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Schönheitsideale im Wandel der Zeit

Es ist kein Zeichen unserer Zeit, dass wir auf Schönheit besonderen Wert legen – Schönheitswahn gab es schon immer. Was wir allerdings als schön empfinden, hat sich im Lauf der Geschichte erheblich gewandelt. Das hat nicht nur mit verschiedenen Moden zu tun. Auch die gesellschaftliche Entwicklung hat erheblichen Einfluss darauf, was uns schön erscheint. Wir zeigen Schönheitsideale im Wandel.
Alexandra Mankarios

Strahlende Schönheit – wer träumt nicht davon? Wie groß die Sehnsucht nach einem blendenden Aussehen ist, zeigt sich ab dem 28. Februar wieder, wenn das Ex-Supermodel Heidi Klum sich zum achten Mal auf die Suche nach „Germany's next Topmodel“ macht und Millionen TV-Zuschauer mitfiebern. Besonders junge Mädchen träumen von einer Karriere zwischen Catwalk, Fotoshootings und exklusiven Promipartys.

 

Vorteil Schönheit

Dass der Wunsch nach Schönheit indes mehr als nur ein jugendlicher Spleen ist, belegen zahlreiche Studien: Wer schön ist, hat im Leben viele Vorteile. "Das beginnt bereits ganz früh", berichtet der Psychologe und Attraktivitätsforscher Dr. Martin Gründl von der Universität Regensburg. "Schon attraktive Babys bekommen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung. Im Kindergarten haben hübsche Kinder häufig mehr Freunde, und in der Schule bekommen sie die besseren Noten." Im Erwachsenenleben werden die Vorteile immer handfester. "Attraktive Menschen erhalten häufiger eine Einladung zu Bewerbungsgesprächen. Und vor Gericht beispielsweise werden schöne Menschen seltener verurteilt – und wenn doch, dann fallen die Strafen geringer aus."

Aus der Sicht der Biologie besteht der größte Vorteil der Schönheit darin, dass attraktive Menschen auf der Suche nach einem Partner eine viel größere Auswahl haben. Dies ist vermutlich auch der Grund, warum wir der Schönheit so einen hohen Stellenwert einräumen – der Vorzug der Schönheit ist wahrscheinlich tief in unseren Genen verankert. Was wir aber schön finden, ist vermutlich nur zu einem kleinen Teil genetisch festgelegt. Unser Schönheitsideal hat sich im Lauf der Geschichte erheblich verändert.


Antike Schönheiten

Die Venus auf einem Fresko in Pompeii, Italien
shutterstock.com/Sailorr
Aphrodite – von den Römern auch Venus genannt – war die antike Göttin der Liebe und damit auch die Verkörperung des Schönheitsideals ihrer Zeit schlechthin. Für die Männer galt Adonis als Vorbild. Wie Jennifer Lopez und Zac Efron, Beyoncé und Channing Tatum, laut dem amerikanischen People-Magazine die schönsten Menschen 2011 und 2012, stellten sich die Griechen ihre Schönheitsgötter wohl trotzdem nicht vor. Antike Statuen zeigen Adonis zwar ganz nach unserem heutigen Geschmack knackig durchtrainiert, aber, ganz anders als Zac Efron und Channing Tatum, mit einer wilden Lockenmähne und einem vollen, aber ziemlich kleinem Mund. Trotzdem wären sie sicher besser angekommen als J.Lo oder Beyoncé: Die beiden haben mit Aphrodite nur wenig Ähnlichkeit. Die antike Göttin trägt nicht nur ihr Haar zu einer komplizierten Flechtfrisur hochgesteckt, sondern hat auch deutlich mehr Speck auf den Hüften. Auch Jennifers markantes Kinn – ein typisches Merkmal in der Modelbranche – und Beyoncés Teint wären in der Antike nicht gut angekommen. "Weißer als Elfenbein" stellte sich etwa der griechische Dichter Homer die Hautfarbe einer schönen Frau vor.

