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Monster, Toiletten, Höhenflüge – was bedeuten unsere Träume? (Podcast 194)

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Drei Schritte anlaufen, Arme ausbreiten, federleicht abheben – und los geht der Gleitflug über Bäume, Häuserdächer, Straßen. Was am Tag unmöglich ist, gelingt manchem Schlafenden im Traum mühelos. Andere Schläfer haben weniger Glück: Sie stürzen nachts von hohen Kippen in eine bodenlose Tiefe, ehe sie schließlich mit klopfendem Herzen aus dem Albtraum erwachen. Was läuft im Schlaf in unseren Köpfen ab? Wieso träumen wir, was wir träumen? Und warum können wir uns nach dem Aufwachen nur so schwer daran erinnern, was wir im Reich der Träume erlebt haben? Wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios hat für uns untersucht, was es mit der mysteriösen Traumwelt, die wir Nacht für Nacht besuchen, auf sich hat, und warum es sich lohnt, unseren Träumen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Nächtliche Erkenntnisse

Was haben Nähmaschinen, die Insulin-Therapie und die Relativitätstheorie gemeinsam? Ganz einfach: Die entscheidenden Erkenntnisse, die zu diesen Errungenschaften geführt haben, sind ihren Erfindern im Traum gekommen – meist nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch, an dem sie irgendein kniffliges Detail nicht lösen konnten. Ob Einstein auch im Wachzustand früher oder später auf die Relativitätstheorie gekommen wäre? „Wahrscheinlich schon“, vermutet der Mannheimer Psychologe Michael Schredl. Allerdings eigneten sich Träume besonders gut zur Problemlösung, erklärt Deutschlands bekanntester Traumforscher. Der Grund: In der bizarren Traumwelt, in die wir nachts unsere Tageserlebnisse hineintragen, herrscht eine viel größere Offenheit für neue Impulse. Hier haben auch Ideen Platz, auf die wir im Wachzustand mit unserer eher gradlinigen Denkweise nicht so leicht kommen.

 

Warum träumen wir?

Auch wenn wir jede Nacht träumen – welchen Zweck das Träumen erfüllt, hat die Wissenschaft bis heute nicht genau enträtselt. Manche Theorien sehen im Träumen einen Weg, Probleme zu lösen (hier würde Einstein wohl zustimmen). Andere halten das Träumen für eine Art Gehirntraining. Und wieder andere nehmen gar an, dass uns die Träume Angst lehren und damit unser Überleben sichern sollen. Traumforscher Schredl vermutet, dass an allen Theorien ein bisschen dran ist – schließlich erfülle unser Geist ja auch im Wachzustand mehr als eine Funktion.

Als definitiv veraltet gilt in der Psychologie heute der Ansatz Sigmund Freunds. Der „Vater der Psychoanalyse“ witterte in unseren Träumen Inhalte aus dem Unterbewussten, die wir tagsüber verdrängen, weil sie uns zu sehr aus dem seelischen Gleichgewicht bringen würden. Auch wenn in Träumen gelegentlich durchaus Bilder und Figuren aus der Vergangenheit auftauchen, dienen Träume also vermutlich vor allem dazu, Ereignisse und Gedanken, die wir am Tag erlebt haben, zu bearbeiten.

 

Was bedeuten Träume?

Mysteriöse Dinge geschehen in der Traumwelt. Die physikalischen Gesetze gelten hier nicht: Eine Person, mit der wir gemeinsam etwas erleben, verwandelt sich unversehens in eine andere oder löst sich einfach in Luft auf. Orte erscheinen um uns herum, die zugleich vertraut sind, aber doch ganz anders aussehen als in der Realität. Und all diese Widersprüche fallen uns nicht einmal auf! Erst im Wachzustand fragen wir uns, wieso wir gar nicht verwundert waren, dass die vertraute Zweizimmerwohnung, in der wir seit Jahren leben, plötzlich einem kleinen Palast glich oder die vor zehn Jahren verstorbene Großmutter auf einmal im Garten stand und die Blumen goss. Und wieso saß da eigentlich ein Hund auf dem Sofa?

