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Verneint und daher wahr? Negativen Aussagen glauben wir eher

Ob auf Social Media, auf Nachrichtenseiten oder in Messengerdiensten: Neuigkeiten aus aller Welt sind ständig auf verschiedenen Kanälen abrufbar. Doch was entscheidet darüber, ob wir etwas glauben oder es als "Fake News" abtun? Eine Forschungsgruppe aus der Schweiz hat nun eine mögliche Antwort gefunden auf die Frage: Warum glauben wir manchen Sachen eher als anderen?
JFR, 17.01.2022

Fakt oder Fake - wie entscheiden wir, ob wir etwas glauben oder nicht?

GettyImages, oatawa

Bei der täglichen Informationsflut ist es schwer, die Übersicht zu behalten. Außerdem stellt sich die Frage: Stimmt überhaupt, was ich gerade gelesen habe? Das einzuschätzen, ist nicht einfach – vor allem, wenn uns das nötige Hintergrundwissen fehlt. Studien zeigen, dass neben unserem eigenen Wissensstand und unserer Medienkompetenz auch andere Faktoren einen Einfluss darauf haben, wie wir Informationen bewerten. So beeinflussen zum Beispiel auch Emotionen und Stress, ob wir Meldungen Glauben schenken oder nicht.

Und wir beurteilen Aussagen nicht nur nach Vorwissen oder Begleitumständen, sondern es spielt eine wichtige Rolle, wie die Aussage formuliert ist. Bekannt ist, dass inhaltlich identische Aussagen eher als wahr beurteilt werden, wenn sie auf eine negative Weise ausgedrückt werden, zum Beispiel mit einer Verneinung. Dieser Effekt ist in der Literatur auch als Negativitätsbias in Wahrheitsurteilen bekannt.

Negative Aussagen werden auf zwei Arten getroffen

Doch wie genau werden Informationen in den Aussagen, die wir täglich im Internet beurteilen müssen, negativ verknüpft? Die Sozialpsychologin an der Universität Basel Mariela Jaffé hat in ihren Studien zur Wahrnehmung statistischer Aussagen zwischen zwei Arten negativer Aussagen unterschieden. Zum einen kann man mit einer direkten Verneinung durch "nicht" oder "kein" eine Information negativ verpacken. Beispiele dafür wären: "60 Prozent der Menschen sind mit ihrem Aussehen nicht zufrieden" oder "30 Prozent der Menschen besitzen keinen Fernseher".

Die zweite Möglichkeit, eine negative Aussage zu treffen, sind Formulierungen, die allgemein als negativ wahrgenommen werden. So wird es zum Beispiel von der Gesellschaft als "schlecht" angesehen, wenn man mit seinem Aussehen nicht zufrieden ist oder in seinem Job unglücklich ist. In dem Sinne wäre eine negative Aussage zum Beispiel: "61 Prozent sind mit ihrem Aussehen unzufrieden" oder "40 Prozent sind unzufrieden mit ihrem Job".

Die erste Möglichkeit – also die direkte Verneinung mit zum Beispiel "nicht", "kein" oder "nirgends" - hat dabei den stärkeren Effekt. In Studien konnten die Forschenden zeigen, dass eben diese Formulierungen unsere Wahrnehmung besonders verzerren und wir diesen Aussagen am ehesten glaubten. Es scheint demnach eindeutig, dass wir Aussagen, die durch eine Verneinung getroffen werden, eher Glauben schenken.

Viele Wege führen zur Unzufriedenheit

Doch wie kann dieser Effekt erklärt werden? "Es gibt eventuell mehr Wege, wie eine Person nicht zufrieden sein kann, im Vergleich zu Wegen, wie eine Person zufrieden sein kann", erklärt Jaffé. Und wenn es für eine Aussage mehre Erklärungen gibt, erscheint sie uns logischer und wir halten die Aussage für plausibler.

Dies konnte in einer nachfolgenden Studie bestätigt werden. Denn es gibt viel mehr Möglichkeiten seine Unzufriedenheit auszudrücken und damit eine negative Aussage zu treffen. Man ist entweder "einigermaßen zufrieden", "ein bisschen zufrieden" oder "fast zufrieden". Und diese Liste könnte noch sehr lange weitergeführt werden. Es gibt allerdings nur eine Möglichkeit, eine positive Aussage zu treffen und zu sagen: "Ich bin zufrieden", und das zu glauben, fällt uns schwerer.

Buhrufe sind lauter als Applaus

Doch dies ist nicht die einzige Erklärung, warum wir negativ formulierten Aussagen eher Glauben schenken. Jaffé hat eine weitere Vermutung:  "Ein Grund könnte sein, dass wir negative Nachrichten eher gewohnt sind, positive hingegen schneller unter den Verdacht des Manipulationsversuchs geraten".

Aus der Grundlagenforschung ist außerdem bekannt, dass negative Äußerungen schwerer wiegen als positive: Eine einzelne Kritik kann bei uns viel stärkere Spuren hinterlassen, auch wenn wir zuvor 100 Mal für etwas gelobt wurden. Dass wir negativen Informationen mehr Aufmerksamkeit schenken, könnte evolutionäre Ursachen haben. Denn in der Steinzeit war es bei einem Gefahrensignal besser, einmal mehr wegzurennen, als einmal zu wenig.

Aus den Erkenntnissen von Mariela Jaffé und ihrem Team ergeben sich Fragen für mögliche weitere Forschung. "Wir haben diese Untersuchung nur auf Deutsch durchgeführt. Es wäre spannend zu sehen, ob die Beurteilung von Aussagen je nach Sprachgebiet anders ausfallen würde", sagt Jaffé. Denn schließlich funktioniert jede Sprache in Bezug auf Verneinungen anders.

Die Forscherin appelliert außerdem an alle Mediennutzer, Verneinung nicht manipulativ einzusetzen, beziehungsweise sich dieser Manipulation bewusst zu sein. Die Formulierungen von Aussagen sollte man ständig hinterfragen, um nicht selber in die Glaubwürdigkeitsfalle zu tappen.

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