Lexikon
Romạn
[
französisch
]ursprünglich eine in romanischer Volkssprache und nicht in Latein verfasste Erzählung. Als eigenständige Großform der epischen Literatur bildet sich der Roman zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert unter dem Einfluss der höfischen Epen heraus. Als Roman wird in der Regel ein umfangreicher, in Prosa verfasster, fiktionaler erzählerischer Text bezeichnet. Grenzformen sind u. a. der Vers- und der Kurzroman. Versuche, den Roman in den Rahmen einer literarischen Gattungstheorie einzuordnen, sind problematisch, weil er sowohl die übrigen literarischen Gattungen als auch alle anderen Sprach- und Textformen als Material benutzen kann und so alle Gattungsgrenzen sprengt. Die inhaltliche und formale Vielfalt des Romans ist nahezu unbegrenzt. In stofflicher Hinsicht unterscheidet man z. B. Abenteuerroman, Entwicklungsroman, Schelmenroman, Historienroman, Kriminalroman, Sciencefictionroman oder Heimatroman, in formaler Hinsicht z. B. Briefroman oder Tagebuchroman. Der Roman ist in erster Linie für die individuelle Lektüre bestimmt. Er nimmt die sozialen und historischen Gegebenheiten seiner Umwelt auf und erzeugt damit eine Nähe zur erlebten Realität seiner Leser.
In allen Epochen befriedigten Romane den Wunsch nach Unterhaltung. Erst im 18. Jahrhundert trennte sich vom Unterhaltungsroman der literarische Roman im engeren Sinne, in den alle Themenbereiche, die zuvor anderen Gattungen vorbehalten waren, Eingang fanden und dessen Form nach ästhetischen Kriterien beurteilt wird. Bis heute gehört jedoch der größte Teil der Romanproduktion zur Unterhaltungsliteratur. Die Romanliteratur kennt eine große Zahl verschiedener Erzähltechniken, die ein oft sehr komplexes Geschehen in das Nacheinander des Erzählverlaufs übertragen. Die Erzählung kann der Handlung geradlinig folgen, aber auch Zukünftiges vorwegnehmen oder in die Vergangenheit zurückgreifen. Der Erzähler kann verborgen bleiben oder das Geschehen in unterschiedlichem Maße kommentieren.
Romane oder romanartige Erzählungen gibt es in fast allen schriftlichen Kulturen. Ihr Ursprung wird in der Aneinanderreihung von Bestandteilen mythischer Erzählungen gesehen, die sich aus ihren ursprünglichen Bedeutungssystemen gelöst hatten.
Geschichte des europäischen Romans
Die Antike kannte zwar seit dem Hellenismus Texte, die heute als Romane bezeichnet werden; sie verfügte jedoch weder über eine entsprechende Bezeichnung, noch beschäftigte sich die antike Dichtungstheorie mit dem Roman. Als antiken Roman im engeren Sinne bezeichnet man vor allem die griechischen und lateinischen Liebes- und Abenteuerromane des 1.–3. Jahrhunderts n. Chr, in denen erotische Motive und eine Serie von meist auf Reisen bestandenen Abenteuern das Geschehen bestimmen. Prominente Vertreter dieser Gattung sind die „Kallirhoe“ des Chariton, die „Ephesiaka“ des Xenophon von Ephesos oder die „Aithipika“ des Heliodor. In der römischen Kaiserzeit entstanden lateinische Romane aus freien Bearbeitungen griechischer Vorbilder (Petronius: „Satiricon“, 1. Jahrhundert n. Chr.; Apuleius, „Der goldene Esel“, 2. Jahrhundert). In der höfischen Gesellschaft des Hochmittelalters entstand der in Versen verfasste höfische Roman, der sich um eine idealisierende Darstellung der ritterlichen Lebensform bemühte (Artusroman, u. a. Perceval, Tristan) und deren bedeutendste Verfasser Wolfram von Eschenbach („Parsival“), Gottfried von Straßburg („Tristan“) und Hartmann von Aue („Erec“, „Iwein“) waren. Die Erfindung des Buchdrucks und das Entstehen eines breiten Lesepublikums begünstigten vom 16. Jahrhundert an eine umfangreiche Romanproduktion. Mit F. Rabelais’ „Gargantua und Pantagruël“ (1532–1562) und M. de Cervantes’ „Don Quijote“ (1605–1615) entstanden die ersten großen neuzeitlichen Romane. Von den verschiedenen Romanformen der Barockliteratur (u. a. Schäferroman, enzyklopädisch angelegter Fürstenroman) erlangte vor allem der sich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts von Spanien aus verbreitende Schelmen- oder Picaroroman Bedeutung für die spätere Romanproduktion („Lazarillo de Tormes“ 1554; M. Alemán: „Guzmán de Alfarache“ 1599–1604; H. J. C. von Grimmelshausen: „Simplicissimus“ 1669). Er stellte die zeitgenössische Gesellschaft aus der Perspektive eines Außenseiters dar.