Mitunter fällt es schwer, den Bezug zwischen Traum und Wacherlebnissen herzustellen. Traumexperte Schredl empfiehlt, zunächst einmal alle Traumelemente zu betrachten. Welche stammen aus den Tageserlebnissen? Im nächsten Schritt nimmt der Traumdeuter am besten die Grundstruktur seines Traums unter die Lupe: Was ist geschehen? Wie war die Handlung aufgebaut? Finden sich hier Parallelen aus dem Wachleben? Wenn dem Traum-Ich beispielsweise ein Monster auf den Fersen war, dann liegt die Frage nah, ob der Träumer in seinem Wachleben gerade etwas Unangenehmes verdrängt.

 

Figuren stehen für Gefühle

Noch wichtiger als die Traumereignisse selbst sind die Gefühle, die sie im Träumer hervorrufen. Gerade die oft seltsamen Figuren, die unsere Träume bevölkern, verkörpern häufig bestimmte Emotionen. Welche Gefühle hat die verstorbene Großmutter zu Lebzeiten ausgelöst? Gibt es aktuell jemanden, der ähnliche Gefühle weckt? Und wofür steht der Hund?

Für wenig ratsam hält Schredl den Griff zum Traumdeutungslexikon. Da wäre etwa zu lesen, dass Hunde in Träumen männliche Triebe oder bedingungslosen Gehorsam symbolisieren. Statt solch vorgefertigten Deutungen zu folgen, sollte sich der Träumer besser fragen, was der Hund für ihn persönliche bedeutet. „Es ist etwas völlig anderes, ob ein begeisterter Hundebesitzer von einem Hund träumt oder ein Mensch, der an einer Hundephobie leidet“, erklärt – nachvollziehbar – der Wissenschaftler.

 

Die Suche nach dem Klo und andere typische Träume

Auch wenn jeder seine Träume individuell deuten muss, gibt es doch typische Träume, die fast alle Menschen kennen. Den Traum vom Fliegen zum Beispiel, ebenso den eines Sturzes aus großer Höhe. Auch die Traumerfahrung, plötzlich wie gelähmt keinen Schritt mehr tun zu können, während der heiße Atem fürchterlicher Verfolger einem schon um den Nacken weht, ist weit verbreitet. Fast ebenso unangenehm und mindestens genauso gängig ist der Traum, irgendwo in der Öffentlichkeit plötzlich zu bemerken, dass man splitterfasernackt ist. Oder der berühmte Klo-Traum: Auf der verzweifelten Suche nach einer Toilette reiht sich ein Hindernis ans nächste: Alle öffentlichen Toiletten sind besetzt, die Türklinke klemmt, der Reißverschluss auch, der Klodeckel lässt sich nicht anheben. Und selbst wenn es dem Träumenden gelingt, sich im Traum zu erleichtern, lässt der Harndrang nicht nach.

Wer vermutet, dass hier der tatsächliche Harndrang des Schlafenden eine Rolle spielt, liegt falsch, betont Schredl. Er rät allen Toilettenträumern, darüber nachzudenken, welches dringende Bedürfnis sie im Wachzustand derzeit beschäftige – das nämlich sei der Auslöser der nächtlichen Klosuche. Besser haben diejenigen ihr Leben im Griff, die träumen, dass sie im Flug schwerelos durch den Himmel gleiten. Buchstäblich ein Hochgefühl im realen Leben löse solche Träume aus, so Schredl.

 

Warum erinnern wir uns oft nicht an unsere Träume?

„Ich träume nie“, behaupten viele Menschen. Was sie meinen: Sie erinnern sich so gut wie nie an ihre Träume. Daran, dass auch sie nachts in der bizarren Traumwelt unterwegs sind, gibt es wissenschaftlich keinen Zweifel. Aber unser Geist legt keinen besonderen Wert darauf, alle Traumerinnerungen in den Wachzustand mitzunehmen. Und das hat seinen Sinn. Oder möchten Sie sich zehnmal am Tag fragen, ob eine Erinnerung real ist oder aus einem Traum stammt?

