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Der 8. Mai 1945: Was damals war und was er heute bedeutet
Am 8. Mai 2020 jährt sich das offizielle Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Auch wenn die Corona-Pandemie und die Kontaktbeschränkungen alle Pläne für große Feiern zunichte gemacht haben, wird dieses Jubiläum dennoch in nahezu allen europäischen Ländern als herausragender Gedenktag und als Tag der Befreiung gefeiert. Denn für die Alliierten und die Bewohner der meisten europäischen Länder war das Kriegsende am 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung – von der Bedrohung und Besatzung durch die Nazis und von den Gefahren und Entbehrungen der Krieges.
Zwiespältige Gefühle
In Deutschland allerdings hat der 8. Mai immer schon eher zwiespältige Reaktionen hervorgerufen – und wurde jahrzehntelang kaum beachtet oder gefeiert. Das hat mehrere Gründe. Direkt nach Kriegsende mischten sich bei der Bevölkerung im weitgehend zerstörten und vom Krieg zermürbten Deutschland Erleichterung über das Ende der Kämpfe mit Sorge um die Zukunft. Vor allem in den von Sowjets besetzten Gebieten hatten viele Menschen auch Angst vor Vergeltungsaktionen der Besatzer.
Zudem gab es nicht wenige Menschen in Nachkriegsdeutschland, die die Gräueltaten der Nazis und den Krieg schon wenige Jahre nach 1945 weitgehend verdrängt hatten. Sie wollten schlicht nicht an die Niederlage erinnert werden. In einer Umfrage im Jahr 1948 antworteten beispielsweise 57 Prozent der Menschen in den unter der Verwaltung der Westalliierten stehenden Zonen auf die Frage: "Halten Sie den Nationalsozialismus für eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde?" mit einem "ja". Viele andere Menschen in der noch jungen Bundesrepublik empfanden zudem Scham beim Gedanken an die Nazizeit und wollten deshalb am liebsten alles mit dem Zweiten Weltkrieg Verbundene verdrängen.
Aber auch in den folgenden Jahrzehnten sahen die meisten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland nur wenig Grund zum Feiern. "Während der 8. Mai in der DDR ab 1950 wie in allen anderen Sowjetstaaten alljährlich als Befreiungstag begangen wurde, hat es in Westdeutschland länger mit der Begehung dieses Tages gedauert", erklärt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann von der Universität Konstanz. "Niederlagen feiert man nicht, hieß es damals."
Erst im Laufe der Zeit hat sich die Sicht auf diesen Tag verändert: "Für die Kriegsgeneration und die Soldaten, die an diesem Tag in Gefangenschaft gerieten, fühlte es sich eher wie eine Niederlage an, während ihre Kinder und Enkel sich heute mit den Siegern an die Befreiung durch die Alliierten erinnern", erklärt Assmann.
Ein Wendepunkt: Die Rede Richard von Weizsäckers
Als Wendepunkt und Meilenstein in der offiziellen deutschen Erinnerungskultur gilt die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes am 8. Mai 1985. In ihr sagte Weizsäcker: "Es gab keine Stunde Null, aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn. Wir haben sie genutzt, so gut wir konnten. An die Stelle der Unfreiheit haben wir die demokratische Freiheit gesetzt."
Insofern sei dieser Tag, so erklärte der damalige Bundespräsident, ein "Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" gewesen. Gleichzeitig betonte Weizsäcker auch, dass die Deutschen Mitverantwortung tragen für das, was im Dritten Reich und im Holocaust geschehen war. Dies werde ach nicht relativiert durch das im Krieg erlebte Leid. "Wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für die Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte", so Weizsäcker.
