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75 Jahre Casablanca: Ich seh dir in die Augen, Kleines
Auf der Bestenliste der größten Liebesfilme aller Zeiten rangiert "Casablanca" auf Platz eins. Dorthin zumindest hat ihn das American Film Institute 2002 offiziell gewählt - noch vor "Vom Winde verweht" und der "West Side Story". Tatsächlich ist die unmögliche Romanze zwischen Humphrey Bogart als Rick und Inga Bergman als Ilsa bis heute eine der bekanntesten und beliebtesten Hollywoodschnulzen überhaupt.
Vielleicht liegt es an dem Charme der Hauptdarsteller oder an dem unter die Haut gehenden Liebeslied "As Time Goes By", mit dem der Barpianist Sam in den beiden Liebenden schmerzlich-süße Erinnerungen an ihre Affäre in Paris weckt - an eine Zeit, in der Ilsa dachte, dass ihr Mann, der tschechische Widerstandskämpfer Laszlo, womöglich tot ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Dialoge mehr unsterbliche Filmzitate hergeben als jedes andere Drehbuch. Oder daran, dass "Casablanca" schlicht eine Essenz von allen nur denkbaren Liebesfilmen ist. Ein Feuerwerk der Klischees, aber gerade deshalb so gut.
Liebesschnulze mit Propaganda-Ambitionen
"Casablancas" Qualitäten als großes Melodrama sind unbestritten. Dabei wird manchmal vergessen, dass der Film zum Zeitpunkt seiner Entstehung auch als Propagandafilm gegen die Nationalsozialisten dienen sollte. Denn die Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen dem amerikanischen Nachtklubbesitzer Rick, der jungen Norwegerin Ilsa und dem Widerstandskämpfer Laszlo ist auch eine Geschichte von politisch Verfolgten, die vor den Nazis aus Europa über Französisch-Nordafrika nach Amerika fliehen wollen.
Für Flüchtlinge wie Ilsa und Laszlo soll Casablanca das Tor in das verheißungsvolle Land hinter dem großen Teich sein. Doch viele von ihnen gelangen nicht über Casablanca hinaus, da der französische Polizeichef Louis Renault mit den Deutschen zusammenarbeitet. Auf der verzweifelten Suche nach Ausreise-Visa nach Lissabon, der einzigen noch neutralen Stadt in Westeuropa mit Atlantik-Schiffspassagen und Flugverbindungen in die USA, sucht das Paar das "Café Américain" auf. Dort treffen sie Ilsas ehemaligen Geliebten Rick. Eine Geschichte voller emotionaler Verstrickungen und Intrigen beginnt.
Traurige Kriegsrealität am Set
Die Botschaft war klar: Mit "Casablanca" sollte die amerikanische Öffentlichkeit, überzeugt werden, dass es geboten war, die Eroberungsfeldzüge Hitlers zu stoppen. Denn die Bevölkerung war damals mehrheitlich gegen eine Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg. Im Film reagiert Rick dann auch zunächst abweisend wie seine Landsleute: "Ich halte für niemanden den Kopf hin". Ihm entgegnet ein anderer Barbesitzer: "Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist?"
Doch nicht nur das Drehbuch des heutigen Klassikers war vom Krieg beeinflusst: Der Film entstand mit knapp einer Million Dollar Budget unter den strengen Beschränkungen der Kriegswirtschaft - und auf dem Set vermischte sich das Dargestellte mit der traurigen Realität des Zweiten Weltkriegs auf einmalige Weise.
Denn wie die sich unter französischem Protektorat befindliche Stadt Casablanca, wurde auch Hollywood im Zweiten Weltkrieg zum Auffangbecken vieler heimatlos Gewordener. Der Regisseur Michael Curtiz, selbst ehemaliger jüdischer Emigrant, verschaffte etlichen kreativen Geflüchteten mit "Casablanca" einen Job. Er sorgte dafür, dass viele Nebenrollen mit Schauspielern besetzt wurden, die in Europa nicht nur ihre große Karriere, sondern auch ihre gesamte Habe zurückgelassen hatten.