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Interview mit dem Zeitforscher Professor Dr. Geißler

Professor Dr. Karlheinz Geißler lehrt Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr in München. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich in Vorträgen und Büchern mit dem Thema Zeit. Im Frühjahr 2002 erschien sein Buch “Wart´ mal schnell“, in dem er ganz alltägliche Zeit-Phänomene unter die Lupe nimmt. wissen.de sprach mit ihm in München.

“Langsamkeit kann auch produktiv sein!“

Wie kommt ein Wirtschaftspädagoge eigentlich dazu, sich mit dem Thema Zeit zu beschäftigen?

ENNO KAPITZA

Der Anlass bei mir war meine praktische Tätigkeit als Berufsschullehrer. Ich merkte, dass Berufsschüler große Probleme haben, vom Rhythmus des Arbeitens auf den Rhythmus des Lernens umzustellen. Das war der Auslöser, über die verschiedenen Formen des Umgangs mit der Zeit nachzudenken. Inzwischen mache ich zu 80 Prozent Zeitforschung. In Zusammenhang mit der Wirtschaftspädagogik stehen dabei Themen wie z.B. die aktuelle Diskussion um die Ganztagsschule, bei der auch Zeitmuster des Lernens berücksichtigt werden. Unabhängig davon faszinieren mich Alltagsphänomene, die mit der Zeitdynamik zu tun haben, wie z.B. die Umstellung der Uhr zweimal im Jahr. Es ist erstaunlich, dass wir das noch machen, obwohl es eigentlich keinen Grund mehr dafür gibt.

Und warum wird diese Regelung dann beibehalten?

Im letzten Jahrhundert wurde in den Krisenzeiten im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Sommerzeit eingeführt, weil man Energie sparen wollte. In Deutschland griff man das dann Anfang der 1970er Jahre im Zuge der Ölkrise wieder auf.

Das Energiesparen ist heute nicht mehr der Grund, denn die mittlerweile privatisierte Energiewirtschaft hat ja eigentlich ein größeres Interesse daran, dass Energie verbraucht als dass sie gespart wird. Es geht möglicherweise einfach darum auch wenn das so nie geäußert wird , dass es konsumfreundlicher ist: Man kann im Sommer länger draußen sitzen und mehr in den Lokalen konsumieren.

Dahinter steckt allerdings eine ganz andere Logik, weswegen ich die Umstellung auch begrüße: Es erinnert daran, dass die Zeit bzw. die Zeitordnung menschengemacht ist. Die Herrschenden haben immer die Zeit organisiert erst die Kirche, dann die Landesherren, später die Unternehmer, heute bestimmt sie das Europäische Parlament. Es wird also bis heute sichtbar gemacht, dass die “Mächtigen“ die Zeitordnung und die Uhren verändern können, es sich also nicht um eine natürliche Ordnung handelt.

Seit wann gibt es eigentlich den Begriff Zeit?

Erst 1750 ist das Wort Zeit in die Alltagskommunikation als Begriff eingeführt worden. Seit der Mensch die Zeit in die eigene Hand genommen hat in Form der Zeitmessung , seitdem wird über Zeit gesprochen. Die Bauern früher haben nur über das Wetter geredet. Man sieht das daran, dass in allen romanischen Sprachen die Begriffe Wetter und Zeit identisch sind. In anderen Ländern hat man sich nicht am Wetter, sondern stärker an den Gezeiten orientiert, daher auch unser deutsches Wort Zeit.

Die Einführung der mechanischen Uhr ist sozusagen die Loslösung von erlebbaren Naturprozessen, d.h. wir haben Zeit abstrakt und leer gemacht. Nehmen Sie den Unterschied zwischen einer Sonnen- und einer Kirchturmuhr: Wenn Ihnen jemand sagt, die Sonnenuhr zeigt zwölf Uhr an, dann wissen Sie immer, dass das Wetter schön und es Tag ist es handelt sich also um eine qualitative Zeit. Bei einer mechanischen Uhr ist das ganz anders. Dafür hat diese den Vorteil, dass man sie selber umstellen kann, bei der Sonnenuhr geht das nicht.

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