 

Mittelalter: Elegante Blässe

Jennifer Lopez
shutterstock.com/Featureflash/Paul Smith
Immerhin hätten Jennifer und Zac, Beyoncé und Channing  wohl bei den Griechen noch wesentlich besser gepunktet als in der prüden Mittelalter-Gesellschaft. Das Schönheitsideal verlangte nach kindlich schmalen Frauen mit möglichst weißer Haut, die allenfalls einen Hauch von gesundem Wangenrot zeigen durfte. Mittelalterliche Mariendarstellungen vermitteln gut diese Schönheitsvorstellung: Die ideale Frau sah blass, zart und irgendwie rein aus. Wer es sich nicht leisten konnte, sonnige Sommer im abgedunkelten Burgzimmer mit süßem Nichtstun zu verbringen, hatte schlechte Chancen, die vornehme Blässe der Reichen auf seinen Wangen zu bewahren. Die Haarfarbe der Wahl passte zur bleichen Haut: Je blonder, desto schöner, fand die mittelalterliche Gesellschaft. Auch den Männern der Epoche stand volles, langes Blondhaar gut zu Gesicht. Schmal und zart sollten die Herren aber nicht aussehen. Hinsichtlich des männlichen Wunsch-Körperbaus hat sich von der Antike bis heute wenig geändert: Breite Schultern und muskulöse Arme ernteten in allen Epochen die Aufmerksamkeit der Damenwelt.
 

Beginn der Neuzeit: Dicker wird schicker

Mit dem Ausklingen des Mittelalters kamen Rundungen wieder in Mode. Galt noch im Mittelalter die Blässe als wichtigstes Zeichen für Wohlstand, waren die Wohlhabenden der Neuzeit vor allem an ihren wohlgenährten Körpern zu erkennen. Ob dicker Bauch oder Doppelkinn, spätestens mit dem Barock schossen die Fülligen auf der Schönheitsskala nach oben – davon zeugen zum Beispiel die nach heutigen Maßstäben extrem dicken Frauen auf den Gemälden des Barockmalers Peter Paul Rubens. Noch heute gilt „Rubensmodell“ als elegante Umschreibung für "ziemlich dicke Frau". "Ganz so dick wie die Rubensfrauen musste man aber wohl nicht aussehen, um für schön gehalten zu werden“, vermutet Gründl. Das zeigten die Gemälde anderer Barockkünstler sehr deutlich: "Die dicken Frauen, die Rubens gemalt hat, entsprachen wahrscheinlich auch seinem persönlichen Geschmack.“

Peter Paul Rubens
The Yorck Project, Berlin
Neben der reinen Körper- und Gesichtsform spielte im Barock auch die Kleidung und Aufmachung eine wichtige Rolle. Mit Gold bestickt und voller Rüschen sollte die Kleidung sein, Schärpen standen dem Barockherrn ebenso gut zum gepuderten Gesicht wie die unverzichtbare Perücke. Das klingt aus heutiger Perspektive nach kitschiger Maskerade. Dass wir der barocken Aufmachung aber noch immer etwas abgewinnen können, zeigt sich alljährlich zum Karneval, wenn sich Männer landauf landab für ein Musketier-Kostüm entscheiden – auch das Outfit dieser unerschrockenen Degenhelden hat seinen Ursprung im Barock.
 

Korsettgestütztes Ideal: Sanduhrfigur

Die Erfindung des Korsetts bereitete der entspannten Körperfülle der „idealen“ Frau ein jähes Ende. Ab dem 17. Jahrhundert galten schmale Taillen als schick, bis etwa 1900 wurde es immer dünner um die Körpermitte. Schönheitsbewusste Frauen zahlten einen hohen Preis für ihre schlanken Silhouetten, denn die Korsetts führten auf Dauer zu ungesunden Organverlagerungen. Erst die Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereitete der quälerischen Korsettmode allmählich ein Ende.
 

Schlank und braungebrannt ins 21. Jahrhundert

Heute, rund 100 Jahre später, hat das Schönheitsideal wieder eine andere Wendung genommen. Leicht gebräunte Haut gilt als attraktiv, im Übrigen – Models und Superstars machen es vor – sind extrem schlanke Körper angesagt, dünner als in jeder anderen Epoche. Die Oberweite der Frauen allerdings darf, auch das ist früher anders gewesen, gern etwas üppiger ausfallen. Während Muskeln bei Männern zu allen Zeiten ein Hingucker waren, gelten heutzutage erstmals auch durchtrainierte Frauenkörper als schön. Zu ausgeprägt sollten die Muskeln allerdings nicht sein – die Muskelpakete, die Frauen etwa bei Bodybuilding-Wettkämpfen präsentieren, gefallen nur einer Minderheit. In punkto Körperbehaarung besinnen wir uns seit etwa drei Jahrzehnten wieder auf antike Ideale. Wie bei den alten Griechen gilt es auch heute wieder als schön, Körperbehaarung sorgfältig zu entfernen.

