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Medikamentenmangel: Jetzt fehlt Kochsalzlösung

Seit Monaten beraten Gesundheitsexperten, wie sie dem Medikamentenmangel in Deutschland beikommen könnten. Nun fehlt stattdessen ein weiteres Präparat: Kochsalzlösung. Doch welchen Zweck erfüllt diese Flüssigkeit eigentlich in der Medizin? Warum ist sie auf einmal derart schwer erhältlich? Und was lässt sich dagegen tun?
THE, 28.10.2024
Viele deutsche Apotheken und Krankenhäuser haben schon seit Monaten mit einem großen Mangel an Medikamenten zu kämpfen. Am stärksten betroffen sind aktuell Antidepressiva, Schilddrüsenmedikamente, Schmerzmittel und Blutdrucksenker.

© AlexanderFord, iStock

In der letzten Zeit mangelte es in deutschen Apotheken und Kliniken immer wieder an Medikamenten. Unter anderem fehlten in den letzten Monaten Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Mittel gegen Bluthochdruck. Teilweise lässt sich in einem solchen Fall auf ähnliche Heilmittel ausweichen – wenn beispielsweise Ibuprofen fehlt, lassen sich Schmerzen auch mit Paracetamol lindern. Doch nicht alle Medikamente haben eine adäquate Alternative. Wenn Patienten ihre Pharmazeutika dann nicht rechtzeitig verabreicht bekommen, kann ein Medikamentenengpass verheerende Folgen nach sich ziehen.

Neue Medikamentenknappheit: Kochsalzlösung

Nun fehlt ein neues medizinisches Präparat – die Kochsalzlösung. Die Firma Braun, einer der primären Zulieferer hierzulande, teilte kürzlich mit, dass sie bis Ende des Jahres nur noch die Hälfte des Bedarfs decken könnte. „Fresenius, der zweite große Lieferant, kann das nicht auffangen“, erklärt Ulrike Holzgrabe, Professorin für pharmazeutische und medizinische Chemie. „Daher würde ich im Fall der Kochsalzlösung derzeit von einem Versorgungsengpass sprechen“, so die Expertin.

Auch wenn es sich bei Kochsalzlösung nicht um einen pharmazeutischen Wirkstoff, sondern nur um einen Wasser-Salz-Mix handelt, lässt sich das Mittel nicht einfach nachproduzieren. Denn die Lösung muss keimfrei hergestellt werden, was nur in speziellen Räumlichkeiten möglich ist. Laut Holzgarbe könnten deshalb selbst pharmazeutische Universitätsinstitute die benötigten Mengen nicht bereitstellen.

Lässt sich Kochsalzlösung ersetzen?

Doch Kochsalzlösung ist in Krankenhäusern und Apotheken praktisch unersetzlich und in großen Mengen notwendig – abhängig von der Größe der Klinik benötigen Pfleger und Ärzte wöchentlich hunderte bis tausende Flaschen davon. Kochsalzlösung dient meist als Träger für Medikamente, die intravenös verabreicht werden müssen. Außerdem benötigen Krankenpfleger und Ärzte sie beispielsweise bei Operationen, um Wunden zu spülen.

Aus diesem Grund kritisieren einige Experten, dass dem Kochsalz-Lieferengpass nicht früher begegnet wurde. „Ich finde es kurios, dass das Thema jetzt hochkocht, denn wir konnten schon im Frühjahr sehen, dass es zum Beispiel bei den Kochsalzlösungen Probleme geben könnte. Braun und Fresenius, die beiden entscheidenden Hersteller, hatten damals schon Schwierigkeiten gemeldet“, so Holzgrabe.

Infusionsbeutel in Krankenzimmer
Auch bei einfachen Kochsalzlösungen, die in Kliniken beispielsweise für Infusionen unverzichtbar sind, bestehen aktuell Lieferengpässe.

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Vielfältige Gründe für Medikamentenknappheit

Als Hauptursache für die Engpässe machen Experten normalerweise die Produktion der Medikamentenwirkstoffe in Indien und China aus. Diese Länder liefern den größten Teil der bei uns verwendeten pharmazeutischen Substanzen. Deshalb können schon kleine Unwetter, wirtschaftliche Probleme oder Konflikte in diesen Ländern auch hierzulande zu einem Medikamentenmangel führen.

Und im Fall der Kochsalzlösung? „Der aktuelle Engpass lässt sich wohl auf Schäden an einem wichtigen Werk in North Carolina, USA, durch den Hurrikan Helene zurückführen. Vorausgegangen waren zudem Lieferengpässe bei anderen Herstellern, verursacht durch Probleme bei Zulieferern“, erklärt Frances. „Der Engpass bei Kochsalzlösungen zeigt somit, dass es unterschiedliche Gründe für Lieferengpässe gibt.“

Laut Holzgrabe könnte außerdem die aktuelle Weltlage für den akuten Kochsalzlösungsmangel verantwortlich sein. Denn durch die Konflikte in Israel, der Ukraine oder in Afghanistan können Lieferanten die Medikamentenbestandteile nicht mehr ohne Risiko auf ihren gewöhnlichen Routen von einem Produktionsort zum nächsten transportieren. 

Medikamente horten oder Frühwarnsystem einführen?

Und wie lässt sich das Problem lösen? Eine Möglichkeit wäre, Apotheken und auch andere Lagerhallen stärker zu bestücken. Im Falle eines Engpasses würde folglich für einige Zeit immer noch ein „Puffer“ an Medikamenten zur Verfügung stehen. Doch nicht alle befürworten diese Lösung. „Das bindet nur Kapital, und die Arzneimittel werden womöglich nicht gebraucht“, kommentiert Holzgrabe. 

Stattdessen könnten datengetriebene Frühwarnsystemen auf eine drohende Medikamentenknappheit hinweisen – als Folge ließen sich die Arzneimittel regional besser verteilen. Langfristig könnten die Systeme dann besonders anfällige Lieferketten identifizieren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte plant aus diesem Grund bereits erste Marktbeobachtungs- und Frühwarnsysteme.

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