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Black Lives Matter: Der Tod von George Floyd und die Folgen

Der Tod des Afroamerikaners George Floyd hat eine Lawine der Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt losgetreten – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und weltweit. Aber was können diese Proteste bewirken? Werden sie zu konkreten Änderungen von Gesellschaft und Politik führen oder verlaufen sie im Sande wie vielen ähnlichen Vorkommnissen zuvor? Im Interview gibt uns die Amerikanistin Gabriele Pisarz-Ramirez Auskunft.
Universität Leipzig / NPO, 17.06.2020

Floyd ist nicht der erste Afroamerikaner, der in den USA durch überzogene Polizeigewalt zu Tode gekommen ist.

iStock.com, Bastiaan Slabbers

Dieser Todesfall hat die Welt erschüttert: Am 25. Mai 2020 ging der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd in der US-Stadt Minneapolis eine Schachtel Zigaretten kaufen. Weil die Kioskbesitzer seinen Geldschein für gefälscht hielten, riefen sie die Polizei. Diese stellten den vor dem Laden in seinem Auto sitzenden Floyd und zogen ihn  aus dem Wagen. Als sich der Afroamerikaner nach erster Befragung weigerte, in den Streifenwagen zu steigen, drücken ihn die Polizisten zu Boden. Einer der vier kniet sich auf den Hals von Floyd, obwohl sich dieser nicht mehr wehrt.

Auch als Floyd mehrfach sagt "I can't breathe" – ich kann nicht atmen, behält der Polizist das Knie auf seinem Hals. Proteste von Passanten ändern ebenfalls nichts. Acht Minuten und 46 Sekunden später ist Floyd tot. Zwei Autopsien kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass Floyd durch den Polizeieinsatz gestorben ist.

Ein Video bringt die Proteste in Rollen

Bekannt wurde dieser Vorfall, weil eine 17-jährige Passantin das Geschehen gefilmt und auf ihre Facebookseite gestellt hatte. Schon wenig später wurden weitere Videos veröffentlicht, die das Verhalten der Polizisten und den Tod von Floyd aus verschiedenen Perspektiven belegen. Die Videos belegen, dass keiner der vier Polizisten auf Floyds Bitten um Luft Rücksicht nahm. Als Reaktion auf diesen Todesfall wurden die vier am Vorfall beteiligten Polizisten am 26. Mai 2020 aus dem Polizeidienst entlassen, aber zunächst nicht angeklagt.

Erst nachdem Massenproteste in Minneapolis und später auch in anderen Städten der USA aufkamen, forderte der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, die Staatsanwaltschaft auf, Anklage zu erheben. Am 29. Mai wurde der Haupttäter Derek Chauvin des Mordes zweiten Grades angeklagt, ähnliches galt später für seine drei Kollegen.

Kein Einzelfall

Doch Floyd ist nicht der erste Afroamerikaner, der in den USA auf diese Weise zu Tode gekommen ist. Im Jahr 2014 starb der Eric Garner auf Staten Island in New York im Würgegriff eines Polizisten, obwohl auch er mehrfach warnte "I can't breathe". Und auch in anderen Städten der USA kommt es immer wieder zu Gewalt und überzogenen Maßnahmen gegen afroamerikanische Tatverdächtige. Zudem ist Racial Profiling – eine Art Generalverdacht gegen vor allem gegen junge afroamerikanische Männer weit verbreitet.

All dies hat dazu beigetragen, dass nach dem Tod von George Floyd Massenproteste eines zuvor nicht dagewesenen Ausmaßes losbrachen. In mehr als 40 Städten der USA und in vielen Orten weltweit forderten Menschen unter dem Motto "Black Lives Matter" ein Ende der Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und People of Colour. Teilweise kam es bei diesen Protesten zu Plünderungen und Ausschreitungen, die Mehrheit verlief aber friedlich. Gefordert wird eine Reform der Polizei, teilweise auch eine Kürzung ihrer Gelder und strengere Kontrollen.

Was könnten diese Proteste bewirken?

Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Proteste es schaffen werden, die Situation der People of Colour zu verbessern und den in der US-Gesellschaft tief verankerten Rassismus zu beseitigen. Dazu äußerst sich im Interview Gabriele Pisarz-Ramirez vom Institut für Amerikanistik der Universität Leipzig. Sie  sieht in den aktuellen Massenprotesten der Black-Lives-Matter-Bewegung eine neue Qualität: Zum ersten Mal werde in den USA über grundlegende Reformen bei der Polizei nachgedacht, so die Amerika-Expertin.

Frau Pisarz-Ramirez, in den USA reißt nach dem gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd die Protestwelle nicht ab. Wohin, glauben Sie, kann das noch führen?

