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Faszination Gehör
Das Gehör ist einer der wichtigsten Sinne für die Wahrnehmung unserer Umwelt. Dank ihm können wir uns nicht nur mit unseren Mitmenschen unterhalten und Musik genießen. Es hilft uns auch dabei, uns im Raum zu orientieren und Gefahren zu erkennen - zum Beispiel im Straßenverkehr. Damit all dies möglich ist, nimmt unser Ohr kontinuierlich Schall aus der Umgebung auf. Diese Signale werden in elektrische Impulse umgewandelt und ans Gehirn weitergeleitet. Hier erhalten die Klänge dann ihre Bedeutung.
Was einfach klingen mag, ist in Wahrheit ein komplexer Vorgang. Oft wird uns seine Bedeutung leider erst dann richtig bewusst, wenn das Gehör nicht mehr so reibungslos funktioniert wie es sollte - höchste Zeit, sich einmal näher mit der faszinierenden Welt des Hörens zu beschäftigen.
Was ist das absolute Gehör?
Die meisten von uns verfügen über ein relatives Gehör. Das bedeutet: Wir erkennen, ob ein Ton tiefer oder höher ist als ein anderer und um wie viel. Doch manche Menschen hören noch viel mehr - sie können wie einst Beethoven und Mozart die Höhe eines jeden gehörten Tons exakt bestimmen und in ein Notensystem einordnen. Sie besitzen ein absolutes Gehör.
Forscher gehen inzwischen davon aus, dass diese Fähigkeit zumindest zum Teil angeboren ist und auch von der Muttersprache abhängt. So verfügen Menschen, die eine sogenannte Tonsprache wie das chinesische Mandarin als Muttersprache haben, auffällig häufig über ein absolutes Gehör. Bei diesen Sprachen kann ein Wort je nach Tonlage völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Es kommt also auf präzises Sprechen und Hören an - und das trainiert offenbar.
Können Frauen besser zuhören?
Frauen können besser zuhören als Männer - an diesem viel zitierten Klischee scheint wirklich etwas dran zu sein. So belegen Studien, dass das weibliche Geschlecht Gesprochenes in vielen Situationen besser versteht. Das gilt insbesondere in sogenannten Cocktailparty-Momenten: Stören Hintergrundgeräusche wie Straßenlärm, Gesprächsfetzen oder Musik eine Unterhaltung, haben Frauen demnach weniger Probleme damit, sich auf die Stimme ihres Gegenübers zu konzentrieren.
Tatsächlich ist diese Fähigkeit nur dank einer Meisterleistung unseres Aufmerksamkeitssystems überhaupt möglich. Denn das Gehirn muss die einströmenden Informationen dafür selektiv verarbeiten. Es filtert bedeutsame Reize heraus, während es unbedeutende unterdrückt. Das kindliche Gehirn meistert diese Aufgabe noch nicht besonders gut, wie Forscher kürzlich herausgefunden haben. Die Fähigkeit zum selektiven Hören entwickelt sich offenbar erst im Laufe des Lebens.
Wie sehr belastet Lärm unseren Hörsinn?
Ob Autos auf der Straße, lärmende Handwerker oder die lauten Stimmen spielender Kinder: Wir sind im Alltag ständig von Lärm umgeben - und das kann empfindliche Folgen haben. Zwar können sich das Innenohr und auch das Hörzentrum im Gehirn bis zu einem gewissen Grad vor zu lauten Höreindrücken schützen, aber irgendwann sind diese Mechanismen überfordert.
Durch lauten und anhaltenden Lärm droht auf Dauer eine Beschädigung der Haarsinneszellen im Ohr. Diese Gefahr besteht bereits ab einer Lautstärke von 85 Dezibel. Ab 130 Dezibel kann unser Gehör sogar binnen Sekunden dauerhaft Schaden nehmen: Nur ein einziges, entsprechend lautes Impulsgeräusch genügt, um das Trommelfell zum Platzen zu bringen oder ein Knalltrauma zu verursachen.
Wo ist der stillste Raum der Welt?
Vom Lärm zur Stille: Der leiseste Raum der Welt befindet sich laut Guiness-Buch der Rekorde in der US-Stadt Redmond. Dort hat das Unternehmen Microsoft eine schalltote Kammer gebaut. Die Wände dieses völlig von der Außenwelt abgeschirmten Raumes absorbieren Schall zu 99 bis 100 Prozent. In seinem Inneren herrscht eine unvorstellbare "Lautstärke" von minus 20,1 bis minus 20,6 dBA. Das kommt fast der Stille des Weltraums gleich.
Ingenieure nutzen diesen Raum der Stille, um Mikrofone, Lautsprecher und Sprachassistenten weiterzuentwickeln. Doch angeblich halten es die meisten von ihnen nicht länger als eine knappe Stunde in der lärmfreien Umgebung aus - die ungewohnte Ruhe ist auf Dauer schlicht zu unheimlich.
Wie entsteht Tinnitus?
Es klingelt, rauscht oder piept: Rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einem Tinnitus. Doch woher kommen diese unangenehmen Töne überhaupt? In ganz seltenen Fällen ist für die Geräusche im Ohr tatsächlich eine objektive Schallquelle verantwortlich. Muss zum Beispiel in der Nähe des Ohrs Blut durch verengte Gefäße strömen, kann man das mitunter hören. Auch ein untersuchender Arzt ist in so einem Fall in der Lage, diese Töne wahrzunehmen.
In der Regel nimmt jedoch nur der Tinnitus-Patient selbst die Ohrgeräusche wahr. Es handelt sich somit um Phantomgeräusche - und die entstehen im Gehirn, darüber sind sich Wissenschaftler heute weitestgehend einig. Bestimmte Hirnareale, die normalerweise als Filter für akustische Wahrnehmungen fungieren, arbeiten bei den Betroffenen demnach nicht richtig - und erzeugen Höreindrücke, die eigentlich gar nicht da sein dürften.
Wer hat das "schnellste" Gehör im Tierreich?
Afrikanische Elefanten haben Riesenohren, Fledermäuse können Ultraschall hören und bei der Schleiereule sitzt ein Ohr etwas höher als das andere - viele Tiere haben rund ums Hören erstaunliche Anpassungen entwickelt. Doch in Sachen Schnelligkeit übertrumpft kein Gehör das des Schweinswals: Schon 30 Stunden nach der Geburt können Baby-Schweinswale perfekt hören, wie Forscher festgestellt haben.
Damit reift ihr Hörsinn schneller als bei jedem anderen Säugetier. Zum Vergleich: Bei den meisten Arten dauert diese Entwicklung Wochen bis Monate. Menschenkinder benötigen sogar Jahre, bis ihr Gehör voll ausgereift ist.