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Warum Geflüchtete auch ohne Asylberechtigung oft nicht abgeschoben werden

Wenn Menschen vor einer Katastrophe, einem Krieg oder politischer Verfolgung flüchten, haben sie das Recht auf Asyl. Allerdings kommen auch viele Migranten zu uns, die diese Kriterien nicht erfüllen. Oft bleiben sie selbst dann hier, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Sie zurückzuschicken, ist meist extrem schwierig. Aber warum? Was entscheidet, ob Migranten aufgenommen, geduldet oder abgeschoben werden?
CKR, 17.11.2023
Symbolbild unsicherer Aufenthaltsstatus

© Tomas Ragina, GettyImages

Deutschland ist ein Zuwanderungsland und aufgrund seiner alternden Bevölkerung dringend auf junge Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen – eigentlich.  Doch über den richtigen Umgang mit Menschen, die in Deutschland leben wollen, streiten Politik und Gesellschaft immer heftiger. Zum einen, weil in den vergangenen Jahren phasenweise sehr viele Personen zu uns kamen – neben Flüchtlingen aus dem Ukrainekrieg auch Zuwanderer aus anderen politisch oder wirtschaftlich schwierigen Ländern. Zum anderen wird die Diskussion dadurch angeheizt, dass die Städte und Gemeinden mit der Unterbringung und Integration der Geflüchteten oft überfordert sind – es fehlt an Geld, an Unterbringungsmöglichkeiten und vor allem an Personal in den Ausländerbehörden, Verwaltungen und Schulen.

Ein Grund für diese Überlastung: Viele Asylbewerber bleiben auch dann in Deutschland, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde oder sie von vornherein keine Chance auf Aufnahme haben. Dagegen versucht die Politik zwar anzusteuern, indem sie abgelehnte Asylbewerber wieder ausweist und in ihre Herkunftsländer zurückschickt. Das ist aber alles andere als einfach – und auch rechtlich ziemlich kompliziert.

Wer bekommt Asyl?

Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft und Bürger eines EU-Staates dürfen ohne Weiteres in Deutschland leben. Aus Ländern außerhalb der EU geflüchtete Menschen müssen dagegen bestimmte Kriterien erfüllen, damit sie in Deutschland oder einem anderen EU-Staat Asyl erhalten. Wenn ihnen in ihrem Heimatland Gewalt, Krieg, Terror oder schwerwiegende Verletzungen ihrer Menschenrechte drohen, werden sie durch das in der deutschen Verfassung verankerte Recht auf Asyl geschützt.

Vorübergehend bei uns bleiben dürfen demnach alle politisch verfolgten Menschen, die offiziell eine von vier Schutzformen erhalten haben: eine Asylberechtigung, einen Flüchtlingsschutz, einen subsidiären Schutz oder ein Abschiebungsverbot, zum Beispiel wegen einer schweren Erkrankung. Je nach Schutzform dürfen die Geflüchteten für ein oder drei Jahre bleiben und ihre Familienangehörigen entweder nach Deutschland nachkommen oder nicht.

Für 2023 erhielten bis Anfang Oktober gut die Hälfte aller Asylbewerber eine dieser Schutzformen. 2022 lag die Quote der positiv bewerteten Asylanträge bei 56 Prozent, zwischen 2018 und 2021 schwankte sie zwischen 35 und 43 Prozent.

Wann wird der Asylantrag abgelehnt?

Wenn das Leben und die Freiheit der Schutzsuchenden in ihrem Heimatland nicht oder nicht mehr gefährdet sind, kann der Antrag von Asylbewerbern in Deutschland abgelehnt werden. Auch eine zunächst erteilte Aufenthaltserlaubnis können die Behörden wieder zurücknehmen. Betroffene sind dann verpflichtet, innerhalb von einer Woche oder 30 Tagen auszureisen, je nach Ablehnungsgrund.

Wieso werden manche Migranten ausgewiesen, andere nicht?

Verlassen abgelehnte Asylbewerber Deutschland innerhalb der ihnen gesetzten Frist nicht freiwillig, können sie von der Polizei auch zwangsweise abgeschoben werden. Das geschah einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zufolge in den vergangenen zehn Jahren aber nur in etwa zehn Prozent der Fälle, dann jedoch in der Regel innerhalb eines Jahres.

Voraussetzung für eine Abschiebung ist, dass der zuständigen Ausländerbehörde Identität, Herkunft und aktueller Aufenthaltsort der Person bekannt sind und dass ihr Heimatland oder das EU-Land, über das sie eingereist sind und wo sie bereits einen Asylantrag gestellt haben, sie zurücknimmt. Oft haben die Geflüchteten jedoch keine Papiere oder die Herkunftsstaaten weigern sich, sie aufzunehmen. Manche  Migranten tauchen auch unter, bevor sie abgeschoben werden können. Um das zu verhindern, werden sie manchmal auch vorübergehend in Haft genommen.

Für alle abgeschobenen Asylbewerber und teils auch für freiwillig ausgereiste Migranten gilt, dass sie auch für eine bestimmte Zeit nicht wieder in den Schengenraum einreisen dürfen, nachdem sie Deutschland verlassen haben. Die Dauer dieses Verbots hängt von den Herkunftsländern der Menschen ab und kann bis zu fünf Jahre betragen. Falls die Betroffenen in Deutschland eine Straftat begangen haben, kann diese Sperre auch länger anhalten.