Tatsache ist, dass vor allem in den so genannten REM-Schlafphasen die Traumaktivität im Gehirn hoch ist. Sie wechseln sich im Lauf der Nacht mehrmals mit anderen Schlafphasen ab, unter anderem mit dem Tiefschlaf. Gegen Ende der Nacht häufen sich die REM-Phasen. Deshalb ist auch die Wahrscheinlichkeit, nach einem ausgedehnten Schlaf direkt aus einer Traumphase aufzuwachen, besonders hoch. Wer hingegen nach sechs Stunden schon wieder aus den Federn muss, hat geringere Chancen, einen Traum direkt in sein Wachgedächtnis „mitzunehmen“.

Auch die Persönlichkeit spielt bei der Häufigkeit, mit der sich Menschen an Träume erinnern, eine gewisse Rolle. Studien zeigen, dass Offenheit und Kreativität Persönlichkeitsmerkmale sind, die die Traumerinnerung begünstigen. Frauen erinnern sich außerdem etwas häufiger an ihre Träume als Männer.

Wer bedauert, dass er sich nicht öfter an die nächtlichen Erlebnisse erinnert, braucht indes nicht zu verzagen. Mit den richtigen Techniken lässt sich die Traumerinnerung bereits innerhalb weniger Wochen erheblich steigern.

 

Das kleine Einmaleins der Traumerinnerung

Wer wissen möchte, was sich nachts in seinem Gehirn abspielt, braucht dazu nicht viel. Nur ein Stift und Papier sollten am Morgen gleich neben dem Bett bereitliegen. Vor dem Einschlafen nimmt sich der zukünftige Traumdeuter zudem fest vor, sich an seine Träume zu erinnern.

Nach dem Aufwachen zählen die ersten Sekunden. Im Geist lässt der frisch erwachte Träumer bewusst alles Revue passieren, was er in Erinnerung hat – Gefühle und Gedanken zählen ebenso wie Farben, Gesichter oder andere Eindrücke. Es muss nicht immer gleich eine komplette Geschichte sein! Um diese Erinnerungen im Wachbewusstsein zu festigen, ist es hilfreich, sie in Gedanken noch einige Male zu wiederholen und erst dann zu Papier zu bringen.

 

Klarträume – die höchste Kunst des Träumens

Halten Sie einen Moment inne und fragen Sie sich: Träumen Sie gerade oder sind Sie wach? Aha, Sie sind also wach. Woher wissen Sie das so genau? Wenn Sie sich jetzt kneifen, ihre eigene Hand genau mustern oder etwa in die Luft springen und warten, ob sie ordnungsgemäß wieder landen, dann führen sie das aus, was Klarträumer einen Realitätscheck nennen. Ein guter Realitätscheck liefert nämlich im Traum ein anderes Ergebnis als im Wachzustand – Sie erfahren so, ob Sie träumen oder wach sind. Und das führt direkt zur Grundidee des Klarträumens: Während des Traums wird sich der Träumer anhand eines Realitätschecks bewusst, dass er träumt. Und das wiederum bringt ihn in die Lage, seinen Traum viel bewusster zu erleben und im Idealfall sogar zu beeinflussen. Der Zweck der Klarträume? Es macht vor allem großen Spaß, im Traum Dinge zu erleben, die in der realen Welt unmöglich sind. Darüber hinaus bieten Klarträume auch die Möglichkeit, sich auf eine sehr intensive Weise mit der eigenen Person und mit der aktuellen Lebenssituation zu beschäftigen.

Leider ist es nicht ganz einfach, ein Klarträumer zu werden. Die wichtigste Technik besteht darin, sich Realitätschecks mehrmals am Tag zur Gewohnheit werden zu lassen und diese Gewohnheit dann schließlich auch in die Träume mitzunehmen.

Ob jeder Mensch ein Klarträumer werden kann, ist allerdings wissenschaftlich nicht geklärt, obwohl die Frage in universitären Schlaflabors schon mehrfach untersucht wurde. „Wahrscheinlich braucht man auch ein wenig natürliche Veranlagung dazu“, schätzt Traumexperte Schredel.

Auch wenn Sie vielleicht nicht zu den begnadeten Klarträumern gehören, möchten wir Ihnen empfehlen, Ihren Träumen ein bisschen Beachtung zu schenken – es lohnt sich! Und wer weiß, vielleicht schlummert in Ihren Träumen ja auch eine kleine Relativitätstheorie?

 
Alexandra Mankarios, wissen.de-Redaktion

 

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