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Metamaterialien – Manipulateure des Lichts

Sie können Objekte wie ein Tarnmantel unsichtbar machen, Strahlung manipulieren und sogar Licht zum Stehen bringen: Mit Metamaterialien scheint fast nichts unmöglich. Kein Wunder, dass diese künstlich hergestellten, maßgeschneiderten Strukturen momentan in Forschung und Technik boomen. Doch wo liegt das Geheimnis ihrer exotischen Fähigkeiten? Und welche Anwendungen sind damit möglich?
NPO, 20.06.2022
Symbolbild Metamaterial
Metamaterialien besitzen eine Struktur, die Strahlung auf scheinbar "unmögliche" Weise brechen kann.

imagenavi,  Getty images

Auf den ersten Blick sehen die meisten Metamaterialien eher unspektakulär aus. Denn mit bloßem Auge ähneln sie ganz gewöhnlichen Kristallen oder glatten Oberflächen. Auch ihre Zusammensetzung muss keineswegs exotisch sein: Einige bestehen aus Metall, andere aus Silizium oder sogar Plastik. Trotzdem bringen sie Licht und andere elektromagnetische Strahlung zu scheinbar unmöglichem Verhalten.

Unmögliche Lichtbrechung

Einige Metamaterialien können beispielsweise die Richtung, Phase und Polarisierung eines Lichtstrahls so verändern, dass das Licht quasi in den Rückwärtsgang gezwungen wird. Der Strahl wird vom Material genau anders herum gebrochen als bei einem normalen Material üblich. Das führt zu dem paradoxen Effekt, dass eine konkave Sammellinse aus diesem Metamaterial das Licht nicht bündelt, sondern zerstreut. Umgekehrt würde eine Streulinse das Licht bündeln – physikalische Gesetze scheinen auf den Kopf gestellt.

Möglich ist dieser paradoxe Effekt, weil solche Metametamaterialien einen negativen Brechungsindex haben. Die Strahlung wird dadurch beim Eintritt in dieses Material nicht zum Lot hin gebrochen, sondern darüber hinaus in die entgegengesetzte Richtung. Dass solche Materialien existieren und herstellbar sein könnten, sagte zwar schon der russische Physiker Viktor Veselago im Jahr 1968 voraus. Doch weil in der Natur negative Brechungsindizes nicht vorzukommen scheinen, hielt man dies lange für unmöglich. Inzwischen haben Wissenschaftler jedoch unzählige verschiedene Metamaterialien entwickelt.

Linsen, Trafos und Hologramme

Die Fähigkeit der Metamaterialien, Strahlung und insbesondere Licht auf zuvor unmöglich geglaubte Weise zu manipulieren, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Anwendung. Vor allem in der Optik werden diese Materialien inzwischen genutzt, um neuartige Linsen und Displays für Kameras, Mikroskope und 3D-Projektionen zu entwickeln. So haben US-Forscher kürzlich eine Kameralinse aus Metamaterial entwickelt, die nur einen halben Millimeter groß ist, aber in Auflösung und Lichtstärke mit einer klassischen, 500.000-fach größeren Kameralinse mithalten kann.

Einige Meta-Linsen können auch als eine Art Licht-Trafo fungieren: Sie wandeln energieärmere langwellige Strahlung in kurzwelligere um – etwas, das ohne Energiezufuhr eigentlich unmöglich ist. Möglich wird dies durch einen Resonanzeffekt, der für eine Frequenzverdopplung der Strahlung sorgt. Und auch Hologramme und Hologrammvideos blassen sich mithilfe von speziellen Metamaterialien erzeugen.

Auf die Struktur kommt es an

Was aber ist das Geheimnis dieser Fähigkeiten? Der Clou der Metamaterialien ihre Struktur: Sie weisen winzige, sich wiederholende Grundeinheiten auf, die ähnlich wie bei einem normalen Kristall die Durchlässigkeit für Licht und andere Strahlung beeinflussen. Die geringe Größe und spezielle Form dieser Einheiten sorgt jedoch bei den Metamaterialien dafür, dass die Strahlung auf physikalisch ungewöhnliche Weise manipuliert wird.

