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Pandemien: Die folgenschwersten Seuchen der letzten 2.000 Jahre
165 bis 180: Die Antoninische "Pest"
Den Anfang macht eine Seuche, die römische Legionäre von ihren Feldzügen in Mesopotamien zurückbrachten. Als die siegreichen Soldaten nach Rom zurückkehrten, brach kurz darauf eine rätselhafte Krankheit in Rom und später im gesamten römischen Reich aus. Die Erkrankten entwickelten Fieber, Durchfall, klagten über Halsschmerzen und zeigten nach einigen Tagen eine blasigen Hautauschlag. Fast immer verlief die Krankheit tödlich. Auf Grund der von römischen Geschichtsschreibern und dem römische Arzt Galenus geschilderten Symptome geht man heute davon aus, dass es sich bei dieser Krankheit um eine besonders aggressive Form der Pocken gehandelt hat.
Die Folgen der Pandemie waren verheerend: In Teilen des römischen Reichs wurden ganze Landstriche entvölkert, in Rom sollen zeitweilig mehr als 2.000 Menschen am Tag gestorben sein. Insgesamt forderte Antoninische "Pest" wahrscheinlich sieben bis zehn Millionen Todesopfer und schwächte das römische Reich stark. Überlieferungen zufolge kam es zu Missernten, die öffentliche Ordnung brach zeitweilig zusammen und an den Grenzen des römischen Reichs kam es immer wieder zu Angriffen nichtrömischer "Barbaren". Gleichzeitig könnte die antike Seuche den Aufstieg des Christentums im römischen Reich gefördert haben.
541 bis 700: Die Justinianische Pest
Die Justinianische Pest gilt als die größte Seuche des antiken Europa: Ab 541 nach Christus starben in den wiederholten Ausbruchswellen bis zur Hälfte der Menschen im Oströmischen Reich. Auch das rheinische Germanien, zwei Drittel Galliens und weite Teile des Mittleren Ostens waren von der Pest-Epidemie betroffen. Meist grassierte die Seuche zwei bis drei Jahre in einem bestimmten Gebiet, flaute dann ab und kehrte manchmal nach einer Pause wieder zurück.
Wie man heute weiß, war der Erreger dieser Seuche wahrscheinlich das gleiche Pestbakterium, das einige Jahrhunderte später als der Schwarze Tod in Europa wütete. Forscher gehen davon aus, dass der Ausbruch der Justinianischen Pest durch eine Phase besonders kühlen und regnerischen Wetters begünstigt wurde – möglicherweise ausgelöst durch mehrere große Vulkanausbrüche. Geschichtsschreiber jener Zeit berichten von einer mysteriösen Dunstwolke, die selbst die Mittagssonne matt erscheinen ließ und schildern schwere Missernten.
1346 bis 1353: Der Schwarze Tod
Sie ist die wahrscheinlich schlimmste Seuche der Geschichte: Die mittelalterliche Pest-Pandemie raffte in Europa mehr als 25 Millionen Menschen dahin – rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung.
In der Region des heutigen Deutschland starb immerhin jeder zehnte Einwohner am "Schwarzen Tod". Der Erreger, das Bakterium Yersinia pestis, wurde in dieser Zeit wahrscheinlich mehrfach aus Asien über die Seidenstraße nach Europa eingeschleppt.
Lange galten die Ratten und ihre Flöhe dabei als Hauptüberträger der Pest auf den Menschen. Doch 2018 fanden Wissenschaftler heraus, dass den Raten zumindest bei dieser Pandemie Unrecht getan wurde. Denn schuldig am Schwarzen Tod und seiner rasanten Ausbreitung waren in erster Linie die damals massenhaft verbreiteten Menschenflöhe und Kleiderläuse. Die beengten und unhygienischen Bedingungen und die meist von der Familie gemeinsam genutzten Strohlager boten diesen Blutsaugern ideale Bedingungen, um von einem Wirt zum andere zu wechseln und so auch das Pestbakterium zu übertragen.
Der Schwarze Tod und das von ihm verursachte Massensterben hatte weitreichende Folgen für die mittelalterliche Gesellschaft. So führte der Mangel an Arbeitskräften dazu, dass die Leibeigenschaft in einigen Ländern abgeschafft wurde und die Handwerkszünfte ihre strengen Zugangsregeln lockerten. Möglicherweise gab der Arbeitskräftemangel auch den Anstoß zu technischen Neuerungen wie dem Buchdruck.
16. Jahrhundert: Pocken und Fieber in Nordamerika
Als die spanischen Konquistatoren begannen, die Neue Welt zu erobern, brachte sie aus ihrer Heimat eine tödliche Bedrohung mit: Krankheitserreger, die den nordamerikanischen Ureinwohner fremd waren. Weil ihr Immunsystem dadurch keinerlei Abwehrkräfte gegen diese neuen Viren und Bakterien hatte, starben Millionen Indianer an diesen für sie neuen Seuchen.
