenn man mit Schmerzen, blutigem Auswurf und Atemnot konfrontiert wird, darf bezweifelt werden.
Luft gegen die Tuberkulose
Tuberkulose war Ende des 19. Jahrhunderts zur Krankheit der Armen geworden. Tuberkulosekranke galten als unsauber, womöglich asozial. Fürsorgestellen wurden eingerichtet und Aufklärungskampagnen gestartet. Mit verordneter frischer Luft, Hygiene, gesunder Ernährung und ordentlicher Lebensweise versuchte man die Krankheit zu besiegen. Der Arzt Hermann Bremer entwickelte die Freiluft-Liegekur und Lungensanatorien entstanden in Luftkurorten. Für die begüterten Tuberkulosekranken gab es Luxus-Sanatorien. Davos wurde berühmt dafür. Prominente Gäste in Davos waren etwa Christian Morgenstern, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Maria Remarque. Remarque veröffentlichte 1961 den Tuberkulose-Roman "Der Himmel kennt keine Günstlinge". Zu literarischer Berühmtheit gelangte Davos vor allem durch Thomas Mann: 1912 besuchte er im Waldsanatorium seine tuberkulosekranke Frau Katja. Die Sanatorien und die Menschen von Davos wurden zum Vorbild für Manns Roman "Der Zauberberg".
Robert Koch entdeckt den Erreger
Den Erreger der Tuberkulose, das Bakterium Mycobacterium tuberculosis, entdeckte 1882 der deutsche Wissenschaftler Robert Koch, der wenig später auch den Cholera-Erreger entdecken sollte. Hoffnung auf Heilung versprach man sich von so genannten Luftkuren. Überall in Europa und den USA eröffneten Lungenheilanstalten, die erste im schlesischen Görbersdorf (heute Polen). Die Behandlung der Patienten bestand darin, sie viele Stunden des Tages in Liegestühlen an der frischen Luft ruhen zu lassen. Um die Verbreitung des Bazillus zu verhindern, bekam jeder Patient einen Spucknapf (bekannt auch als „Blauer Heinrich“, gefertigt aus blauem Glas). Das Ausspucken in der Öffentlichkeit hingegen wurde verboten. Gutes Essen und ein wenig Bewegung rundeten das Programm ab. Kein Wunder, dass diese Kuren sehr beliebt waren – wer über genügend finanzielle Mittel verfügte, kurte teilweise monatelang, selbst ohne eindeutigen Befund. Zu den luxuriösesten Sanatorien gehörte zweifellos das im schweizerischen Davos. Die Wirksamkeit dieser teuren Therapie wurde jedoch schon bald von verschiedenen Ärzten angezweifelt.
Angestachelt von seinen Erfolgen als Bakteriologe versuchte Robert Koch, ein Heilmittel zu entwickeln. Er nannte es "Tuberkulin". Dieser Glyzerinextrakt erwies sich aber als nicht besonders wirkungsvoll. Er eignete sich jedoch als diagnostischer Test und wird als solcher noch heute eingesetzt.
Ein schier endloser Kampf
Zu den Maßnahmen, die Tuberkulose zu bekämpfen, gehörte damals auch flächendeckendes Röntgen der Bevölkerung, um sich auf die Lungenkrankheit untersuchen zu lassen. Dazu fuhren mobile Röntgeneinheiten herum und fertigten kostenlose Aufnahmen der Lunge an. Ein Impfstoff wurde erst 1921 von den französischen Wissenschaftlern Albert Calmette und Camille Guérin entwickelt und nach ihnen benannt (BCG = Bacille Calmette Guérin). Nach seiner Einführung stellte sich jedoch alsbald heraus, dass er nur in wenigen Fällen sicheren Schutz bietet und zudem oft Nebenwirkungen hervorruft. Heute wird er daher nur noch bei einem gesteigerten Infektionsrisiko empfohlen. Mitte der 1940er Jahre kam dann mit Streptomycin das erste wirkungsvolle Antibiotikum zum Einsatz, entwickelt von dem amerikanischen Biochemiker Selman Waksman. Später wurde es mit zwei weiteren Medikamenten kombiniert, um zu verhindern, dass der Erreger gegen einen einzelnen Wirkstoff resistent wurde. Außerdem ging man gezielt gegen die ebenfalls gefährliche Rindertuberkulose vor, indem man Milch vor dem Verzehr erhitzte (pasteurisierte) und befallene Rinderherden tötete. Zudem verbesserten sich die Lebensumstände der Menschen in den Städten deutlich. Mitte des 20. Jahrhunderts schien es schließlich, als sei die Tuberkulose endlich besiegt.
