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Digitale Schulbücher: Was bringt Mathelernen auf dem Tablet?

Ob Videokonferenz, Referat oder digitales Arbeitsblatt: Während der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung auch im Schulunterricht an Bedeutung gewonnen. Das weckt die Frage, ob und in welcher Form digitale Programme den Lernfortschritt fördern können – und welche Kinder möglicherweise besonders davon profitieren. Am Beispiel der Mathematik haben Forschende dies nun genauer untersucht.
ABO, 09.06.2021

Können digitale Programme den Lernfortschritt im Mathematikunterricht fördern?

GettyImages, shaunl

Dass Kinder nicht jedes Schulfach gleich gut können, ist völlig normal und unter anderem von den Interessen abhängig. Jedoch ist auffällig, dass vielen jüngeren Schülern der Mathematikunterricht besonders schwerfällt, weil das Rechnen häufig zu abstrakt ist. So haben zum Beispiel Forscher um Ludwig Haag von der Universität Bayreuth in einer Studie mit über 1.200 Schülern herausgefunden, dass einem Großteil der Kinder im Matheunterricht unter anderem der Alltagsbezug fehlt.

Bruchrechnen als Herausforderung

Insbesondere das Bruchrechnen empfinden viele jüngere Kinder im Mathematikunterricht als anspruchsvoll. Denn häufig können sie keine Vorstellung für Bruchzahlen entwickeln, da sie  alltagsferner als natürliche Zahlen sind und seltener von den Kleinsten gebraucht werden. Zudem fällt es einigen Schülern beispielsweise schwer, zu erkennen, dass acht Neuntel kleiner sind als sieben Sechstel, oder zu verstehen, dass nach einer Multiplikation das Ergebnis nicht immer größer ist als die Ausgangszahl.

Für ein besseres Verständnis der Bruchzahlen kann es helfen, sie mit Bildern von alltäglichen Gegenständen wie beispielsweise der Darstellung einer Pizza, die in mehrere Stücke zerteilt wird, zu erklären. Vor allem digitale Medien bieten für die Visualisierung der Bruchzahlen deutlich mehr Möglichkeiten als traditionelle Lernmaterialien. Allerdings ist bislang umstritten, wie sehr sie sich wirklich eignen und wie stark sich der Unterricht auf die digitalen Angebote konzentrieren kann, ohne dass das Erlernen der „eigentlichen“ Rechenfähigkeiten zu kurz kommt.

Aufgabe aus dem digitalen Schulbuch „Bruchrechnen. Bruchzahlen & Bruchteile greifen & begreifen“ für die Jahrgangsstufe 6.

TU München

Digitale Angebote als Helfer?

Inwieweit digitale Hilfsmittel für den Mathematikunterricht geeignet sind, haben deshalb nun Forscher um Kristina Reiss von der Technischen Universität München in der sechsten Jahrgangsstufe untersucht. Dazu entwickelte das Forschungsteam ein digitales Schulbuch zum Bruchrechnen, das vor allem mit anschaulichen Darstellungen arbeitet. Alle 90 Aufgaben lassen sich per Touchscreen inklusive einer Handschrifterkennung bearbeiten. Dadurch können die Kinder mit ihren Händen beispielsweise die Stücke einer Pizza oder Schokolade verschieben oder einen bestimmten Anteil an Orangen umkreisen. Zudem gibt das Programm automatisch Feedback und passt beim Üben den Schwierigkeitsgrad dem Leistungsstand der Nutzer an.

Um die Wirkung des digitalen Schulbuchs zu untersuchen, teilten die Experten rund 1.000 Schüler aus 45 Klassen an bayerischen Gymnasien und Mittelschulen in drei Gruppen ein. Die erste Gruppe arbeitete mit dem digitalen Schulbuch, die zweite Gruppe mit einer gedruckten Variante des neu entwickelten Materials, die dritte Gruppe mit traditionellen Lehrbüchern. Vor und nach rund 15 Unterrichtsstunden wurden die Kompetenzen der Kinder ermittelt. Für die Auswertung verwendeten Reiss und ihr Team ein statistisches Verfahren, das die Wahrscheinlichkeit für eine korrekte Lösung angibt. Dabei gingen die Forscher nach den Ergebnissen der Vortests davon aus, dass Schüler an Gymnasien tendenziell leistungsstärker in Mathematik sind als die an Mittelschulen.

