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Frühlingsgefühle durch modriges Laub?
Mit dem Frühling kommt der Neuanfang: Wir fühlen uns fitter, unternehmungslustiger und haben Lust auf Neues. Auch das Flirten und sich neu verlieben soll – so die landläufige Meinung – im Frühjahr boomen. Aber warum eigentlich? Gibt es die Frühlingsgefühle wirklich oder ist das alles nur Einbildung?
Klar ist: Im Frühling beginnt sich unser Körper von den Strapazen des Winters zu erholen. Stoffwechsel und Organe werden aktiver und die von der Kälte im Freien und der Heizungsluft im Inneren angegriffene Haut regeneriert sich.
Vor allem das Sonnenlicht der länger werdenden Tage tut dem Körper gut und hilft dabei, die Vitamin D Speicher in unseren Knochen wieder aufzufüllen. Doch nicht nur der Körper reagiert auf das Licht. Auch die Psyche lässt sich von der Sonne aufheitern.
Schlafsand- und Glückshormon
Wenn wir im Frühling munter und aktiver werden, spielen die Hormone dabei einen wesentlichen Part - insbesondere das Wechselspiel zwischen Melatonin und Serotonin. Melatonin ist sozusagen der körpereigene Sandmännchen-Sand: Es wird hauptsächlich abends und nachts im Gehirn von der Zirbeldrüse gebildet. Denn Licht hemmt die Melatoninausschüttung. Da sich die Sonne im Frühjahr jeden Tag etwas länger blicken lässt, sinkt auch unser durchschnittlicher Melatoninspiegel.
Gleichzeitig regt das Sonnenlicht die Produktion des Glückshormons Serotonin an, wir fühlen uns wacher und aktiver. Die Antriebslosigkeit der dunklen Wintertage fällt von uns ab wie ein schwerer Mantel.
Frühlingsgefühle – eine Sache der Hormone?
Der einer oder andere glaubt jetzt sogar, plötzlich Frühlingsgefühle zu entwickeln. Zumindest Männer strotzen zu dieser Jahreszeit vor Testosteron. Das "männliche" Sexualhormon-Hormon wird bei ihnen im Frühling und Sommer verstärkt produziert, während Frauen keinem vergleichbaren hormonellen Jahresrhythmus unterworfen sind. Spielen etwa nur bei Männern die Hormone verrückt?
"Dass die Sexualhormone im Frühling verrückt spielen und man sich deswegen verliebe, das ist ein Ammenmärchen. Die Hormone sind seit Millionen von Jahren reguliert. Sie spielen nicht verrückt - auch nicht im Frühling. Die Geschlechtshormone haben nichts mit Verliebtsein und Turteln zu tun", sagt Endokrinologe Helmut Schatz von der Ruhr-Universität Bochum im Interview mit Spiegel-online.
Diese Meinung teilen nicht alle Experten. So relativiert Matthias Weber von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie den Standpunkt von Schatz ein wenig: "Durch hormonelle Einwirkungen wie die Pille, durch Winterreisen und andere künstliche Bedingungen können die natürlichen Reize heute zwar abgeschwächt werden. Aber sicherlich sind sie immer noch vorhanden", sagt er gegenüber "Die Welt".
Schöne Aussichten
Doch wenn Hormone nur eine kleine oder gar keine Rolle spielen, was dann? Ein möglicher Grund für das Aufkommen von Frühlingsgefühlen sei tatsächlich der schwere Mantel des Winters, der eben nicht nur metaphorisch von uns abfällt, sagt Schatz: "Die Menschen gehen nicht mehr verhüllt in dicken Kapuzenmänteln, sondern leichter bekleidet durch die Straßen. Die Männer schauen den Damen in Miniröckchen gerne auf die Beine und auf den Busen. Die Frauenwelt blickt auf kräftige Männerarme und den knackigen Po." Dass man bei diesen optischen Reizen schneller in frischen Liebestaumel verfällt, wundert Schatz nicht. Die kräftigeren, hellen Farben der aufblühenden Natur täten ihr übriges, um auch uns wieder aufblühen zu lassen.