Dass dies ein Trugschluss war, stellte sich in den 1980er Jahren heraus. Während man im Westen bis dahin kaum noch Fälle von Tuberkulose verzeichnet hatte, verbreitete sich die Seuche in den ärmeren Ländern Afrikas, Asiens, Osteuropas sowie Südamerikas weiter. Zudem mutierte das Bakterium und entwickelte Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika – diese wirkten nun nicht mehr. Ganz besonders dramatisch ist die Allianz, die die Tuberkulose mit einer anderen bedrohlichen Infektionskrankheit eingegangen ist: mit AIDS. Leidet ein Patient unter beiden Krankheiten, was nicht selten der Fall ist, beschleunigen sie ihr Voranschreiten gegenseitig. In Teilen Afrikas sind zwischen zehn und 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mit HIV und Tbc infiziert. Weltweit ist die Zahl der jährlichen Tbc-Fälle seit den 1980er Jahren auf das Zehnfache gestiegen – die Seuche macht inzwischen längst nicht mehr Halt vor den Grenzen der westlichen Länder.
Tuberkulose heute: Neue Medikamente müssen her
Tuberkulose stellt heutige Wissenschaftler vor eine große Herausforderung. Ein Drittel der Menschheit ist mit dem Tuberkulosebakterium infiziert. Die Zahl der Neuerkrankungen wird auf weltweit neun Millionen pro Jahr geschätzt. Jährlich sterben mittlerweile rund zweieinhalb Millionen Menschen an Tbc. Zwei Probleme machen die Bekämpfung schwierig: Erstens gibt es momentan keine optimale Impfung gegen die Krankheit. Für Neugeborene gibt es lediglich einen Impfschutz, der gegen die bei ihnen gehäuft vorkommenden Tuberkuloseformen wie die tuberkulöse Hirnhautentzündung wirksam ist. Zweitens sind die Erreger gegen bisher wirksame Antibiotika inzwischen oft resistent.
Tbc ist normalerweise mit Antibiotika in sechs bis acht Monaten heilbar. Die heute gängigen Tbc-Medikamente sind zwar gut vierzig Jahre alt. Richtig eingenommen, sind sie aber wirksam und vor allem auch kostengünstig. Wichtigstes Kriterium bei der Behandlung ist die lückenlose Überwachung und Betreuung der Patienten von der Diagnose bis zur Heilung, da sich bei falscher Einnahme der Antibiotika resistente Erreger bilden können. Diese Tendenz hat man lange unterschätzt. Vom Patienten erfordert die Tbc-Behandlung deswegen große Sorgfalt, da mehrere Medikamente sehr regelmäßig nach einem festen Plan eingenommen werden müssen. Oft brechen die Patienten die Behandlung jedoch verfrüht ab, wenn sie sich wieder gesund fühlen. Mit fatalen Folgen.
Bakterien werden resistent
Da man die Tuberkulose für besiegt hielt, wurden lange Zeit keine großen Anstrengungen unternommen, um neue Medikamente zu erforschen. Bis eine komplette neue Medikamentenkombination zur Verfügung stehen wird, die auch resistente Tuberkulose bekämpfen kann, werden noch Jahre vergehen. Heute gibt es in allen Ländern Tuberkuloseformen, die gegen ein oder mehrere Tbc-Medikamente resistent sind.
