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Penicillin - der Anfang der Antibiotika
Die Geburtsstunde des ersten modernen Antibiotikums beginnt mit einem Zufall: 1928 legt der Forscher Alexander Fleming in seinem Labor im Londoner St. Mary's Hospital eine Nährbodenplatte mit Staphylokokken an. Doch dann vergisst er diese Bakterien und verabschiedet sich in den Sommerurlaub. Als er zurückkehrt, hat sich blau-grüner Schimmel in der Petrischale mit den Keimen breitgemacht. Soweit so unspektakulär.
Anstatt die verschimmelte Kultur einfach zu entsorgen, schaut Fleming jedoch genau hin – und macht eine interessante Entdeckung: In direkter Nachbarschaft des Schimmelpilzes haben sich die Bakterien aufgelöst. Sie wachsen dort nicht mehr. Der Pilz, den der Bakteriologe Penicillin nennt, scheint eine keimabtötende Wirkung zu haben. Weitere Experimente zeigen, dass das Penicillin zwar nicht gegen alle, aber gegen grampositive Bakterien wie Staphylokokken, Streptokokken oder Pneumokokken wirkt und für Mensch und Tier offenbar ungiftig ist.
Der Fall Anne Miller
Fleming veröffentlicht seine Entdeckung im British Journal of Experimental Pathology – und legt damit den Grundstein zur Bekämpfung lebensbedrohlicher Krankheiten. Allerdings: Der spätere Nobelpreisträger selbst kommt zunächst nicht auf die Idee, den Pilzwirkstoff als Medikament zu verwenden. Erst zehn Jahre später verfolgen die Wissenschaftler Ernst B. Chain, Howard Florey und Norman Heatley diesen Ansatz. Sie haben Flemings Entdeckung wiederentdeckt und schaffen es schließlich, den Wirkstoff zu isolieren und in größeren Mengen herzustellen.
Vor allem in den USA erregt dies große Aufmerksamkeit. Denn dort benötigt man dringend wirksame Medikamente für verwundete Soldaten. Die erste zivile Patientin, der Penicillin das Leben rettet, ist der gängigen Erzählung nach eine junge Frau namens Anne Miller. Sie liegt im März 1942 mit hohem Fieber und entzündeten Organen in einem Krankenhaus in New Haven, Connecticut. Ihr Blut ist durchsetzt mit Millionen von Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae – ein Keim, der damals als nahezu unbesiegbar gilt.
Eine neue Ära beginnt
In dieser aussichtslosen Lage besinnen sich die Ärzte auf die Substanz, über die in der Fachwelt inzwischen viel geredet wird. Sie behandeln ihre Patientin mit Penicillin. Und das Wunder geschieht: Das Fieber sinkt, die tödlichen Streptokokken im Blut werden immer weniger und sind schließlich nicht mehr nachweisbar. Anne Miller wird wieder gesund. Für die Medizin markiert ihre Heilung den Wendepunkt, den Beginn einer neuen Ära: Zum ersten Mal in der Geschichte besitzt der Mensch eine wirksame Waffe gegen gefährliche Keime.
Diese wird bereits zwei Jahre nach Millers Genesung in so großen Mengen produziert, dass immer mehr Bürger davon profitieren können. Bald gibt es Penicillin in jeder Apotheke. 1945 werden Fleming, Ernst Chain und Howard Florey für ihren Anteil an dieser bahnbrechenden Entwicklung geehrt: Sie erhalten den Nobelpreis.
Stumpfe Waffen
Dank Penicillin und weiteren, wenig später entdeckten Antibiotika haben einst tödliche Infektionen wie Wundbrand und Tuberkulose ihren Schrecken verloren. Heute werden weltweit jedes Jahr millionenfach Antibiotika verschrieben und eingenommen. Auch in Deutschland hat beinahe jeder schon mindestens einmal in seinem Leben ein Antibiotikum erhalten, die meisten von uns sehr viel häufiger.
Was einerseits ein Segen ist, offenbart in jüngster Zeit jedoch auch zunehmend seine Schattenseite: Der massenhafte und teilweise unbedachte Einsatz der Antibiotika hat dazu geführt, dass viele der bewährten Mittel ihre Durchschlagskraft verloren haben. Immer mehr Bakterien sind gleich gegen mehrere Wirkstoffe resistent – ein Problem, für das Forscher unter Hochdruck nach Lösungen fahnden.