Was ist eine Duldung?

Viele abgelehnte Asylbewerber werden von den Ausländerbehörden aber aus humanitären Gründen weiterhin in Deutschland geduldet und nicht sofort zwangsweise zurückgebracht. Dadurch können viele Geflüchtete auch ohne Asylschutz über viele Jahre hier bleiben. Ende Juni 2023 waren aktuellen Zahlen zufolge rund 170.000 Personen in Deutschland ausreisepflichtig, rund 149.000 von ihnen besaßen eine Duldung. Das entspricht etwa 89 Prozent. Eine Duldung ist immer befristet und kann über einen Zeitraum von wenigen Tagen bis zu drei Jahren gelten, aber auch beliebig oft verlängert werden. Meist gilt sie für jeweils drei Monate.

Menschen, deren Identität und Staatsangehörigkeit nicht eindeutig geklärt werden können, etwa weil sie keinen Pass vorlegen können, erhalten seit 2019 bei abgelehntem Asylantrag eine „Duldung light“. Anders als offiziell geduldete Menschen dürfen diese Migranten nicht arbeiten, keine Ausbildung machen und sich nur bedingt räumlich in Deutschland bewegen. Zudem erhalten sie weniger Sozialleistungen. Laut BAMF machte diese Gruppe aber zuletzt nur sechs Prozent aller ausreisepflichtigen Geflüchteten aus.

Wie viele abgelehnte Asylbewerber gehen freiwillig?

In den vergangenen zehn Jahren wurden immer mehr Asylanträge gestellt, bearbeitet und damit einhergehend auch stetig mehr Anträge abgelehnt. Allerdings haben diese abgelehnten Asylbewerber Deutschland oft nicht verlassen, wodurch sich immer mehr Geflüchtete in Deutschland aufhalten. Ausgewiesen und abgeschoben werden nur die wenigsten. Die Studie des BAMF spricht von einem zunehmendem „deportation gap“.

Doch nicht alle müssen zur Ausreise gezwungen werden. Etwa jeder Dritte (34 Prozent) dieser Menschen ohne Bleiberecht verließ Deutschland freiwillig wieder, die allermeisten innerhalb von zwei Jahren, zeigt die Studie. Der Großteil von ihnen waren Staatsbürger aus den Westbalkanstaaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien), die zwischen 2013 und 2016 aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen waren. Wohin sie nach der Ausreise aus Deutschland gingen, hat die Studie nicht erfasst.

Angesichts der hohen Zahl der freiwillig Ausreisenden empfiehlt Laura Peitz vom Forschungszentrum des BAMF, Geflüchtete ohne Bleiberecht möglichst frühzeitig zu beraten, wie sie in ihr Heimatland zurückkehren können. Außerdem sollen sie stärker bei der Reintegration in diesem Land unterstützt werden. „Die gewonnen Erkenntnisse zeigen, dass die frühzeitige Förderung freiwilliger Rückkehr und die Erteilung einer rechtmäßigen Aufenthaltserlaubnis an Langzeitgeduldete die wichtigsten Strategien bleiben sollten, um die Anzahl an Personen mit Ausreisepflicht wesentlich zu verringern“, sagt sie.

Wer darf dauerhaft in Deutschland bleiben?

Ein Teil der Geflüchteten erlangt nach einer vorübergehenden Duldung auch ein dauerhaftes Bleiberecht. Rund 35 Prozent der ursprünglich abgelehnten Asylbewerber der vergangenen zehn Jahre erreichten mit der Zeit eine solche dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, wie Peitz ermittelt hat. Die Wahrscheinlichkeit dafür stieg demnach, umso länger die Menschen in Deutschland blieben.

Diese Personengruppe war deutlich heterogener als die der freiwillig Gehenden. Die meisten von ihnen kamen mit der zweiten Flüchtlingswelle zwischen 2017 und 2022 aus Afghanistan, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Russland.

Was sind die Kriterien für gute Integration?

Ein dauerhaftes Bleiberecht, eine sogenannte Aufenthaltsgewährung, ist nach mehreren Jahren des Wartens für jugendliche und erwachsene Migranten möglich, wenn sie gut in die deutsche Gesellschaft integriert sind. Zu den Voraussetzungen zählt, dass sie gut Deutsch sprechen, ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren können und ihre Identität zweifelsfrei geklärt ist. Auch aus rechtlichen und familiären Gründen oder zum Arbeiten kann der Aufenthalt in Deutschland dauerhaft erlaubt werden.

Für Migranten mit einer „Duldung light“ ist es allerdings ungleich schwieriger, diese Bedingungen zu erfüllen. Denn sie dürfen nicht arbeiten und sind dadurch meist schlechter integriert. Die aktuelle Bundesregierung hat jedoch zum 31. Dezember 2022 das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsrecht“ eingeführt, wonach auch Personen mit „Duldung light“, die schon mindestens fünf Jahre in Deutschland leben, für weitere 18 Monate bleiben dürfen. Dadurch sollen sie mehr Zeit erhalten, um die Kriterien für eine dauerhafte Aufenthaltsgewährung zu erfüllen – das heißt vor allem Deutsch zu lernen und einen Pass vorzulegen. Diese Regelung ist jedoch einmalig und gilt nicht für künftige Asylsuchende.

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