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Bakteriophagen - virale Unbekannte in unserem Körper
In nahezu jedem Winkel der Erde wimmelt es von Bakterien – und wo Bakterien sind, sind auch Phagen nicht weit. Diese auf bakterielle Wirte spezialisierten Viren kommen vom Ozeanwasser bis hin zum Erdboden praktisch überall vor und sind Schätzungen zufolge sogar zehnmal häufiger als Bakterien. Auch in und auf unserem Körper tummeln sich Milliarden dieser winzigen Strukturen.
Viren, die Bakterien kapern
Ein Phage ist noch sehr viel kleiner als eine Bakterienzelle und relativ simpel aufgebaut: Er besteht lediglich aus seinem Erbgut, das in eine Proteinhülle eingebettet ist. Bei den komplexesten Vertretern der Phagen lässt sich unter dem Elektronenmikroskop ein rund 100 Nanometer großer, polyedrischer Kopf ausmachen. Daran schließt sich ein etwa gleich langer Schwanz an, an dessen Ende beinartige Strukturen sitzen. Mit diesen Beinchen können sich die Phagen an ihre Opfer anheften.
Wie andere Viren auch sind die Winzlinge nicht dazu in der Lage, sich selbständig zu vermehren. Sie müssen die Zellmaschinerie anderer Organismen nutzen – und kapern zu diesem Zweck gezielt Bakterien. Jeder Phage erkennt dabei spezifisch Stämme einer bestimmten Bakterienart. Für die Mikroben endet die Infektion mit einem solchen Virus meist tödlich.
Nützlicher Antibiotika-Ersatz?
Mediziner gehen davon aus, dass diese speziellen Viren unter anderem in unserem Darm wichtige Aufgaben übernehmen. Sie scheinen demnach wesentlich an der Aufrechterhaltung des mikrobiellen Gleichgewichts der Darmflora beteiligt zu sein. Ein besseres Verständnis ihrer Funktion könnte in Zukunft den Weg für phagenbasierte Therapien ebnen – zum Beispiel für Erkrankungen, die mit einem gestörten Darm-Mikrobiom in Verbindung stehen.
Doch das ist noch nicht alles: Wegen ihres Einflusses auf Bakterien gelten Bakteriophagen auch als möglicher Antibiotika-Ersatz – und sind im Kampf gegen das zunehmende Problem der Antibiotika-Resistenzen inzwischen zum Hoffnungsträger avanciert. Schon ihr Entdecker, der französische Bakteriologe Félix d’Hérelle, erkannte: Wenn es Phagen gibt, die Bakterien fressen, könnten diese dann nicht im Kampf gegen bakterielle Infektionen eingesetzt werden?
Gezielte Wirkung
Was mit dem Aufkommen der ersten modernen Antibiotika in Vergessenheit geriet, wird heute wieder intensiv erforscht. Argumente für den Einsatz von Phagen gegen bakterielle Erreger gibt es einige: Zum einen sind die Phagen im Überfluss vorhanden und für den menschlichen Körper völlig ungefährlich, da sie ausschließlich Bakterienzellen angreifen. Einige der Viren kennt unser Organismus sogar bereits.
Zum anderen können sich Phagen dynamisch mit ihren Wirten mitentwickeln und wirken sehr gezielt gegen ganz bestimmte Keime – dies reduziert das Risiko der Resistenzbildung und schützt die für unsere Gesundheit so wichtige Darmflora. Denn während Antibiotika krankmachende wie nützliche Bakterien gleichermaßen bekämpfen, tun Bakteriophagen dies nicht. Sie bewahren somit das natürliche mikrobielle Gleichgewicht im Körper.
Helfer mit Schattenseiten
Nicht immer sind Phagen unserer Gesundheit jedoch zuträglich. Studien deuten darauf hin, dass manche von ihnen auch eine Schattenseite haben. So haben Forscher Hinweise darauf gefunden, dass diese Viren Resistenzgene auf Bakterien übertragen und dadurch Antibiotikaresistenzen sogar fördern können.
Viele Details über die Rolle der Phagen für die menschliche Gesundheit liegen noch immer im Dunkeln. Eine weitere Erforschung dieser Bewohner unseres Körpers ist für Mediziner daher von großem Interesse. Bisher gehören die Phagen in vielerlei Hinsicht zur "viralen Dunklen Materie" in unserem Organismus, wie es Catia Pacifico von der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems und ihre Kollegen einmal formuliert haben.