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"This Land is your Land"

"This land is your land, this land is my land", lautet eine berühmte Liedzeile von Woody Guthrie, die sich auf die Besiedlungsgeschichte der USA bezieht. Am 20. Mai 1862 unterschrieb Präsident Lincoln den "Homestead Act", der den Landerwerb regelte und dessen Prinzipien bis heute in den Köpfen vieler US-Amerikaner nachwirken. Tatsächlich erweist sich der "Homestead Act" als Schlüsselereignis, wenn man verstehen will, warum es Stimmen in den USA bis heute schwer haben, die auf eine Begrenzung des Waffenbesitzes abzielen – oder sich für eine allgemeine Krankenversicherung einsetzen.
Kai U. Jürgens

Ein neues Leben in den Kolonien

Mayflower
thinkstockphotos.de/Getty Images/Photos.com
Die Besiedlung leerstehender Landflächen ist eng mit der Menschheitsgeschichte verknüpft. Wer Landwirtschaft betreiben will, braucht dazu geeignete Flächen, die eine planvolle Kultivierung erlauben. Mit dieser Urbarmachung wachsen die besiedelten Gebiete und mit ihnen die Gemeinschaften, denen sie angehören. Die frühen Jahre der USA sind aus dieser Perspektive eine umfängliche Besiedlungsgeschichte. Obwohl es bereits im 16. Jahrhundert erste europäische Kolonien gab, ist das Jahr 1620 von besonderer Bedeutung, weil im November die "Mayflower" Nordamerika erreichte – ein Auswandererschiff, dessen Passagiere heute als "Pilgerväter" gelten. Es waren englische Separatisten, die auf dem fernen Kontinent ein neues Leben beginnen wollten, fernab von der Kontrolle durch das britische Parlament. Diese Haltung findet sich über einhundertsechzig Jahre später wieder, als die Unabhängigkeitsbestrebungen der unterdessen dreizehn Kolonien zur Gründung der Vereinigten Staaten führen. Ihre Verfassung wurde 1787 in Philadelphia unterzeichnet. Doch noch hatte der junge Staat kaum ein Drittel seiner heutigen Ausdehnung. Und er konnte nur nach Westen expandieren, da die Grenze nach Kanada unantastbar war.

 

Auf nach Westen!

Abraham Lincoln
wissenmedia, Gütersloh
1803 konnten die USA durch den "Louisinan Purchase" ihr Gebiet mehr als verdoppeln – es handelte sich um Land, das von Frankreich gekauft wurde. Zwei Themen beherrschten die Zeit: die mögliche Abschaffung der Sklaverei und die oft aggressive Landnahme, die zu Lasten der Indianer ging. Im Mittelpunkt stand die "Frontier", also jene Grenze, die den bereits besiedelten Osten von dem noch unbesiedelten Westen trennte und die sich immer weiter in Richtung Pazifik verschob. Dies waren jene Jahre, die heute unter dem Oberbegriff "Wilder Westen" bekannt sind. 1862 unterschrieb Präsident Abraham Lincoln den berühmt gewordenen Homestead Act, zu deutsch: das Heimstättengesetz. Es besagte, dass jeder Bürger, der 21 Jahre alt war oder bereits eine Familie gegründet hatte, ein unbesiedeltes Land in der Größe von 160 acre – das sind rund 640.000 m² – abgrenzen und bewirtschaften durfte. Nach fünf Jahren gehörte das Gelände ihm – sofern er die Frist durch Zahlung von etwa 200 US-Dollar nicht auf sechs Monate verkürzte. Fragen im Hinblick auf die Ureinwohner spielten offensichtlich keine Rolle und sollten dies auch in den kommenden Jahrzehnten nicht tun. Auch sonst wurden keine Bedenkenträger, sondern handfeste Männer der Tat gesucht, die den Pioniergeist der Pilgerväter in eine neue Zeit trugen.   

 

Die Weite des Landes

Der "Homestead Act" basierte auf handfesten Interessen. Es ging darum, die Weite des Kontinents zu besiedeln, und zwar mit produktiven Farmern, die noch dazu steuerpflichtig waren. Später gab es sogar noch weitere Fassungen des Gesetzes. Die Pionierzeit und mit ihr der "Wilde Westen" ging 1890 zu Ende. Zuvor war mit dem "Oklahoma Land Run" ein Teil des letzten verbliebenen Indianerreservats – wenn auch nach Absprache mit zwei der dort lebenden Stämme – freigegeben worden. Die Selbstverständlichkeit dieses Vorgehens wirkt jedoch bis heute nach. Wer sich in den Westgebieten Nordamerikas ansiedelte, war auf harte Arbeit gefasst, errang damit aber auch große gestalterische Spielräume. Der berühmte Satz "From a Dishwasher to a Millionaire" – vom Tellerwäscher zum Millionär – schien in dieser Zeit Gültigkeit zu besitzen. Individualismus stand hoch im Kurs. Entsprechend reduzierte sich die Rolle des Staats. So verbietet der bereits 1791 verabschiedete 2. Zusatzartikel der Verfassung, das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen einzuschränken. Über die Auslegung dieser Ergänzung wird bis heute erbittert gestritten, der entsprechende Satz ist aber gut geeignet, die auf Unabhängigkeit abzielende Mentalität der Siedler zu erläutern. Die Forderung, der Staat möge sich zurückhalten und keineswegs überregulieren, zeigt sich auch in der unter US-Amerikanern weitverbreiteten Ablehnung einer allgemeinen Krankenversicherung nach europäischem und kanadischem Vorbild. Auch hier steht – zumindest grundsätzlich – das Individuum im Mittelpunkt, dessen Rechte nicht eingeschränkt werden sollen. Dass die Gegner einer allgemeinen Versicherungspflicht meist in der Lage sind, privat jede notwendige Behandlung zu bezahlen, sollte dabei nicht verschwiegen werden. Ebenso stehen hinter dem "Recht auf Waffenbesitz" nicht zuletzt die finanziellen Interessen einer umsatzstarken Industrie.

 

Die Siedler im 21. Jahrhundert

Während die Debatten um Krankenversicherung und Waffenbesitz sicher irgendwann einmal gelöst sein werden, dürfte die Siedlermentalität in den Herzen vieler US-Amerikaner weiterhin erhalten bleiben. Trotz hochproblematischer Begleitumstände ist der Pioniergeist weiterhin aktiv, auch wenn das Land längst erschlossen ist. Kein Wunder also, wenn Bruce Springsteen "This Land is your Land" als "one of the most beautiful songs ever written" bezeichnet – als eines der schönsten Lieder, die je geschrieben wurden: "This land is your land, this land is my land / From California to the New York Island / From the Redwood Forest to the Gulf Stream waters / This land was made for you and me". Diese Utopie lebt bis heute fort.

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