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Versteckte Formen der Inflation
Die vergangenen Jahre waren von starken Preissteigerungen geprägt. Vor allem Energie und Lebensmittel, aber auch andere Lebenshaltungskosten wurden im Zuge einer schwächelnden Wirtschaft und gestörter Lieferketten teurer. In Folge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges hat die monatliche Inflationsrate seit Anfang 2022 immer wieder Werte zwischen sechs und neun Prozent erreicht. Im Oktober 2022 hatte sie sogar einen Höchststand von über zehn Prozent.
Immerhin: Inzwischen geht die Teuerungsrate in Deutschland allmählich wieder zurück, im Oktober 2023 lag die Inflationsrate nur noch bei 3,8 Prozent und damit erstmals wieder so niedrig wie im August 2021. Dies liegt vor allem an wieder sinkenden Energiepreisen. Denn beispielsweise bei Lebensmitteln bleibt die Inflation mit 6,1 Prozent weiterhin relativ hoch.
Versteckte Kostenfallen
Doch neben dieser direkt messbaren, regelmäßig auch offiziell bekannt gegebenen Teuerungsrate gibt es noch eine weitere, versteckte Inflation. Sie sorgt zusätzlich dafür, dass unser Leben teurer geworden ist. Diese Kostenfallen sind oft nur schwer erkennbar, aber dennoch in unserem Portemonnaie zu spüren. In der Regel liegt dies daran, dass die Hersteller und Händler durch bestimmte Tricks ihre eigenen Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Verpackung, Energie, Logistik und Personal an uns weitergeben. Einige Hersteller nutzen die Inflationsphase außerdem aus, um ungerechtfertigte Preissteigerungen zu betreiben.
Weniger Inhalt für denselben Preis
Eine gängige Methode der Industrie ist es zum Beispiel, den Preis eines Produkts konstant zu halten oder gar zu senken, während die Verpackungsgrößen und Füllmengen deutlich kleiner werden. Durch diese „Shrinkflation“ – eine Wortschöpfung aus dem englischen „shrink“ (schrumpfen) und Inflation – erhalten wir für dasselbe Geld weniger Inhalt. Beim Einkauf fällt uns dies aber meist nicht auf,weil die Packungen auf den ersten Blick noch immer gleich aussehen. Seltener kommt es auch vor, dass die verkauften Mengen größer werden, der Preis aber gleichzeitig überproportional steigt. Diese Formen der Inflation stellen eine indirekte Preiserhöhung dar, sind aber nicht verboten.
Solche Mogelpackungen sind laut Verbraucherschützern seit 2022 Alltag in deutschen Supermärkten. Sie sind aber meist nur auf den zweiten Blick zu erkennen, weil wir uns eher den Preis als die Mengenangabe auf einer Verpackung merken. Für zusätzliche Verwirrung sorgen oft kurzzeitige Sonderangebote nach Einführung der neuen Packungsgröße.
Verbraucherorganisationen fordern daher eine bessere Kennzeichnung der betroffenen Produkte. Denn oft sind solche indirekten Preissteigerungen durch „Shrinkflation“ höher als die direkte Inflationsrate, nicht selten liegen sie über 20 Prozent. Aktuelle „Mogelpackung des Monats“ der Verbraucherzentrale Hamburg ist ein Fencheltee von Aldi Nord, dessen versteckte Preiserhöhung mindestens 50 Prozent beträgt. Der Tee wird in einem größeren Karton mit weniger Teebeuteln verkauft, die wiederum weniger Tee enthalten.
Schlechtere Qualität zum selben Preis
Noch schwerer zu erkennen ist es, wenn Lebensmittel für denselben Preis verkauft werden, aber mit günstigeren Zutaten hergestellt werden. Diese Art der indirekten Preissteigerung wird „Skimpflation“ genannt, in Anlehnung an das englische „skimp“, was knausern bedeutet und sich auf die Qualität der Zutaten oder einer Dienstleistung bezieht.
Bei Chips verwenden Hersteller beispielsweise inzwischen wieder häufiger das günstigere und weniger gesunde Palmfett statt Sonnenblumenöl. Aufgrund gestörter Lieferketten war dies phasenweise sogar ohne Kennzeichnung erlaubt, manche Hersteller blieben aber einfach dabei. Bei anderen Produkten wie Rahmspinat oder Margarine wird dagegen weniger Spinat oder Fett eingesetzt und stattdessen mehr Wasser verwendet, wie Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg erklärt. In wieder anderen Fällen werden hochwertige Zutaten durch Zucker ersetzt.
Und auch im Dienstleistungssektor wird geknausert: Beispielsweise sparen Banken und Supermärkte durch weniger oder kürzer geöffnete Filialen am Kundenservice. Manche Hotels reinigen die Gästezimmer nicht mehr täglich.
Vergleiche nur schwer möglich
Sowohl bei „Skimpflation“ als auch „Shrinkflation“ stehen wir als Käufer meist vor dem Problem, dass wir diese versteckten Preiserhöhungen nur erkennen, wenn wir uns noch genau an die alten Preise oder Leistungen erinnern. Das aber ist meist nicht der Fall – wer merkt sich schon die genauen Packungsgrößen beim Müsli oder lernt Zutatenlisten auswendig?
Ob sich die Rezeptur eines Produkts geändert hat, muss nicht angegeben werden und ist daher für uns nicht sofort ersichtlich, es sei denn, die Hersteller werben explizit damit. Meist ändern sie jedoch nur das Kleingedruckte und die Zutatenliste auf der Rückseite, auf die aber wir in der Regel nicht oder zumindest nicht bei jedem einzelnen Produkt schauen.
„Es kann nicht sein, dass es dem Verbraucher obliegt, alles zu notieren und ständig Produkte zu scannen“, kritisiert Valet. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Brasilien: Dort müssen Hersteller Änderungen mindestens sechs Monate lang sichtbar machen – „und zwar auf der Vorderseite der Verpackung, gut lesbar, die alte und neue Inhaltsmenge sowie die absolute und prozentuale Veränderung“, erklärt Valet. In Frankreich sei ein ähnliches Gesetz zur Kennzeichnung von „Shrinkflation“ in Planung. Die Verbraucherorganisationen fordern auch in Deutschland eine bessere Kennzeichnung von Mengen- und Rezeptur-Änderungen.