Pisarz-Ramirez: Die Demonstrationen erinnern an die Massenproteste zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren. Allerdings hat es seither in der Geschichte der USA immer wieder Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus gegeben. Die Unruhen im Zusammenhang mit der Misshandlung des Afro-Amerikaners Rodney King in Los Angeles 1992 oder auch die Proteste nach dem Tod des unbewaffneten Michael Brown in Ferguson 2014 durch eine Polizeikugel sind nur zwei Beispiele für zahlreiche Momente, in denen sich angestaute Frustration und berechtigte Wut über polizeiliche Willkür, aber auch andauernde Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten Bahn gebrochen haben. Diesmal war es der Tod George Floyds, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Doch bereits in den Wochen zuvor haben die erschreckenden Auswirkungen der Pandemie auf die afroamerikanische Bevölkerung mit unverhältnismäßig hohen Todesfallzahlen die strukturellen Ungleichheiten der amerikanischen Gesellschaft infolge von rassistischen Benachteiligungen erneut offen zutage treten lassen.

Beobachter attestieren den Protesten insofern eine neue Qualität, da zum ersten Mal über grundlegende Reformen in der Polizei nachgedacht wird. Vielfach wird eine Umverteilung von Mitteln von der Polizei auf andere Bereiche wie etwa Sozialarbeit oder Bildung gefordert. Ob solche Veränderungen auch tatsächlich umgesetzt, das heißt gesetzlich verankert werden können, ist allerdings fraglich, da sowohl der mehrheitlich republikanische Senat als auch Präsident Trump solchen Reformen erwartungsgemäß ablehnend gegenüberstehen.

US-Präsident Donald Trump wird in dem Zusammenhang immer wieder schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Wie schätzen Sie sein Agieren ein?

Von einem Präsidenten würde man in einer solchen Situation eine Geste der Versöhnung und Deeskalation erwarten. Donald Trump tut aber genau das Gegenteil – er trägt mit seinen Einlassungen zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Die von ihm geäußerte Drohung, das Militär gegen friedlich protestierende Amerikaner einzusetzen, untergräbt zudem das verfassungsmäßige Recht auf Meinungsfreiheit. Trump ist vor allem daran gelegen, seine Kernwählerschaft zu bedienen, die ihn trotz seines Versagens bei der Bekämpfung der Pandemie weiter unterstützt.

Wie stehen Ihrer Ansicht nach seine Chancen für eine Wiederwahl im November?

Die durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise in den USA mit zur Zeit 40 Millionen Arbeitslosen schadet Trump enorm. Schließlich war - neben der Mauer zu Mexiko - eine starke Wirtschaft sein zentrales Wahlversprechen. Momentan erhält er auch nicht nur aus den Reihen der Republikaner viel Kritik, so vom Ex-Präsidenten George W. Bush, auch seine Umfragewerte sind miserabel: Eine aktuelle CNN-Umfrage zeigt, dass 57 Prozent der Befragten unzufrieden mit seiner Arbeit als Präsident sind. Dabei verliert er auch in traditionell republikanischen Bundesstaaten an Unterstützung.

Seine Wahlchancen sind damit deutlich gesunken. Sehr viel wird davon abhängen, ob und inwieweit sich die Wirtschaft in den kommenden Monaten erholt. Zu beobachten ist gerade, wie Trump wiederholt die Legitimität von Briefwahlen in Frage stellt, ein Manöver, das Kritiker als Versuch werten, die Wahl im November zu torpedieren beziehungsweise ihr Ergebnis anzufechten, sollte er verlieren.

Auch in Deutschland gehen immer mehr Menschen gegen Rassismus auf die Straße. Dabei gibt es das Problem auch bei uns schon viel länger. Warum begehren die Menschen hier erst jetzt auf?

Tatsächlich gab es nach den Morden des NSU, dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle und dem Anschlag in Hanau, die ja ebenfalls rassistisch motiviert waren, öffentliche Beileidsbekundungen und Kundgebungen, die aber bei weitem nicht die Dimensionen erreichten wie die gegenwärtigen Proteste, obwohl diese Anschläge sich in Deutschland selbst ereignet hatten. Der gewaltsame Tod von George Floyd und die Proteste in den USA haben aber nun nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Menschen dazu bewogen, gegen Rassismus zu demonstrieren.

Inwieweit dieses Engagement nachhaltig ist, muss sich zeigen. Es ist wichtig, dass die nun aufgeworfenen Fragen – etwa nach Rassismus auch in der deutschen Polizei – nicht abgetan werden, sondern tatsächlich zum Nachdenken darüber führen, was sich auch in Deutschland verändern muss. Einen direkten Vergleich der Polizei in Deutschland und in den USA halte ich aber für problematisch – es gibt hier wesentliche Unterschiede in Bezug auf Ausbildung, Zielsetzungen und Auftreten.

Es gibt in Deutschland einen Alltagsrassismus, der sich als gesellschaftliches Phänomen auch in der Polizei spiegelt. Von strukturellem oder gar institutionellem Rassismus zu sprechen, halte ich aber nicht für zutreffend.

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