Lexikon
Hörspiel
durch den Rundfunk entwickelte, meist abwechslungsreiche, konzentrierte Unterhaltungsform. Obwohl ästhetisch mit keiner der herkömmlichen Literaturgattungen identisch, vermag sie deren Elemente in sich aufzunehmen: das Dramatische durch den Dialog, das Epische durch den Erzähler, das Lyrische durch Wort- und Geräuschmontage. Das Hörspiel beschränkt sich meist auf eine Länge von 30 bis 90 Minuten und bedient sich einer begrenzten Anzahl von Charakteren. Geräusche und Musik werden oft leitmotivisch eingesetzt. Die Gestaltungsmittel des Hörfunks beruhen dabei auf Techniken, die sich im Film bewährt haben, wie etwa Montage, Schnitt und Blende.
Neben Produktionen, die direkt für den Hörfunk konzipiert werden, machen Literaturvertonungen einen großen Teil der Hörspielproduktion aus, darunter auch Adaptionen von Jugendbüchern. Ein thematischer Schwerpunkt lässt sich im Hörspiel nicht ausmachen, es sind nahezu alle in der Prosa vorkommenden Gattungen vertreten.
Erste Hörspiele entstanden bald nach der Einrichtung des Rundfunks. R. Hughes „A Comedy of Danger“ (1924) spielt in einem Bergwerk, in dem das Licht ausgefallen ist, ein in späteren Hörspielszenarien variiertes Motiv, das der Sendung eine ideale Wirkung verschaffte. Anfängliche formelle Experimente umfassten das Hörbild und die Hörfolge, eine aus mehreren Hörbildern zusammengefügte reportageähnliche Kurzszene, umrahmt von Gedichten, Geräuschen und Musik. In Deutschland kam es zwischen 1924 und 1928 zu einer ersten Blüte des Hörspiels, wozu vor allem die Produktionen von H. S. von Heister beitrugen, der hierzulande den Begriff Hörspiel prägte.
Um 1930 war neben der Poetisierung des Hörspiels durch Autoren wie H. Kasack, H. Kessner oder E. Reinacher bereits seine politische und propagandistische Ausnutzung als Kollektiverlebnis zu beobachten. Dem nationalsozialistischen Hörspiel, wie etwa den Sendungen R. Euringers „Deutsche Passion“ (1933) antwortete das antifaschistische Hörspiel des Auslands (z. B. A. MacLeish). In bedeutendem Umfang schufen etablierte Literaten der Weimarer Republik Hörspiele. Hierzu zählen Schriftsteller wie E. Kästner, aber auch sozialistische Autoren wie B. Brecht, W. Benjamin, oder A. Döblin. Brecht und Benjamin lieferten auch die ersten theoretischen Ansätze zur neuen Kunstform, die im Anschluss an die Tagung „Dichtung und Rundfunk“ 1929 in Kassel publiziert wurden. Bekannt wurde vor allem Brechts sog. „Radiotheorie“.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde das Hörspiel zum Propagandainstrument, experimentelle Hörspiele wurden verboten, zahlreiche Autoren erhielten Sendeverbot. Inhalt des nationalsozialistischen Hörspiels waren Themen aus der bäuerlichen Welt oder die Inszenierung der Reichsidee und der Reichsgeschichte. Formell dominierte das chorische Sprechen.
Außerhalb Deutschlands brachte das Spiel mit der Authentizität besondere Verfremdungseffekte hervor, wie das frühe Beispiel von O. Welles’ Produktion „Der Krieg der Welten“ (1938) gezeigt hat. Welles hatte die Romanvorlage von H. G. Wells über eine Invasion der Erde durch Marsmenschen als Live-Nachrichtensendung umgestaltet und damit in den USA eine Massenhysterie ausgelöst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entfiel durch die Möglichkeit der Bandaufzeichnungen die Livesendung der Hörspiele. In der BR Deutschland überwogen bis in die 1960er Jahre poetische Produktionen, die die Wirklichkeit auf den menschlich-privaten Bereich reduzierten, so z .B. G. Eich „Träume“ (1951), I. Bachmann „Der gute Gott von Manhattan“ (1958). Einen frühen Erfolg stellte das sozialkritische Heimkehrerstück „Draußen vor der Tür“ (1947) von W. Borchert dar. In den folgenden Jahren traten bereits bekannte Schriftsteller mit Hörspielen an die Öffentlichkeit, bzw. erlangten ihren Ruf durch Hörspielproduktionen, so etwa I. Aichinger, M. L. Kaschnitz, M. Walser, M. Frisch, H. Böll, A. Andersch, W. Hildesheimer oder F. Dürrenmatt. In der DDR orientierte man sich an den sozialistisch geprägten Vorkriegsproduktionen bzw. an den Werken der ins Exil gegangenen Autoren. Neben Brecht konnten sich nach 1945 vor allem G. Kunert, H. Müller und S. Hermlin etablieren.
Im Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen, an das das Hörspiel nach 1965 sein Massenpublikum in zunehmendem Maße verlor (1994 hörten nur noch zwei Prozent der Radiohörer Hörspiele), besannen sich die Autoren auf realistisch-dokumentarische, dem Feature verwandte Möglichkeiten, die zum totalen Schallspiel und Ende der 1960er Jahre zum sog. „Neuen Hörspiel“ führten: Avangardistische Elemente, wie Collagen, Montagen, Stereophonie und serielle Musik wurden einbezogen (E. Jandl und F. Mayröcker „fünf mann mensch“ 1968). Zu weiteren namhaften Vertretern dieser Entwicklung gehören in Deutschland P. Handke, R. Wolf, J. Becker und W. Wondratschek. Französisch schreibende Autoren (wie E. Ionesco, S. Beckett, N. Sarraute) und Autoren aus Großbritannien (D. Thomas) wirkten dabei stilbildend. Zu den Tendenzen ab den 1970er Jahren gehörte das Kurzhörspiel. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde das Original-Ton-Hörspiel entwickelt: Tondokumente arrangierte man zu meist sozialkritischen Dokumentationsspielen (L. Harig, P. Wühr, A. Behrens). 2004 produzierten sämtliche ARD-Hörfunkanstalten zusammen ca. 500 Hörspiele.
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