 

Jung und gesund: Zeitlose Schönheit

So sehr sich das Schönheitsideal im Lauf der Jahrhunderte auch gewandelt hat, ist doch manches in allen Epochen gleich geblieben. „Merkmale, die auf Gesundheit und Jugend hindeuten, galten in allen Zeiten und in allen Kulturen als schön“, berichtet Gründl. Allem voran ist damit eine glatte, makel- und faltenlose Haut gemeint – sie strahlt Jugend und Gesundheit zugleich aus. Auch volle Lippen signalisieren Jugendlichkeit – mit zunehmendem Alter baut das Fettgewebe in den Lippen ab.

Daneben zählen so genannte „geschlechtstypische Merkmale“ zu den universalen Zutaten der Schönheit: Während bei Männern durch alle Epochen hindurch eine kraftvolle Gesamterscheinung als schön galt, sind es bei Frauen einige typisch feminine Züge, die sich in den Schönheitsidealen aller Zeiten wiederfinden, zum Beispiel eine schmale, zierliche Nase und schmale Augenbrauen. Umgekehrt gesagt: Mit Brauen wie die Muppets-Figur Gonzo und einer großen Knollnase hätte Frau zu keiner Zeit den ersten Platz im Schönheitskontest einheimsen können.


Schönheit als Statussymbol

Noch ein weiterer Faktor hat erheblichen Einfluss auf unser Schönheitsempfinden: Der Wohlstand. Zu allen Zeiten galt es als schön, so auszusehen wie die Reichen. Als die arme Bevölkerung im Freien die Felder bestellen musste, während die adeligen Damen sich allenfalls unter einem zierlichen Prunkschirmchen an die frische Luft wagten, war eine blasse Haut angesagt. Körperfülle konnte sich nur leisten, wer genug zu essen hatte – also wurden Rundungen schick. Auch heute noch wird das Schönheitsideal von den Wohlhabenden geprägt – allerdings andersherum. „In den westlichen Industrienationen kann man einen klaren Zusammenhang zwischen Übergewicht und Armut nachweisen “, erläutert Gründl. „Die Armen sind in unserer Kultur eher dicker, die Reichen schlanker. Entsprechend hat sich unser Schönheitsideal gewandelt: Schlank gilt als schön.“ In Kulturen, in denen dieser Zusammenhang nicht besteht, gälten auch heute noch Frauen mit etwas mehr Körperfülle als attraktiver.

Ein jugendliches Äußeres und zunehmend auch Status versprechen Schönheits-OPs. Gründl glaubt, dass der Trend zur medizinisch unterstützten Verjüngungskur bei uns gerade erst begonnen hat, einige Jahre nach dem Schönheitsboom in Amerika. „In den USA ist es bereits ein beliebtes Smalltalk-Thema auf Partys, was die neue Nase gekostet hat. Bei uns kommt dieser Trend erst allmählich an.“ Der Regensburger Attraktivitätforscher geht davon aus, dass vor allem ästhetisch-chirurgische Maßnahmen, die den Körper jünger wirken lassen, bei uns in Zukunft hoffähiger werden – insbesondere die weniger invasiven Methoden wie etwa das Aufspritzen von Gesichtsfalten.
 

Liegt die Schönheit im Auge des Betrachters?

Gesellschaft, Mode und unsere Gene haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie sich unser Schönheitsideal entwickelt. Trotzdem bleibt noch jede Menge Raum für einen individuellen Geschmack. Nicht jeder Mann steht auf die mageren Körper der Supermodels, nicht jede Frau möchte einem ewig strahlenden Zac Efron in die Arme sinken. Gründl weiß, warum das so ist: „Heute haben wir es nicht mit einem einzigen, sondern mit vielen verschiedenen Schönheitsidealen zu tun, genauso wie es in unserer Gesellschaft viele verschiedene Lebensstile gibt, die parallel existieren.“ Über 50-Jährige beispielsweise, so habe eine Studie herausgefunden, fänden eine behaarte männliche Brust durchaus attraktiv. „Jüngere hingegen finden Brusthaare – salopp gesagt – eher eklig.“

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