wissen.de Artikel
Wie funktionieren Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer?
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer, wie zum Beispiel Venlafaxin, erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. An welcher Stelle SNRIs genau ansetzen, wie sie bei Depressionen helfen können und was bei der Anwendung zu beachten ist, soll im Folgenden erläutert werden. Wichtig: Dieser Artikel kann keine individuelle medizinische Beratung ersetzen.
Was ist die Funktion von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn?
Sowohl Serotonin als auch Noradrenalin beeinflussen den Kreislauf und das Schmerzempfinden sowie die Stimmung und den Antrieb. Sie gehören zur Gruppe der sogenannten aktivierenden Neurotransmitter und haben nicht nur, aber insbesondere im Gehirn eine wichtige Funktion. Sie sorgen für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Entsprechend wirkt sich die Menge des zur Verfügung stehenden Botenstoffs auf die Stärke der Signalübertragung aus. Eine niedrigere oder höhere Neurotransmitteraktivität steht dabei mit bestimmten Krankheitsbildern in Zusammenhang.
Serotonin
Der Neurotransmitter Serotonin ist von großer Bedeutung für unsere innere Ruhe und Zufriedenheit. Serotonin dämpft nicht nur Hunger und Schmerz, sondern kann auch Gefühle von Angst, Aggressivität und Kummer reduzieren. Dadurch wirkt es stimmungsaufhellend und angstlösend. Gleichzeitig hat Serotonin einen positiven Effekt auf die Impulskontrolle. Daneben beeinflusst der Botenstoff auch die Temperaturregulierung, den Appetit und den Schlaf.
Noradrenalin
Noradrenalin gilt als wichtigster anregender Botenstoff des Nervensystems. Der Neurotransmitter fördert Wachheit, Aufmerksamkeit, Konzentration und die Fähigkeit, flexibel auf belastende/gefährliche Situationen zu reagieren. Noradrenalin ist wesentlich an der Kampf-oder-Flucht-Reaktion beteiligt, sorgt für eine erhöhte Leistungsfähigkeit und wirkt sich positiv auf die Motivation auf. Entsprechend kann sich ein Mangel an Noradrenalin durch verminderte Konzentrations- und Gedächtnisleistung, Antriebsmangel und Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung zeigen.
Wirkmechanismus der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Antidepressiva aus der Gruppe der sogenannten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (die Abkürzung SNRIs erklärt sich durch die englische Bezeichnung Serotonin-Norepinephrine Reuptake Inhibitors) erhöhen die Konzentration der beiden oben beschriebenen Transmitter Serotonin und Noradrenalin. Dadurch sollen SNRIs positive Auswirkungen auf an Depressionen und/oder Angststörungen leidende Patienten und Patientinnen haben, da ein Mangel dieser Botenstoffe als mögliche Ursache psychischer Erkrankungen gilt.
Die Erhöhung der Serotonin- und Noradrenalin-Spiegel geschieht durch die Hemmung der Wiederaufnahme dieser Neurotransmitter in die Nervenzellen. Üblicherweise wird, nachdem das Signal übertragen wurde, der beteiligte Botenstoff von der sendenden Nervenzelle wieder aufgenommen. Dieser „Reuptake“ beendet den Prozess der Signalübertragung.
Die Wirkung von SRNIs wie Venlafaxin setzt an den Serotonin- und Noradrenalin-Transportern an, mit denen die Botenstoffe zurücktransportiert werden. SRNIs blockieren diese Transporter, es erfolgt kein Rücktransport und keine Wiederaufnahme. Die Botenstoffe verbleiben im synaptischen Spalt, dem Zwischenraum zwischen sendender und empfangender Nervenzelle, und können dadurch stärker auf die empfangende Nervenzelle einwirken. Durch den erhöhten Gehalt von Serotonin und Noradrenalin verstärkt sich die Signalübertragung – dies gilt als ursächlich für die Verbesserung der Stimmung und die Antriebsteigerung, also die Linderung der Depression.
Durch ihre duale Wirkung unterscheiden sich SNRIs sowohl von weniger selektiv wirkenden Antidepressiva wie MAO-Hemmern, welche eine größere Bandbreite an Botenstoffen beeinflussen und entsprechend auch mehr Nebenwirkungen haben können, als auch von den weiter verbreiteten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs). SSRIs blockieren nur die Wiederaufnahme von Serotonin und erhöhen dadurch dessen Konzentration, während SNRIs sowohl Serotonin- als auch Noradrenalin-Spiegel erhöhen.