Wie groß die Struktur eines Metamaterials sein darf, hängt dabei von der Wellenlänge der Strahlung ab: Die exotische Brechung tritt erst dann auf, wenn die sich wiederholenden Grundeinheiten kleiner sind als eine viertel Wellenlänge der einfallenden Strahlung. Das bedeutet: Soll das Metamaterial langwellige Strahlung wie Radar- oder Radiowellen manipulieren, können die Zellen mehrere Zentimeter groß sein. Bei sichtbarem Licht hingegen bewegen sie sich im Nanometerbereich.

Meta-Linse für Radiowellen
Kunsthandwerk aus dem Labor: Diese Meta-Linse für Radiowellen besteht aus 4.000 S-förmig gebogenen Kupferhäkchen.

Dylan Erb / MIT

Das Material: von Silizium bis Kupfer

Woraus ein Metamaterial besteht und wie seine Struktur beschaffen ist, kann ebenfalls sehr unterschiedlich sein. Einige dieser Konstrukte bestehen aus winzigen Kanälchen, Plättchen oder Säulen, die in Silizium-Chips eingebettet sind. Auch eine regelmäßige Anordnung von Schlitzen oder Löchern oder eine Struktur ähnlich winzigen gestapelten Holzscheiten kann zum Metamaterial werden. Andere Varianten tragen kleine Säulen aus Metall oder Metallverbindungen auf ihrer Oberfläche, deren Geometrie und Abstände die exotischen Brechungseffekte hervorbringen.

Fast schon ein Kunstwerk ist eine Metamaterial-Linse, mit der Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) Radiowellen manipulieren:  Das flache, konkav gewölbte Konstrukt besteht aus mehr als 4.000 s-förmig gebogenen Kupferhäkchen, die jeweils nur wenige Millimeter groß sind. Diese Grundeinheiten sind so miteinander verhakt, dass sie eine vier Zentimeter dicke und 25 Zentimeter breite Linse bilden, die für Mikro- und Radiowellen durchlässig ist. Dank seines negativen Brechungsindex kann dieses kettenhemdartige Metamaterial die Strahlung so stark brechen und bündeln wie sonst nur meterlange Strahlengänge.

Metamaterial als Tarnmantel

Metamaterialien können sogar den alten Traum von der Tarnkappe oder dem Tarnmantel Wirklichkeit werden lassen.  In begrenztem Rahmen funktioniert das Unsichtbarmachen sogar schon jetzt: Wissenschaftler haben Tarnkappen für Mikrowellen, Infrarotlicht oder auch einzelne Bereiche des sichtbaren Lichts entwickelt. Allerdings sind sie ziemlich unhandlich und können nur Objekte kaschieren, die viel kleiner sind als sie selbst. „Sie ähneln weniger Harry Potters Umhang als vielmehr Harry Potters Schuppen“, erklärt John Pendry vom Imperial College London.

Symbolbild Tarnmantel
Das ultradünne Metamaterial eines an der University of California in Berkeley entwickelten Tarnmantels ist mit Goldblöckchen bedeckt, die das einfallende Licht manipulieren.

Xiang Zhang group / UC Berkeley

Aber auch ein echter Harry-Potter-Tarnmantel rückt langsam näher: 2015 haben Forscher der University of California in Berkeley erstmals ein Metamaterial vorgestellt, das extrem dünn ist und selbst  unregelmäßig geformte, größere Objekte kaschieren kann. Das neuartige "Tarntuch" besteht aus einem nur 80 Nanometer dicken Metamaterial, das sich wie eine dünne Haut an darunter liegende Objekte anschmiegen kann. Auf seiner Oberfläche sitzt eine Nanostruktur aus winzigen Goldblöckchen, die das einfallende Licht so manipuliert, dass Unebenheiten kaschiert werden.

Allerdings: Bisher funktioniert die Tarnung dieses Metamantels nur für eine bestimmte Wellenlänge des Lichts – in diesem Fall rotes Licht von 730 Nanometer Wellenlänge. Bis es Metamaterialien gibt, die ein Objekt oder eine Person im gesamten Wellenbereich des Lichts unsichtbar machen können, wird es daher wohl dauern.

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