Mittelschulen: Richtige Lösung sieben Prozent wahrscheinlicher

Das Ergebnis: Besonders Schüler an Mittelschulen erzielten beim Lernen mit dem digitalen Schulbuch Erfolge. So zeigte die Auswertung der Tests an den Mittelschulen, dass die Gruppe mit dem digitalen Angebot deutlich besser bei den bildlich dargestellten Bruchaufgaben sowie klassischen Rechenaufgaben abschnitt als die beiden anderen Gruppen. Bei den Schülern mit digitalem Schulbuch lag die Wahrscheinlichkeit für eine richtige Antwort für eine mittelschwere Aufgabe bei 20 Prozent, während sie bei den beiden anderen Gruppen lediglich 13 Prozent betrug.

„Die oft geäußerte Sorge, dass die Konzentration auf ein intuitiveres Zahlenverständnis das Lernen des Rechnens behindert oder verzögert, hat sich als unbegründet erwiesen“, folgert Frank Reinhold von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. „Im Gegenteil sehen wir beim Thema der Bruchzahlen einen positiven Einfluss auf die Rechenfähigkeiten.“

An Gymnasien keine Unterschiede

Das gilt offenbar jedoch nicht für Gymnasialschüler, denn bei ihnen stellten die Reiss und ihre Kollegen ein anderes Ergebnis fest: Die Kinder, die mit dem neu entwickelten Material gearbeitet hatten, waren zwar im Vergleich zu der Schulbuch-Gruppe kompetenter bei Aufgaben, bei denen Bruchzahlen bildlich dargestellt werden. Es machte aber keinen Unterschied, ob sie mit dem Tablet oder mit der gedruckten Variante gearbeitet hatten. Zudem zeigte sich bei den klassischen Rechenaufgaben gar kein signifikanter Unterschied. Hier gab es bei allen Gruppen eine Wahrscheinlichkeit für eine korrekte Lösung von rund 75 Prozent.

„Von der Arbeit mit dem Tablet-Schulbuch profitieren im Mathematikunterricht also vor allem leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler“, resümiert Reiss. „Beim Lernen des anspruchsvollen Bruchrechnens hilft ihnen offenbar, dass sich der Schwierigkeitsgrad an ihr Lerntempo anpasst und dass sie unmittelbar Feedback bekommen. Zudem kann es lernpsychologisch vorteilhaft sein, dass sie die Darstellungen der Zahlen mit ihren Händen bearbeiten können“, so die Expertin.

Kostenlos verfügbar

Obwohl die Studie damit Hinweise gibt, dass gerade an Mittelschulen die Einführung von Tablets mit sinnvoll gestalteten Lernmaterialien einen besonders großen Mehrwert hat, wird der tatsächliche Gebrauch vermutlich noch länger dauern. Zunächst sollen dazu in einem Folgeprojekt Lehramtsstudierende der Technischen Universität München Schüler bei der Nutzung des Tablet-Buchs betreuen, um zu erproben, wie angehende Lehrkräfte lernen, das digitale Material im Unterricht einzusetzen.

Bis es die digitale Angebote in den Schulen gibt, können vor allem leistungsschwächere Kinder freiwillig privat digital lernen: Die Forscher haben dazu ihr digitales Schulbuch „Bruchrechnen. Bruchzahlen & Bruchteile greifen & begreifen“ auf Deutsch, Englisch und Spanisch online kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eine Registrierung ist für die Nutzung nicht nötig.

Quelle: Technische Universität München

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