Damit schloss sich Weizsäcker als erstes deutsches Staatsoberhaupt der Sichtweise der anderen europäischen Staaten an – und fand damit im Ausland große Beachtung und Anerkennung. Das galt allerdings nicht im eigenen Land. Denn vor allem in der CDU/CSU, und damit letztlich Weizsäckers eigener Partei, wurde der damalige Bundespräsident stark kritisiert. Den Tag nur als Tag der Befreiung zu sehen, sei zu einseitig, meinte damals beispielsweise der CDU-Politiker Alfred Dregger. Franz Josef Strauß, damals Ministerpräsident von Bayern, schimpfte auf die "ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe".
Diskussionsträchtig bis heute
Bis heute entzünden sich am 8. Mai und der Art seines Begehens politische Diskussionen. So löste die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano im Januar 2020 heftige Debatten aus, als sie in einem offenen Brief an den Bundestag, Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Bundespräsidenten forderte, den 8. Mai auch in Deutschland zu einem gesetzlichen Feiertag zu machen. "Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes", so Bejarano. "Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit."
Viele Vertreter der Grünen und der Linken haben diese Anregung befürwortet, auch einige SPD- und FDB-Politiker meldeten sich dazu mit positiven Reaktionen zu Wort. Durchsetzen konnte sich diese Idee aber bislang nicht. Nur in Berlin ist der 8. Mai 2020 in diesem Jahr ein Feiertag – ausnahmsweise.
Was geschah am 8. Mai 1945?
Doch was genau geschah eigentlich am 8. Mai 1945? Und wie wurde der Zweite Weltkrieg beendet? Blicken wir 75 Jahre zurück. Eigentlich war der Zweite Weltkrieg schon lange vor dem 8. Mai 1945 vorbei: Die meisten Gebiete des ehemaligen Deutschen Reichs waren schon ab Herbst 1944 von alliierten Truppen besetzt. Kämpfe gab es nur noch in Berlin und einigen Gebieten im Zentrum des Landes.
Der von Hitler testamentarisch zu seinem Nachfolger ernannte Großadmiral Karl Dönitz suchte nun einen Weg, möglichst große Teile Deutschlands an die Westalliierten zu übergeben. Er beauftragte Generaloberst Alfred Jodl, mit den Westalliierten unter US-General Dwight Eisenhower zu verhandeln. Am 7. Mai 1945 war es dann soweit: In der Stadt Reims unterzeichnete Jodl im Namen des deutschen Oberkommandos die bedingungslose Kapitulation aller Streitkräfte zum 8. Mai 1945. Admiral Dönitz übermittelte die Nachricht davon mit den Worten: "Am 8.Mai um 23 Uhr schweigen die Waffen."
Eine doppelte Kapitulation
Doch den Alliierten und insbesondere den Sowjets unter Josef Stalin war dies nicht ausreichend: Sie forderten eine persönliche Unterschrift aller deutschen Kommandeure. Sie wollten nicht riskieren, dass im Nachhinein womöglich irgendein Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kapitulation aufkam. Zudem bestand Stalin darauf, dass der Oberkommandierende der Roten Armee, Marschall Georgij Schukow, bei der Zeremonie anwesend war.
Deshalb wurde das Ganze noch einmal wiederholt – diesmal in Berlin-Karlshorst. Am 8. Mai spät abends sollte die deutsche Delegation um Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die Kapitulationsurkunde eigentlich unterzeichnet haben. Im Dokument ist daher auch zu lesen: "Der Krieg endete um 23:01 mitteleuropäischer Zeit am 8. Mai 1945." Doch es gab eine Panne: Vom russischen Text der Urkunde fehlten einige Zeilen. Erst kurz vor Mitternacht traf der fehlende Text ein und die feierliche Unterzeichnung begann. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, unterschrieb die Urkunde erst um 00:16 Uhr – und damit erst am 9. Mai.
Damit war es nun amtlich: Der Zweite Weltkrieg war vorbei. Das Deutsche Reich existierte nicht mehr, Deutschland stand von nun an unter dem Viermächte-Status. Jetzt verkünden auch die Staats- und Regierungschefs der Alliierten - Charles de Gaulle, Josef Stalin, Winston Churchill und Harry Truman – ihren Völkern die Nachricht vom Frieden.