Klinische Anwendungsgebiete
Aufgrund der im Vergleich zu SSRIs weniger selektiven Wirkung auf die Neurotransmitter-Aktivität haben SNRIs ein breites Einsatzgebiet. Hauptsächlich werden Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer zur Behandlung von Depressionen verwendet. Sie wirken antriebsteigernd und stimmungsaufhellend und können zudem die Konzentrationsfähigkeit verbessern. SNRIs werden sowohl zur Behandlung akuter depressiver Episoden als auch zur Rezidiv-Prophylaxe verschrieben, wenn Patient:innen unter schweren Depressionen gelitten haben und ein Wiederauftreten zu befürchten ist.
Auch bei der Behandlung von Angststörungen wie Panikstörungen, sozialen Phobien oder generalisierter Angststörung haben sich SNRIs als wirksam erwiesen. Manche Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer werden bei Krankheitsbildern wie Polyneuropathie oder Fibromyalgie zur Therapie chronischer Schmerzen eingesetzt.
Wichtig ist bei jedem Einsatz von SNRIs die individuelle Indikationsstellung durch die Fachärztin/den Facharzt. Ausschließlich Psychiater:innen können entscheiden, ob für die Behandlung einer Depression ein SNRI wie Venlafaxin, ein SSRI wie Escitalopram oder ein Antidepressivum aus einer anderen Wirkstoffgruppe besser geeignet ist. Für die Therapie anderer psychischer Erkrankungen wie Phobien, Panik- und andere Angststörungen gilt das gleiche.
Sollen SNRIs zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, ist die Therapie von einer Ärztin/einem Arzt mit entsprechender Expertise durchzuführen – Schmerztherapeut:innen finden sich etwa in der Neurologie und Anästhesiologie.
Nebenwirkungen und wichtige Sicherheitshinweise
Wie alle wirksamen Medikamente haben auch Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Venlafaxin Nebenwirkungen. Die allermeisten sind harmlos und viele bessern sich, wenn man das Medikament regelmäßig einnimmt. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von SNRIs zählen:
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
- Schwindel
- Schwitzen
- Übelkeit und andere Magen-Darm-Beschwerden (z. B. Verstopfung)
Die folgenden Venlafaxin Nebenwirkungen können ebenfalls auftreten. Obwohl sie durchaus sehr unangenehm sein können, bieten sie meist keinen Anlass zur Beunruhigung:
- Appetitlosigkeit
- Blutdruckerhöhung
- Gewichtsabnahme oder -zunahme
- Libidoverlust und sexuelle Funktionsstörungen
- Mundtrockenheit
- Nervosität
- Ohrgeräusche
- Sehstörungen
- Zittern
Gut zu wissen: SNRIs haben im Vergleich zu älteren Antidepressiva deutlich weniger Nebenwirkungen und sind im Allgemeinen gut verträglich. Doch auch hier kann es in Einzelfällen zu schwerwiegenden Symptomen kommen, bei denen unverzüglich ärztliche Hilfe erforderlich ist. Alarmsignale sind Symptome wie Enge- oder Druckgefühl im Brustbereich, unregelmäßiger Puls, Schwellungen im Gesicht und Hautausschläge. In solchen Fällen sollte man sich sofort in ärztliche Behandlung begeben.
Vorsicht ist außerdem geboten bei der gleichzeitigen Anwendung mit verschiedenen anderen Medikamenten. Damit es nicht zu einem potenziell lebensbedrohenden Serotonin-Syndrom kommt, dürfen sowohl SNRIs als auch SSRIs nie mit irreversiblen Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmern) zusammen eingenommen werden. Auch andere, zum Teil nicht verschreibungspflichtige Präparate können zu Wechselwirkungen führen – aus diesem Grund sollte die Anwendung aller Medikamente und auch etwaiger „Hausmittel“ immer mit der/dem behandelnden Fachärztin/Facharzt abgesprochen werden.
Ob, wie lange und in welcher Höhe ein SNRI eingenommen werden soll, ist immer individuell zu klären. Je nach Krankengeschichte kann es das Mittel der Wahl oder aber ein anderes Antidepressivum besser geeignet sein. Beim Arztgespräch sollten Patienten und Patientinnen nicht nur bereits bestehende Erkrankungen thematisieren, sondern auch besprechen, ob ggfs. eine Schwangerschaft, eine OP oder ein längerer Auslandsaufenthalt geplant ist – all das kann bei der Entscheidung für oder gegen ein Medikament relevant sein.
Wenn die Behandlung beendet wird, sollte der Patient/die Patientin damit rechnen, dass es zu sogenannten Absetzsymptomen kommen kann – aber nicht muss: Fachleute gehen davon aus, dass hier auch Erwartungshaltungen eine Rolle spielen können. Unter anderem können Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, Schwitzen und Durchfall, aber auch Verwirrtheit und Angstgefühle auftreten. Um die Symptomatik möglichst gering zu halten, wird oft empfohlen, Antidepressiva langsam auszuschleichen, also die Dosis nach und nach zu verringern.