Allein die Pocken könnten im Jahr 1519/1520 rund fünf bis acht Millionen Todesopfer gefordert haben. Einigen Schätzungen zufolge fielen diesem tödlichen Virus sogar die Hälfte bis 90 Prozent der amerikanischen Ureinwohner zum Opfer. Zwischen 1545 und 1578 raffte zudem ein von Blutungen begleitetes Fieber in Mexiko weitere rund drei Millionen Indianer dahin. Das Massensterben unter der ursprünglichen Bevölkerung Nord- und Mittelamerikas verschaffte den Eroberern aus Europa nahezu freie Bahn und erleichterte ihnen die Übernahme des Kontinents.
1889–1890: Die "russische" Grippe
Diese Influenza-Pandemie unterschied sich von allen vorhergehenden durch die Zahl der Opfer, vor allem aber durch das enorme Tempo, mit der sich diese Seuche um die Welt verbreitete. Nachdem diese Grippe im Oktober 1889 erstmals in Sankt Petersburg grassierte, benötigte sie nur vier Monate, um den gesamten Globus zu überziehen. Im Dezember 1889 erreichte sie die USA, im Januar Afrika, im Februar Indien und China und im März Australien, Neuseeland und Ozeanien. Sie gilt als die erste Pandemie, bei der sich der Erreger vor allem mithilfe der Eisenbahn ausbreiten konnte.
Insgesamt forderte diese Grippe-Pandemie gut eine Million Todesopfer. Weil die Symptome sehr schnell und heftig einsetzen und oft nur drei Tage dauerten, wurde diese Influenza im Deutschen auch als "Blitz-Katarrh" bezeichnet. Auf welchen Typ von Influenza-Viren diese Seuche zurückging, ist bisher nicht eindeutig klar.
1918: Die spanische Grippe
Die Spanische Grippe gilt als die bislang schlimmste Grippe-Pandemie überhaupt. Sie breitete sich am Ende des Ersten Weltkriegs nahezu weltweit aus und infizierte mehr als 500 Millionen Menschen. Die Pandemie forderte im Laufe ihrer drei großen Wellen bis zu 50 Millionen Todesopfer – an dieser Grippe starben damit mehr Menschen als im Ersten Weltkrieg. Besonders viele Tote gab es in Nordamerika, wo sich die Seuche zuerst unter US-Soldaten und Fabrikarbeitern rasant ausbreitete, dann aber auch viele Indianer- und Inuit-Völker an den Rand der Ausrottung brachte.
Verursacher dieser Pandemie war ein Influenza-Virus vom Typ H1N1. Nachkommen dieses Virentyps kursieren bis heute und lösen immer wieder Grippewellen aus. "Die Influenza-Pandemie von 1918/19 war ein prägendes Ereignis in der Geschichte der öffentlichen Gesundheit“, erklärt Anthony Fauci vom US-Forschungszentrum NIAID. "Das Erbe dieser Pandemie lebt auf vielen Wegen weiter, darunter auch durch die Tatsache, dass die Nachkommen des Virus von 1918 seit neun Jahrzehnten zirkulieren."
1961-1990: Cholera
Ursprünglich kam die Cholera nur auf dem indischen Subkontinent auf und verursachte dort lokale Ausbrüche dieser schweren, oft tödlich endenden Durchfallerkrankung. Doch im Jahr 1817 wurde der Erreger, das Bakterium Vibrio cholerae erstmals auch in andere Regionen verschleppt. Dies löste die erste große Cholera-Pandemie aus, die Menschen in Asien, Ostafrika und später auch Russland und Europa traf.
Seither hat es bereits sechs Cholera-Pandemien gegeben, die siebte hält seit 1961 an. Sie gilt als die längste bekannte Pandemie der Geschichte. Immer wieder kommt es im Rahmen dieser eher schleichend verlaufenden Seuche zu regionalen Ausbrüchen der Cholera. Die geschätzte Zahl der Todesopfer liegt bei mehreren Millionen.
Ab 1981: Die Aids-Pandemie
Anfang der 1980er sorgte der Ausbruch einer mysteriösen Seuche unter schwulen Männern in Kalifornien und New York für weltweites Aufsehen. Es war der Beginn der HIV-Pandemie, denn schon kurz darauf hatte sich der Erreger dieser Immunschwäche, das HI-Virus, nahezu weltweit verbreitet. Seither sind mehr als 36 Millionen Menschen an Aids gestorben, rund 75 Millionen Menschen weltweit sind mit dem Virus infiziert. Zwar lässt sich das Virus inzwischen durch antivirale Medikamente an der Vermehrung hindern, so dass die Aids-Krankheit nicht ausbricht. Aber eine Heilung gibt es bisher nicht.