Eine besonders schwere Form ist die "MDR-Tuberkulose" (multi-drug resistant tuberculosis), bei der die Tuberkulose-Bakterien gegen die beiden wirksamsten Medikamente (Isoniazid und Rifampicin) resistent sind. Vor allem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, in China und in Südostasien bedroht diese Entwicklung Fortschritte in der Tuberkulosebekämpfung. Prinzipiell ist diese Form der Tuberkulose auch heilbar, die Therapie muss aber über zwei Jahre mit sehr nebenwirkungsreichen und teuren Medikamenten durchgeführt werden. Eine Behandlung kostet rund 15 000 Euro pro Patient.
Inzwischen hat sich vor allem in Ländern, in denen viele Patienten HIV infiziert sind, die "XDR-Tuberkulose" (extensively drug resistant tuberculosis) herausgebildet. Bei diesen Patienten sind die Tbc-Bakterien auch noch gegen die Medikamente resistent, die zur Heilung von MDR herangezogen werden. Eine Behandlung ist in den Fällen so gut wie nicht möglich, vor allem, da die meisten Patienten oft noch vor Diagnosestellung sterben.
Krankheitsverlauf und Therapie: Nicht jeder Infizierte wird krank
Die Tuberkulose verbreitet sich über Tröpfchen, also beim Niesen, Husten oder Spucken. Zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit können mehrere Jahre vergehen. Nur bei 10 Prozent der Menschen, die den Erreger in sich tragen, bricht die Tuberkulose auch wirklich irgendwann aus. Dann nämlich, wenn das Immunsystem durch Alter, andere Krankheiten oder Drogenkonsum geschwächt ist. Von "offener Tuberkulose" spricht man, wenn Keime im Auswurf (Sputum) vorhanden sind.
Die Tuberkulose verläuft in mehreren Phasen: Zuerst fühlt der Patient sich schwach und schwitzt nachts vermehrt. Fieber und Gewichtsverlust sind ebenfalls gängige Erscheinungen. Bei den allermeisten Betroffenen verschwinden diese Anzeichen nach ein bis drei Monaten wieder. Im Körper haben sich an den Infektionsorten, also meist der Lunge, kleine Knötchen (lat.: Tubercula) gebildet. Makrophagen, die Fresszellen des Immunsystems, nehmen die Keime in sich auf. Anders als andere Krankheitserreger hält das Tuberkulose-Bakterium allerdings einer Vernichtung durch verdauende Enzyme stand, wahrschlich dank seiner dicken, säureresistenten Zellwand. Die Bakterien vermehren sich vielmehr in den Makrophagen und halten ansonsten bis zum nächsten Krankheitsschub still. Immunzellen kapseln die betroffenen Makrophagen ein und umhüllen sie mit Bindegewebe, das teilweise verkalkt. Dieses Gebilde nennt man Granulom. Man nennt diese Phase "Primärtuberkulose" oder "geschlossene Tuberkulose", die nicht ansteckend ist. Viele Patienten wissen zu diesem Zeitpunkt nichts von ihrer Infektion und verharren ihr Leben lang in dieser Phase der Krankheit.
Die Krankheit bricht Jahre später aus
Bei Patienten, deren Immunsystem durch andere Vorkommnisse (zum Beispiel eine HIV-Infektion) geschwächt wird, kommt es nach einer variablen Zeit zu einer "sekundären Tuberkulose": Sie haben heftigen Husten mit Auswurf, der auch blutig sein kann. Das Husten bereitet oft Schmerzen, beim Atmen sind deutliche Keuchgeräusche zu hören. Schwäche, Nachtschweiß und Abgeschlagenheit kommen hinzu. Das entzündete Gewebe zerfällt und der Krankheitsherd bekommt Anschluss an die Luftröhre, durch die Gewebe ausgehustet wird. In der Lunge entsteht ein Hohlraum, Kaverne genannt. Der Patient hat jetzt eine "offene Tuberkulose" und ist ansteckend.