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Hochhäuser: Wie sie dem Wind trotzen

Wolkenkratzer sind auf der ganzen Welt extremen Belastungen ausgesetzt. Allein die enorme Höhe ist eine architektonische Meisterleistung. Hinzu kommen seitliche Belastungen, die nicht zu unterschätzen sind. Durch ein Erdbeben oder starken Wind kann ein Hochhaus ganz schön ins Schwanken kommen. Um das zu verhindern sind besonders ausgefuchste Lösungsansätze gefragt.
JFL, 27.10.2021

Auch die eigenartige Form des 830 Meter hohen Burj Khalifa in Dubai hat in erster Linie statische Hintergründe.

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Architekten haben einiges zu beachten, wenn sie neue Wolkenkratzer entwerfen – dazu gehört auch die Aerodynamik, also wie die Gebäude von der Luft beeinflusst werden. In Küstenregionen sind beispielsweise starke Winde ein großes Problem. Um diesen standzuhalten, müssen die hohen Türme neben der vertikalen Stabilität auch gegen horizontale Kräfte gewappnet sein – im Extremfall könnten sie sonst durch diese zum Einsturz gebracht werden.

Nach US-amerikanischen Vorschriften darf sich ein Stockwerk auch bei einem Hurrikan nur um maximal 0,5 Prozent seiner Höhe seitlich verschieben. Bei einem 800 Meter hohen Gebäude wären das an der Spitze immerhin vier Meter Auslenkung. Das würde die Bewohner dieser Etagen ganz schön seekrank machen. Innovative Lösungen, dies zu verhindern, gibt es jedoch bereits.

Die Verdrehung soll bei Gebäuden wie dem Shanghai Tower zur Minderung der Windlast beitragen.

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Wohlgeformt: Terrassierte oder verdrehte Türme

Auch das aktuell höchste Gebäude der Welt, der 830 Meter hohe Burj Khalifa in Dubai, verdankt seine gestufte, spiralartig verjüngte Form nicht nur der Ästhetik, sondern auch der Aerodynamik. Die Verjüngung sorgt dabei für eine nach oben hin abnehmende Windlast, während die spiralförmig angeordneten Stufen Schwingungen quer zur Windrichtung dämpfen sollen. Letztere treten in größeren Höhen auf, wenn es zu Wirbelablösungen (Vortex-Shedding)  kommt und der Wind abwechselnd rechts und links am Gebäude zieht. Wegen der versetzten Anordnung der 24 Hauptstufen werden die Impulse, die auf das Gebäude wirken, in sehr unterschiedlichem Maße abgefangen und sozusagen stark „verwirrt“.

Auch die Vorzüge der in jüngster Zeit gebauten verdrehten Türme gehen über die Ästhetik hinaus. Der größte verdrehte Turm – und zugleich das aktuell zweithöchste Gebäude der Welt – ist der Shanghai Tower. Er erreicht eine Höhe von 632 Metern und seine spiralartige Form beschreibt eine 120-Grad-Drehung. Dadurch konnte die Windlast im Vergleich zu einem rechteckigen Gebäude ähnlicher Größe um 24 Prozent reduziert werden.

Diese Kugel im Taipei 101 wiegt 660 Tonnen und fängt die Schwingungen des Turms ab.

Taipeh: Physikalisch ausgefuchste Gegenmaßnahme

Der Taipei 101 in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan, ist wohl einer der höchstbelasteten Wolkenkratzer der Welt. Von 2004 bis 2007 war er das höchste Gebäude auf dem Planeten, obwohl sein Standort Extrembedingungen aufweist: Unter der Inselmasse Taiwans schieben sich die Philippinische und die Eurasische Kontinentalplatte übereinander. Dadurch kommt es in Taipeh fast täglich zu Erdbeben. Zusätzlich fegen mehrmals im Jahr tropische Wirbelstürme über die Insel.

Diese beiden Einflüsse könnten den 508 Meter hohen Turm enorm ins Schwanken bringen. Die Gegenmaßnahme wiegt 660 Tonnen, hat einen Durchmesser von 5,5 Metern und befindet sich zwischen dem 88. und dem 92. Stockwerk: ein vergoldetes Riesenpendel. Es hängt an insgesamt 16 oberarmdicken Stahlseilen und wird an der Unterseite hydraulisch gestützt. Bei extrem starken Winden schlägt das Pendel bis zu einen Meter aus und wirkt so der Schwingung des Turms entgegen. Es ist das größte Tilgerpendel der Welt.

432 Park Avenue mit leeren Stockwerken: Sie verringern den Luftwiderstand des superschlanken Wolkenkratzers.

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New York: Da fehlt doch was

Anstatt sich gegen den Sturm zu stellen, kann man ihm auch ausweichen. So etwas dachten sich wohl die Architekten des New Yorker Wolkenkratzers 432 Park Avenue. Der 426 Meter hohe Turm hat Löcher: Fünf Doppeletagen des Hochhauses wurden beim Bau fensterlos gelassen. Sie sind nicht bewohnt und öffnen Hohlräume in der Fassade, durch die der Wind ziehen kann. Dadurch soll der Luftwiderstand des Gebäudes um 15 Prozent gesenkt werden.

In den vier Öffnungen des Pearl River Tower befinden sich Windturbinen, die Strom erzeugen.
Guangzhou: Stromerzeugung durch Venturi

Löcher in der Fassade können auch zur Energiegewinnung genutzt werden, wie der Pearl River Tower im chinesischen Guangzhou beweist. Seine Fassade ist insgesamt sehr windschnittig gebaut und leitet die ankommenden Luftströme zu insgesamt vier Windturbinen, die sich in offenen Durchgängen des Gebäudes befinden.

Das Design nutzt dabei  den Venturi-Effekt. Dieser besagt, dass bei einer inkompressiblen Strömung das Produkt aus Geschwindigkeit und durchströmter Fläche konstant ist. Im Falle des Gebäudes heißt das: Dadurch, dass die Fassade den Wind von einer großen Fläche auf einen kleinen Tunnel komprimiert, wird die Luft stark beschleunigt. Das erhöht die Effektivität der Windturbinen enorm. Sie sollen so bis zu eine Million Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen können.

Dubai: Riesenkarussell durch Windenergie

Noch einen Schritt weiter geht das Design des türkischen Architekten Hayri Atak. Er hat ein Bauwerk entworfen, das selbst eine Windturbine ist. Die drei in der Mitte verbundenen Gebäudeteile nutzen durch ihre Form die Auftriebskraft ähnlich wie es auch Flugzeugtragflächen tun und erzeugen so eine Rotation des gesamten Gebäudekomplexes. Er soll sich dadurch innerhalb von 48 Stunden einmal um die eigene Achse drehen – komplett vom Wind angetrieben. Dadurch soll Strom erzeugt werden, der das Gebäude nachhaltiger macht.

Der turbinenförmige Squall Tower existiert bisher allerdings nur auf dem Papier. Falls er gebaut wird, soll er in Dubai stehen. Ob das wirklich passiert und wie effektiv er letztendlich Windenergie umwandeln kann, steht noch in den Wolken. Aber es heißt ja nicht umsonst Wolkenkratzer.

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