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Im Gespräch: C. Dressel, Mensa in Deutschland e.V.

Christian Ebel

Carl-Christian H. Dressel, 31 Jahre alt, von Beruf Richter, ist Vorsitzender von Mensa in Deutschland e.V. (MinD, http://www.mensa.de), einer Vereinigung für intellektuell Hochbegabte mit weltweit über 100.000 Mitgliedern. wissen.de sprach mit ihm über die aktuelle Bildungsmisere in Deutschland.

PISA-Studie

Wie erklären Sie sich, dass deutsche Schüler im internationalen Vergleich so schlecht abschneiden? Sind unsere Jugendlichen weniger lernfähig als die Schüler in anderen Ländern?

Eine umfassende Erklärung für dieses horrende Ergebnis habe ich leider auch nicht. Aber an „Lernfähigkeit“ liegt es ganz sicher nicht. Das Resultat der PISA-Studie zeigt meines Erachtens, dass deutsche Schüler zu kreativen Leistungen mit neuartigen Ansätzen mehrheitlich nicht fähig sind. Neugierde wecken, Lust auf Fähigkeiten, das berauschende Gefühl es geschafft zu haben und zu wissen, es beim nächsten Mal auch wieder schaffen zu können, sollten die Ziele einer modernen Bildungspolitik sein, und nicht die immer noch andauernde Schaffung wandelnder Lexika. In einer Zeit, in der das Wissen dermaßen schnell veraltet wie heute, muss die Fähigkeit gelehrt und gelernt werden, sich Aktuelles zu beschaffen, Informationen kritisch zu hinterfragen, auszuwerten und Schlüsse zu ziehen. Die Frage lautet nicht "Wie löse ich das Problem?" sondern "Wie komme ich an die aktuelle Antwort auf die Frage 'Wie löse ich das Problem'?"

Getestet wurde in der PISA Studie vor allem das Leseverständnis. Eigentlich sollte man erwarten, dass Schüler nach zehn Schuljahren den Umgang mit Texten beherrschen. Wird an deutschen Schulen zu wenig gelesen?

Nein, es wird zu wenig verstanden. Ich erinnere mich - um beim Leseverständnis zu bleiben - da noch mit Grausen an die eigene Schulzeit, wo es darum ging, einem Gedicht nach „Schema F“ Gewalt anzutun, um ihm mit Hilfe von Stilmitteln und bestimmten (vorgegebenen) Vorgehensweisen eine vermeintliche Aussage zu unterstellen. Eigener Phantasie und Einfühlungsvermögen wurden dabei von vornherein Grenzen gesetzt. Solche antrainierten Verhaltensweisen, nämlich die Suche nach der Patentmethode für die Lösung und anschließendes Abspulen des für 'richtig erkannten Lösungsweges, können dann von den Schülern nicht mehr überwunden werden.

Wie Sie gerade schon sagten, hat die Studie gezeigt, dass Unterricht nicht bei der Wissensvermittlung aufhören darf - das Verstehen des Schulstoffs und die praktische Anwendung sind genauso wichtig. Wird an unseren Schulen das Lernen fürs Leben vernachlässigt?

O ja. Zu den, wie sie der SPIEGEL nannte, „Texten ohne Welt“ gesellen sich in anderen Fächern „Fakten ohne Bezug zum Leben“. Und das ist ein Problem - nicht nur für deutsche Schüler und Schulen im internationalen Vergleich, sondern auch für unseren Wirtschaftsstandort. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte völlig recht, als er in seiner ersten Regierungserklärung sagte, dass Bildung und Ausbildung die wichtigen Ressourcen in unserem rohstoffarmen Land sind. In diesem Sinne vermittelt PISA hoffentlich einen heilsamen Schock. Mit der Idee, individuelle Fähigkeiten und nicht bloß Wissen zu vermitteln, lässt sich für alle Schüler quer durch alle Leistungsfähigkeiten ein gewaltiger Schritt in Richtung auf Lebensfähigkeit in einer schnellebigen Zeit tun.

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