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Die letzten ihrer Art? Auch in Deutschland schwindet die Artenvielfalt

Die Artenvielfalt ist einer der wertvollsten Naturschätze unseres Planeten – und überlebenswichtig auch für uns. Denn auch unser Wohlergehen hängt von der miteinander verwobenen Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten ab. Wie es um die Biodiversität in Deutschland und Europa steht, haben kürzlich gleich zwei Berichte gezeigt – mit wenig ermutigenden Ergebnissen.
NPO

Ob Feldlerche, Smaragdeidechse oder Gelbringfalter – sie alle könnte es bald nicht mehr in Deutschland geben. Denn von den knapp 72.000 Tier-, Pflanzen und Pilzarten hierzulande ist jede dritte Art gefährdet. Das geht aus dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Artenschutzbericht des Bundesamts für Naturschutz (BfN) hervor. Rund 31 Prozent aller Arten in Deutschland werden demnach als bestandsgefährdet eingestuft, vier Prozent sind bereits ausgestorben.

Die Östliche Smaragdeidechse (Lacerta viridis) ist in Deutschland gefährdet.

Besorgniserregender Schwund

"Der Zustand der Artenvielfalt in Deutschland ist alarmierend", warnte BfN-Präsidentin Beate Jessel. "Wir müssen dringend unsere Anstrengungen verstärken, um den Artenrückgang zu stoppen." Unter den Wirbeltieren in Deutschland sind besonders viele Reptilien vom Aussterben bedroht, darunter beispielsweise die Östliche Smaragdeidechse (Lacerta viridis). Allein 22 Wirbeltierarten sind im 20. Jahrhundert in Deutschland ausgestorben oder verschollen.

Die Feldlerche leidet besonders unter der Intensivierung der Landwirtschaft.

Die schlechte Lage macht sich auch bei den heimischen Vögeln bemerkbar: Selbst die Bestände von einst so alltäglichen und häufigen Vogelarten wie der Feldlerche oder dem Kiebitz sind inzwischen besorgniserregend geschrumpft, wie der Bericht aufzeigt. In den letzten zwölf Jahren sind 34 Prozent der Brutvogelarten mehr oder weniger stark zurückgegangen. Bei den Zugvögeln sind knapp ein Viertel bestandsgefährdet. Unter den See- und Küstenvögeln sind Zwergschwan (Cygnus bewickii), die Waldsaatgans (Anser fabalis fabalis) und die Eisente (Clangula hyemalis) besonders betroffen.

Rückgang auch bei Bienen, Wespen und Ameisen

Noch stärker betroffen sind Insekten und andere wirbellose Tiere in Deutschland: Ihr Erhaltungszustand hat sich in den letzten gut 15 Jahren dramatisch verschlechtert, rund 45 Prozent von ihnen gelten inzwischen als gefährdet. Unter den Opfern des Artenschwunds sind so alltägliche Insekten wie Wespen und Bienen. Weil vor allem die Bienen wichtige Bestäuber auch von Nutzpflanzen sind, gefährdet ihr Rückgang auch unsere Nahrungsversorgung. Ohne sie tragen viele Obstbäume und Gemüsepflanzen keine Frucht. 

Der Rückgang der Bienenbestände gefährdet auch unsere Nahrungsversorgung.

Fotolia.com / Dave Massey

Besonders schwerwiegend ist der Rückgang bei den Ameisen: Bei 92 Prozent der heimischen Ameisenarten nehmen die Bestände inzwischen ab. Aber auch Heuschrecken und Schmetterlinge werden immer seltener. Ein Beispiel für eine europaweit gefährdete Schmetterlingsart ist der Gelbringfalter (Lopinga Achine).

In Europa ist es nicht viel besser

In Europa ist die Lage nicht viel besser: Auch der in diesen Tagen veröffentlichte Bericht der EU-Kommission zum Zustand der Natur in Europa zeichnet ein eher gemischtes Bild: 60 Prozent der geschützten Arten in Europa geht es ziemlich schlecht, ihre Bestände gehen zurück. 17 Prozent der Arten sind nach wie vor gefährdet. Dazu gehören auch ehemals weit verbreitete Ackerlandvogelarten wie die Feldlerche und die Uferschnepfe.

Viele Lebensräume sind europaweit von der Zerstörung bedroht oder im Schwinden begriffen, besonders besorgniserregend ist die Lage im Grünland, in Feuchtgebieten und in Dünen. Nur 16 Prozent der Lebensraumbewertungen fiel im EU-Bericht günstig aus.

Die im Mittelmeerraum heimische Feuerlibelle taucht dank Klimawandel auch häufiger bei uns auf.

Was sind die Ursachen?

An vorderster Stelle unter den Schuldigen am Artenschwund steht die intensive Landwirtschaft. Auf den großen Monokulturen der modernen Ackerlandschaft finden viele Tierarten keine Nahrung und keinen Unterschlupf mehr. Hecken, Wälder mit Totholz und Brachflächen werden immer weniger. Auch Überdüngung und der Pestizideinsatz machen vor allem vielen Insekten zu schaffen. Auch die Forstwirtschaft und die Bebauung der Landschaft spielen bei der Zerstörung der Lebensräume eine Rolle.

Klimawandel noch keine große Rolle als Gefährdungsursache. Das BfN geht jedoch davon aus, dass dieser Einfluss bei fortlaufender Klimaänderung zunehmen wird. Ursächlich für die Gefährdung der marinen Organismen sind vor allem die Fischerei, Lebensraumveränderungen, Schadstoffeinträge und Aquakulturen.

Auch der Klimawandel beeinflusst die Artenvielfalt. So haben Forscher bei kältebedürftigen Vogelarten wie dem Kuckuck und dem Bergpieper bereits festgestellt, dass diese in höhergelegene und kühlere Regionen ziehen, um der Erwärmung auszuweichen. Im Gegenzug kommen in Deutschland inzwischen immer mehr Arten vor, die ursprünglich im warmen Mittelmeerraum heimisch waren. Beispiele sind der Bienenfresser (Merops apiaster), der Brombeer-Perlmuttfalter (Brentis daphne) oder die Feuerlibelle (Crocothemis erythraea).

Es gibt auch positive Nachrichten

Aber es gibt auch einige Arten, denen es inzwischen wieder besser geht. Gezielte Schutzmaßnahmen haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass ihre Lebensräume erhalten oder wieder renaturiert wurden. Zu diesen "Gewinnern" gehören unter anderem Schwarzstorch und Seeadler, aber auch Tiere und Pflanzen, die in neu angelegten Ackerrandstreifen leben, wie das Braunkehlchen und die Kornblume.

Fischotter (Lutra lutra) sind in Deutschland unter den Gewinnern der letzten Jahre.

Ebenfalls wieder auf dem Vormarsch sind Biber und Fischotter in den Gewässern und Wildkatzen und Wölfe in den Wäldern Deutschlands. Sie haben sich wieder ausgebreitet, weil strenger Schutz, eine Verbesserung oder Neuschaffung ihrer Lebensräume oder Wiederansiedlungsprojekte ihr Überleben sicherstellten. Ein Wiederkehrer ist auch die Kegelrobbe, die Anfang des 20. Jahrhunderts in der deutschen Ostsee sogar schon als ausgestorben galt. Inzwischen werden diese Robben wieder häufiger vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns gesichtet, auch an der Nordsee gibt es wieder drei Wurfplätze.

Der deutsche Artenschutz-Report zum Download (PDF)

Mehr zum Bericht "Zustand der Natur in der EU"
 

NPO, 22.05.2015

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