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Nachtzüge: Einst ausrangiert, heute wiederbelebt

Abends in der gemütlichen Pritsche eines Zugs im regnerischen Hamburger Hauptbahnhof einschlafen und morgens in einem Pariser Café Croissants frühstücken. Nachtzüge sind eine großartige Art zu reisen, denn die Reisezeit verschläft man einfach und gut für die Umwelt ist es auch. Diese Art zu reisen war zwar einige Zeit lang aus der Mode gekommen, doch in Europa stehen die Weichen auf eine Renaissance der Nachtzüge.
JFR, 03.02.2022

Gleich in mehreren europäischen Ländern gibt es Initiativen, das ausgedünnte Nachtzugangebot wieder zu erweitern.

Gettyimages, aesculap2000

In einem Nachtzug sind die herkömmlichen Sitzabteile durch Schlafabteile mit Liegemöglichkeiten ersetzt. Diese Züge verkehren nur nachts und fahren mit einer angepassten Geschwindigkeit, sodass man morgens zu humanen Zeiten an seinem Zielort ankommt. Vor allem lange Strecken lassen sich damit gut zurücklegen, denn die Nachtzüge machen wenige Zwischenhalte.

Vor allem ab den 1950er-Jahren nahmen die Deutschen regelmäßig Nachtzüge als Verkehrsmittel in Anspruch. Die Westdeutschen fuhren über Nacht von Dortmund nach Athen oder von München nach Neapel, während man in Ostdeutschland mit dem Nachtzug von Berlin nach Budapest oder an die Ostsee reisen konnte. Doch was passierte dann mit den Nachtzügen?

Nachtzüge auf dem Abstellgleis

Der Hauptgrund für die mangelnde Attraktivität der Nachtzüge waren bessere Angebote. Der ICE beispielsweise fuhr zum ersten Mal 1991 auf den Strecken der Deutschen Bahn und war deutlich schneller als bisherige Züge. Damit war es nicht mehr so oft nötig, über Nacht zu reisen.

Vor allem die Einführung der Kurzstreckenflüge zwischen europäischen Ländern machten dann den Nachtzügen den Garaus. Wer für zehn Euro nach Italien oder Spanien fliegen kann, legt sich schließlich nicht mehr die ganze Nacht in einen Zug. Auch Fernbusse waren oft preisgünstiger als die Nachtzüge der Deutschen Bahn. Ende 2016 gab sich dann die Deutsche Bahn geschlagen und stellte den Betrieb aller Nachtzüge ein.

Aufwachen in Tibet: Angesichts der Größe vieler außereuropäischer Länder sind Nachtzüge und Schlafwagen in vielen Ecken der Welt selbstverständlich.

GettyImages, helivideo

Nimm lieber den Zug als das Flugzeug

Doch das Klimabewusstsein der Menschen ist in den letzten Jahren gewachsen und die Gesellschaft erkennt Kurzstreckenflüge zunehmend als unnötig und immens klimaschädigend. Zwar scheiterten die Grünen im Jahr 2021 damit, das Verbot der Kurzstreckenflüge in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen, aber der Ruf nach Alternativen wird trotzdem lauter.

Und diese Alternativen könnten einen großen Unterschied machen, wie die Seite ecopassenger.org bei einem Vergleich der Umweltbilanz von Flugzeug und Zug zeigt: Werden die 900 Kilometer zwischen Hamburg und Zürich mit dem Flugzeug zurückgelegt, werden dabei pro Person 190 Kilogramm Treibhausgase ausgestoßen. Fährt man diese Strecke jedoch über Nacht mit dem Zug sind es nur noch 24 Kilogramm.

Mit solchen Mini Cabins möchte die ÖBB zukünftig für mehr Privatsphäre in Liegewagen sorgen.

Mini Cabins von außen - ÖBB

Zukunft der Nachtzüge in Europa

Aber die Deutsche Bahn ist natürlich nicht der einzige Anbieter von Nachzugverbindungen: Die längste Nachtzugstrecke der Welt führt von Moskau über Warschau und Berlin nach Paris. Die Fahrt dauert insgesamt über 39 Stunden, aber ist momentan aufgrund der Pandemie eingestellt. Doch ab Dezember 2022 soll diese Strecke wieder angeboten werden.

In Europa gibt es bisher sechs Unternehmen, die eine Verbindung mit dem Nachtzug von und nach Deutschland anbieten. Den größten Anteil davon stellen österreichische Bundesbahnen (ÖBB). Der dazugehörige Nachtreisezug Nightjet fährt von Hamburg bis nach Italien und fährt dabei auch umliegende Staaten wie die Niederlande, Tschechien oder Kroatien an. Mit mehr Privatsphäre und Komfort werben sie für ihre neudesignten Nachtzüge, die ab dem Frühjahr 2023 eingesetzt werden sollen.

Die deutsche Bahn will in Zukunft wieder verstärkt mit der ÖBB und der Schweizerischen Bundesbahn zusammenarbeiten und Nachtzug-Strecken in Europa erweitern. Die Kooperation sieht zum Beispiel vor, dass zwar Fahrzeuge der ÖBB zum Einsatz kommen, aber auch deutsches Personal als Lokführer oder Zugbegleiter eingesetzt wird. Bis Ende 2023 soll die Linie von Wien über Berlin nach Paris wiedereingerichtet werden und bis 2024 sogar eine Reise über Nacht von Deutschland nach Barcelona möglich sein.

Nightjet der Zukunft. Die ersten Nachtzüge im neuen Design sollen ab Frühjahr 2023 für die ÖBB auf Schiene sein.

Neuer Liegewagen Innenansicht - ÖBB

Ohne Subvention keine Nachtfahrten

Konkrete Zahlen zu Preisen gibt es bisher noch nicht, aber klar ist, dass die Angebote bezahlbar sein müssen, wenn mit den Nachtzügen eine echte klimafreundliche Alternative geschaffen werden soll. Doch Nachtzüge sind bisher meist wirtschaftlich wenig rentabel: Weniger Gäste fahren in den Zügen, aber die Nachtverbindungen nehmen mehr Personal in Anspruch als normale Verbindungen.

Phillip Kosok, Bahnexperte der Agora Verkehrswende, ist sich sicher: "Nachtzugverbindungen für Bahnunternehmen wirtschaftlich zu fahren – das wird im größeren Stil nur funktionieren, wenn es mehr Unterstützung durch den Staat gibt".

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