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Der erste Nonstop-Flug über den Atlantik
Heute sind Transatlantikflüge für Piloten Routine: In dichtem Takt transportieren moderne Düsenmaschinen Passagiere und Fracht zwischen Europa und den USA hin und her. Doch vor gut hundert Jahren sah dies noch anders aus. Wer den Atlantik überqueren wollte, dem blieb nur eine tagelange Schiffspassage. Denn die Luftfahrt steckte noch in den Kinderschuhen und war weder technisch noch methodisch für eine solche Ozeanüberquerung gerüstet.
Einer der Gründe: Die Antriebe der ersten Motorflugzeuge waren noch ziemlich unzuverlässig und daher kaum für stundenlange ununterbrochene Flüge geeignet. Hinzu kam, dass ihre Leistung nicht ausreichte, um das für einen Transatlantikflug nötige Benzin tragen zu können. Aber auch für die Piloten war eine solche Ozeanüberquerung eine echte Herausforderung: Ohne Landmarken und in oft rauem Wetter mussten sie ihre Route über die scheinbar endlose Wasserfläche halten.
Das große Wagnis – und ein Preis
Um einen Anreiz für das Wagnis Atlantikflug zu schaffen, schrieb die britische Zeitung Daily Mail im Jahr 1913 einen Preis von 100.000 Pfund für die Piloten aus, die "als erste den Atlantik in einem Flugzeug von einem beliebigen Punkt in den USA, Kanada oder Neufundland nach Großbritannien oder Irland in maximal 72 Stunden nonstop überqueren." Heute würde das Preisgeld fast einer Million Pfund entsprechen – der Anreiz war dementsprechend groß. Zwar machte der Erste Weltkrieg den Piloten zunächst einen Strich durch die Rechnung, gleichzeitig jedoch schafften die mit dem Krieg verbundenen Fortschritte in der militärischen Luftfahrt erstmals überhaupt die Voraussetzungen für einen solchen Flug.
Es entspann sich ein Wettrennen von vier Teams, die den begehrten Preis erringen wollten. Unter ihnen war das vom Flugzeughersteller Vickers gesponserte Duo der beiden Briten John Alcock und Arthur Whitten Brown. Alcock war während des Krieges Pilot der britischen Luftwaffe und daher ein erfahrener Flieger, Brown hatte als Flugingenieur und Navigator Erfahrungen gesammelt. Für ihren Rekordversuch stellte ihnen Vickers eine modifizierte Vickers Vimy zur Verfügung, ein zweimotoriges Doppeldecker-Flugzeug.
14. Juni 1919: Der Flug beginnt
Als Alcock und Brown Anfang Juni 1919 am designierten Startplatz im neufundländischen Ort St. Johns ankamen, waren zwei Konkurrenzteams bereits gescheitert: Ein Pilotenteam war schon beim Start abgestürzt, das zweite über dem Meer – beide konnten aber gerettet werden. Der dritte Konkurrent, ein vom Flugzeughersteller Handley Page ausgestattetes Team, führte bereits letzte Tests an ihrer Maschine durch. Doch zum Glück für Alcock und Brown zögerte der Teamleiter ihrer Rivalen mit dem Start.
Am Mittag des 14. Juni 1919 hoben die beiden Vickers-Piloten von der Startbahn in St. Johns ab und kamen ihren Konkurrenten damit nur knapp zuvor. Das mit 3.900 Litern Treibstoff überladene Flugzeug gewann nur langsam an Höhe und verfehlte nur knapp die Baumwipfel eines nahen Waldes. Doch alles ging gut – zunächst. Mit im Schnitt 185 Kilometer pro Stunde surrte das kleine Flugzeug über den Atlantik Richtung Osten.
Nebel, Lärm und Kälte
Nach einigen Stunden Flug jedoch bekamen die beiden Piloten zunehmend Probleme. Erst fiel der Generator aus, der das Funkgerät und die Heizung antrieb, dann zerplatzte ein Auspuffrohr und die Motorengeräusche steigerten sich zu einem wahren Höllenlärm. Noch bedenklicher jedoch: Ab etwa 17:00 Uhr hüllte dichter Nebel das kleine Flugzeug ein. Ohne Sicht auf den Horizont und die Sonne war Browns Sextant nutzlos. Der Navigator konnte daher weder Kurs noch Position bestimmen.
Im Blindflug irrten die beiden durch den Nebel und zweimal wären sie fast ins Meer gestürzt. Erschwerend kam hinzu, dass die Trimmung defekt war und das Flugzeug daher zunehmend kopflastig wurde. Erst nach Mitternacht konnte Brown wieder einen Blick auf die Sterne erhaschen und zu ihrer großen Erleichterung feststellen, dass sie auf Kurs lagen. Doch schon gegen drei Uhr nachts zog sich der Himmel wieder zu und die Flieger gerieten in einen Schneesturm – das Flugzeug drohte zu vereisen und abzustürzen.
Geschafft!
Doch Flugzeug und Piloten hielten durch: Gegen acht Uhr morgens am 15. Juni 1919 erreichten sie das irische Festland. Nach einem fehlgeschlagenen Landeversuch in einem Moor, der das Flugzeug beschädigt hatte, gelang Alcock und Brown um 08:40 Uhr eine Bruchlandung im irischen County Galway. Das wichtigste aber war: Sie hatten es geschafft. In knapp 16 Stunden Flugzeit war ihnen die erste Nonstop-Überquerung des Atlantiks in einem Flugzeug gelungen. Rund 3.600 Kilometer hatten die beiden Piloten in ihrem Zweisitzer zurückgelegt.
Alcock und Brown wurden nach ihrer Landung als Helden der Fliegerei gefeiert und wenig später vom britischen König George V. für ihre Verdienste um die Luftfahrt geadelt. Und lukrativ war der riskante Flug noch dazu: Die beiden bekamen nicht nur das Preisgeld des Daily Mail-Preises, sondern zusätzlich noch gute 3.000 Pfund von verschiedenen britischen Unternehmen, weil sie als erste Briten den Flug geschafft hatten.
Interessant auch: Der Flug von Alcock und Brown war nicht nur der erste Nonstop-Transatlantikflug, mit ihm brachten die beiden auch die erste Luftpost über den "großen Teich". Denn mit an Bord waren 196 Briefe und ein Päckchen. Der Pionierflug der beiden Briten inspirierte auch weitere Piloten, die riskante Ozeanüberquerung zu wagen. 1927 gelang Charles Lindbergh der erste Soloflug über den Atlantik, 1932 fliegt Amelia Earhart als erste Frau diese Strecke.