Rabelais, François: Pantagruel
Pantagruel: Titelblatt
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Um die Wende zum 18. Jahrhundert löste der bürgerliche Roman den Barockroman ab. Themen des Barockromans wurden im Sinne der bürgerlichen Moral und Empfindsamkeit interpretiert; neue, das bürgerliche Selbstbewusstsein ausdrückende Themen wurden – z. B. in den Robinsonaden – entwickelt. An die Stelle des belehrenden und unterhaltenden Erzählens traten reflektierende Schreibweisen, die das subjektive Weltbild eines Erzählers formulierten (z. B. im Briefroman des 18. Jahrhunderts). Vorbilder für ganz Europa wurden im 18. Jahrhundert englische Romane (S. Richardson: „Pamela“ 1740; H. Fielding: „Tom Jones“ 1749; L. Sterne: „Tristram Shandy“ 1759–1767). An ihnen orientierten sich auch C. M. Wieland („Agathon“ 1766/67) und Goethe („Wilhelm Meisters Lehrjahre“ 1795/96), die dem bürgerlichen Roman in Deutschland zur Anerkennung verhalfen. In diesen Romanen wird meist die Geschichte eines individuellen Helden erzählt, die sowohl von dessen Natur wie von der Auseinandersetzung mit äußeren Umständen bestimmt wird. Am deutlichsten prägte sich diese Tendenz im Entwicklungsroman und – vor allem in Deutschland – im Bildungsroman aus. Mit den für ein breites Publikum produzierten Räuber- und Schauerromanen einerseits und moralisch-sentimentalen Erzählungen andererseits bildete sich im 18. Jahrhundert auch der Trivialroman im modernen Sinne heraus. Die romantischen Romane (Novalis: „Heinrich von Ofterdingen“ 1802; E. T. A. Hoffmann: „Die Elixiere des Teufels“) stellten Selbstreflexion, Fantasie, Virtuosität und Spiel, oft am Beispiel einer Künstlerexistenz, in den Mittelpunkt. Zur Zeit der Romantik entstand der im 19. Jahrhundert immer wieder variierte historische Roman (W. Scott: „Waverley“ 1814), wenig später im Gegensatz zur Romantik und z. T. als Übertragung des historischen Romans auf die Gegenwart der für das 19. Jahrhundert typische realistische Gesellschaftsroman.
Die realistischen Romanciers fassten den Roman als ein Mittel zur Abbildung der Wirklichkeit auf und bezeichneten ihre Arbeitsweise z. T. als wissenschaftlich. Ihre Romane weiteten sich einerseits bis zum Porträt der ganzen Gesellschaft der Epoche in Romanzyklen aus (H. de Balzac: „Die menschliche Komödie“ 1829–1854; É. Zola: „Die Rougon-Macquart“ 1871–1893); andererseits wurde die Psyche des Einzelnen mit immer mehr verfeinerten Mitteln beschrieben (G. Flaubert: „Madame Bovary“ 1857; F. Dostojewskij: „Die Brüder Karamasow“ 1879/80). Diese Form des Gesellschaftsromans fand in Deutschland nur wenige Nachfolger, z. B. T. Fontane („Effi Briest“ 1895) oder H. Mann („Der Untertan“ 1916). Im 19. Jahrhundert entstanden auch der oft schon „industriell“ produzierte, in Fortsetzungen in der Presse erscheinende Feuilletonroman und der Kriminalroman.
Balzac, Honoré de
Honoré de Balzac
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Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zweifeln die bedeutendsten Romanautoren an der Erfassbarkeit von Individuum und Gesellschaft mit den Mitteln des realistischen Romans. Essayistische Passagen reflektieren eine dem direkten Erzählen nicht mehr zugängliche Realität (M. Proust, T. Mann, R. Musil); statt der äußeren wird eine „romanimmanente“ Wirklichkeit dargestellt (F. Kafka, S. Beckett); das einheitliche Subjekt löst sich im inneren Monolog auf, der den Bereich des Unbewussten in die epische Handlung einbezieht (J. Joyce, A. Döblin); der Überblick des Erzählers über das Erzählte erscheint selbst als Fiktion (A. Gide). Die Romanliteratur der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts orientierte sich einerseits an verschiedenen historischen Vorbildern wie dem Schelmenroman (G. Grass), dem realistischen Roman (H. Böll, A. Moravia), den Romanen der ersten Jahrhunderthälfte (U. Johnson). Andererseits entwickelte man experimentelle Schreibweisen (Nouveau Roman, Wiener Gruppe). Die Postmoderne, die einheitsstiftende Leitideen ablehnt, hat die Tendenz zu einer beinahe unbegrenzten Formenvielfalt noch verstärkt. Im 20. Jahrhundert verlor Europa die Stellung des Zentrums der Romanproduktion. Montage- und collageartige Romantechniken wurden vor allem in den USA entwickelt (J. Dos Passos, W. Faulkner). Die bedeutenden lateinamerikanischen Romanciers verbinden die Traditionen des europäischen Romans mit Erzählmotiven aus der Mythologie und Realgeschichte des Kontinents (A. Carpentier, G. García Márquez, C. Fuentes, M. Vargas Llosa, I. Allende u. a.).
Auch außerhalb Europas bestehen bedeutende Traditionen der Literaturform des Romans. Als frühe Beispiele sind zu nennen: die aus dem Indien des 7./8. Jahrhundert stammenden „Erlebnisse der zehn Prinzen“ von Dandin; als ein erster Höhepunkt in Japan der von der Hofdame Murasaki Shikibu kurz nach 1000 geschriebene Roman „Die Geschichte des Prinzen Genji“; in China neben historischen Romanen des 14./15. Jahrhunderts z. B. der als Sittengemälde angelegte Roman „Pflaumenblüten in der Goldvase“ (16. Jahrhundert).
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