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Können soziale Medien die Demokratie gefährden?

Die einen verteufeln das Internet und digitale Medien als Demokratiekiller, die anderen sehen in ihnen eine Chance für mehr politische Partizipation. Wer hat recht? Eine Studie, die weltweit Auswirkungen von digitalen Medien auf Demokratien untersucht hat, kommt zu folgendem Schluss: Das Internet und soziale Medien haben durchaus positive Effekte, können aber gleichzeitig ebenso Polarisierung und Populismus vorantreiben und bestehende Demokratien damit gefährden.
AMA, 23.11.2022
Symbolbild Gewalt im Internet
Internet ist eine Waffe mit enormer Reichweite, der sich prinzipiell jeder bedienen kann, um eigene Botschaften zu verbreiten – ohne die Hemmschwelle, die im persönlichenen Umgang meistens noch vorhanden ist.

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Das Internet ist eine starke Waffe mit enormer Reichweite, der sich prinzipiell jeder bedienen kann, um eigene politische Botschaften zu verbreiten. So können sich Leute mit gemeinsamen Zielen finden und zusammenschließen. Das können konstruktive Ziele wie mehr Demokratie, Umweltschutz oder Gleichberechtigung sein, was sich etwa bei der Bewegung des Arabischen Frühlings, Fridays for Future oder #MeToo zeigte.

Es können aber auch destruktive Ziele sein wie der Anschlag auf das Kapitol der Vereinigten Staaten oder das Verbreiten von Lügen, wie Donald Trump es getan hat. Doch welche der beiden Seiten überwiegt? Bringen digitale Medien die Menschen zusammen oder entzweien sie die Bevölkerung? Und welche Auswirkungen hat das auf die Demokratie?

Suche nach dem Effekt digitaler Medien

Um das herauszufinden, haben Forschende um Philipp Lorenz-Spreen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung fast 500 wissenschaftliche Artikel aus aller Welt analysiert, in denen es um den Zusammenhang zwischen digitalen Medien und Demokratie ging. Unter digitalen Medien verstanden sie dabei jegliche Art der Verbreitung von Informationen und Botschaften über das Internet. Dazu gehören soziale Medien wie Instagram und Twitter ebenso wie Diskussionsforen oder die Online-Ableger großer Tageszeitungen.

Das Team schaute sich die verschiedenen Forschungsartikel unter anderem dahingehend an, wie digitale Medien sich auf politische Beteiligung, Vertrauen in die Politik, Polarisierung und Populismus auswirken. Lorenz-Spreen und seine Kollegen konzentrierten sich dabei auf Artikel, die eindeutige kausale Zusammenhänge lieferten. Sie suchten also nicht nach Aussagen wie „Die Demokratie ist geschwächt und digitale Medien sind auf dem Vormarsch“, sondern „Die Demokratie ist geschwächt, weil digitale Medien auf dem Vormarsch sind“.

Es kommt auf den Kontext an

Das Resultat dieser umfangreichen Analyse ist zweigeteilt und hängt stark davon ab, welches Land man betrachtet. Demnach haben etablierte Demokratien in Europa oder den USA verstärkt mit den negativen Auswirkungen digitaler Medien zu kämpfen, während aufstrebende Demokratien in Südamerika, Afrika und Asien deutlich von den positiven Effekten der digitalen Medien profitieren.

Zu diesen positiven Effekten gehört laut Lorenz-Spreen und seinen Kollegen, dass digitale Medien für ein besseres politisches Wissen in der Bevölkerung sorgen und sie mit verschiedenen Standpunkten zu einem Thema versorgen. In demokratischen Ländern erhöhen sie außerdem die politische Beteiligung, indem durch sie zum Beispiel mehr Leute wählen gehen.

Doch dem steht eine Reihe negativer Effekte entgegen. So bestätigte das Forschungsteam zum Beispiel, dass Internet und soziale Medien das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik sinken lassen. Außerdem verleihen sie Polarisierung und Populismus Auftrieb, die zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Das hat auch Einfluss darauf, wen die Menschen wählen oder politisch unterstützen, wie die Forschenden erklären: „So führte beispielsweise die Nutzung digitaler Medien in Europa zu einer verstärkten Unterstützung rechtsextremer Populisten und es gab kausale Belege dafür, dass digitale Medien ethnische Hassverbrechen sowohl in demokratischen als auch in autoritären Ländern fördern können.“

In etablierten Demokratien wie Deutschland könnten diese Tendenzen langfristig zu einem Problem werden, warnen Lorenz-Spreen und seine Kollegen: „Unsere Ergebnisse geben Anlass zur Sorge. Neben den positiven Auswirkungen der digitalen Medien auf die Demokratie gibt es eindeutige Hinweise auf ernsthafte Bedrohungen der Demokratie.“ Sie empfehlen, noch intensiver zu dem Thema zu forschen, um eine solche Entwicklung noch abwenden zu können.

Quelle: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

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