Ursprünglich ist das HI-Virus in Afrika von Menschenaffen auf den Menschen übergesprungen. Noch heute existiert eine eng verwandte Form, das SIV, bei diesen Tieren. Neuere Studien haben ergeben, dass der Vorfahre des heute verbreiteten HI-Virus vermutlich im Jahr 1920 im Kongo entstand. Durch den Ausbau der Eisenbahn und entlang der Flüsse gelangte das Virus dann in die schnell wachsende Stadt Kinshasa. Dort verbreitet es sich unerkannt unter den Einwohnern – auch durch kontaminierte Spritzen bei einem Impfprogramm. Von Westafrika aus wurde es dann durch Flugreisende nach Amerika und in andere Länder weiterverbreitet.
2009: Die "Schweinegrippe"
Am 12. Juni 2009 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach langer Pause erstmals wieder die weltweite Pandemie-Warnstufe 6 aus – die höchstmögliche. Grund für den Seuchen-Alarm: Die sich immer stärker ausbreitende Influenza A/H1N1 neuen Typs, die sogenannte „Schweinegrippe“. Der Erreger dieser Krankheit war durch den Genaustausch zwischen zwei Stämmen von in Schweinen vorkommenden Influenzaviren entstanden. Dabei entwickelte das Virus die Fähigkeit, auch den Menschen zu befallen.
Im Gegensatz zur saisonalen Grippe, die vor allem für Ältere gefährlich werden kann, erkrankten an der pandemischen H1N1-Grippe vor allem jüngere Erwachsene und Kinder besonders schwer – ähnlich wie schon an der Spanischen Grippe von 1918. In dieser Altersgruppe war die Todesrate daher besonders hoch. Insgesamt starben an der "Schweinegrippe" zwischen 150.000 und 570.000 Menschen weltweit.
SARS
Die SARS-Pandemie kam scheinbar aus dem Nichts: Im Winter 2002/2003 erkrankten in Asien plötzlich immer mehr Menschen an einer rätselhaften, neuartigen Lungenentzündung. Sie bekamen hohes Fieber, Husten, Atemnot und ihre Lungen waren stark entzündet. Wenig später ergaben Analysen, dass es sich beim Erreger dieser als "Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom" (SARS) bezeichneten Krankheit um ein zuvor unbekanntes Coronavirus handelte. Dieses kam ursprünglich in Fledermäusen vor, hatte sich aber durch Mutationen an den Menschen angepasst.
Zwar konnte die Pandemie nach wenigen Monaten durch rigorose Quarantäne-Maßnahmen eingedämmt werden, doch bis dahin waren mehr als 8.000 Menschen erkrankt und gut 700 gestorben. Die schnelle Ausbreitung der Seuche demonstrierte eindrücklich, wie eng die Kontinente durch die Globalisierung und den Flugverkehr zusammengerückt sind. SARS gilt als die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts – und die erste, die von einem Coronavirus verursacht wurde.
Die aktuelle Pandemie: Covid-19
Schon jetzt ist klar, dass sich die aktuelle Corona-Pandemie unter die großen Seuchen der Geschichte einreihen wird. Denn innerhalb von gut einem Vierteljahr hat sich das Coronavirus SARS-CoV-2 weltweit ausgebreitet, Ende April 2020 waren bereits mehr als drei Millionen Menschen infiziert, mehr als 210.00 Menschen an der vom Virus ausgelösten Krankheit Covid-19 gestorben.
Begonnen hat die Corona-Pandemie ganz ähnlich wie die SARS-Pandemie: In der chinesischen Millionenstadt Wuhan erkrankten Ende Dezember 2019 auffällig viele Menschen an einer grippeähnlichen Erkrankung, teils kam es auch zu schweren Lungenentzündungen. Als Erreger erwies sich auch hier ein ursprünglich aus Fledermäusen stammendes Coronavirus – ein Verwandter von SARS-1.
Bisher gibt es gegen dieses Coronavirus weder wirksame antivirale Medikamente noch einen Impfstoff. Deshalb versuchen fast alle betroffenen Länder, eine zu schnelle Ausbreitung des Virus durch die Quarantäne Infizierter, das Abstandhalten im Alltag und das Verbot von Veranstaltungen und anderen Menschenansammlungen zu verhindern. Auch Schulen, Kitas und Universitäten blieben teils monatelang geschlossen. Wann die Pandemie endet und wann alle Seuchenschutzmaßnahmen wieder aufgehoben werden können, ist bisher nicht abzusehen.