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Vogelgrippe H5N1: So gefährlich ist die Lage

Seit 2021 grassiert weltweit ein besonders aggressives, hochansteckendes Vogelgrippe-Virus. Millionen Vögel und tausende Meeressäuger sind schon an diesem hochpathogenen Stamm des Influenza-Virus H5N1 verendet. Jetzt hat diese tödliche Vogelgrippe auch die Antarktis erreicht, sie wurde erstmals bei Raubmöwen auf einer antarktischen Insel nachgewiesen. Der einzigartigen Vogelwelt der Antarktis droht damit nun akute Gefahr. Doch warum ist dieses Influenza-Virus so gefährlich? Droht dort nun eine Umweltkatastrophe? Und kann das Virus auch bei uns Menschen eine Pandemie auslösen?
AMA, 30.10.2023
Zwei Braune Skuas (Stercorarius antarcticus) versuchen an das Gelege eines Eselspinguins zu gelangen.
Braune Skuas versuchen an das Gelege eines Eselspinguins zu gelangen. Raubmöwen dieser der Art waren die ersten Opfer der Vogelgrippe, auf die die Polarforscher stießen.

© burroblando, GettyImages

17. September 2023: Auf Bird Island im Südpolarmeer entdecken Wissenschaftler des British Antarctic Survey (BAS) eine verdächtig strauchelnde Raubmöwe der Art Brauner Skua. Als die Polarforscher auch auf tote Vögel dieser Art stoßen, nehmen sie schließlich Proben und senden diese ins Labor. Leider bestätigt sich ihr Verdacht: Die Möwen sind an der Vogelgrippe gestorben. Genauer gesagt an einer hochansteckenden und besonders tödlichen Variante des Virenstamms H5N1. Sie hat ihren Ursprung wahrscheinlich in asiatischen Geflügelfarmen.

Forschungsstation Bird Island
Forschungsstation Bird Island

© Claudia Mischler - USGS / Public Domain

Wie sich H5N1 verbreitet hat

Mit dem tödlichen H5N1-Virus infizierte Tiere entwickeln hohes Fieber, leiden an Atemnot, fressen kaum noch und wirken teilnahmslos und desorientiert. In fast 100 Prozent der Fälle endet eine Infektion mit dem Tod. Die aktuell grassierende Vogelgrippewelle ist bereits im Oktober 2021 ausgebrochen und hatte schon ein Jahr später über 15 Millionen Tiere das Leben gekostet. In den Niederlanden starben unter anderem hunderte als gefährdet geltende Knuttstrandläufer, in Israel verendeten 10.000 Kraniche und auf der norwegischen Insel Spitzbergen erlagen dem Virus rund zehn Prozent der dortigen Weißwangengänse.

Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Seuche dann von Europa und Asien nach Afrika und Amerika ausgebreitet. Zuletzt gelang es der gefährlichen H5N1-Variante, sich innerhalb von nur drei Monaten ihren Weg entlang der südamerikanischen Küste bis hin zur Südspitze des Kontinents zu bahnen und dabei allein in Peru mindestens eine halbe Million Seevögel und 20.000 Seelöwen zu töten. Letztere erkrankten wahrscheinlich durch Kontakt mit dem Kot der Seevögel oder indem sie tote, infizierte Vögel gefressen hatten.

Da viele antarktische Vogelarten – darunter die Braunen Skuas – den Winter im Süden Südasmerikas verbringen und dann in ihre Heimat zurückkehren, war es für Wissenschaftler nur eine Frage der Zeit, bis die Zugvögel das Virus auch in die Antarktis einschleppen. Und nun ist genau das eingetroffen.

Braune Skuas in der Nähe einer Kaiserpinguinkolonie
Antarktische Raubmöwen wie die Braune Skua fressen auch Pinguinküken und -eier und können daher die Vogelgrippe in Pinguinkolonien einschleppen.

© Samuel Bloch, GettyImages

Es droht „Umweltkatastrophe ersten Grades“

Polarforscher und Artenschutzexperten warnen vor den schweren Folgen, die die Vogelgrippe für die Antarktis haben könnte. Eine „Umweltkatastrophe ersten Grades“ nennt Ralf Sonntag von der Umweltschutzorganisation Pro Wildlife das, was dem entlegenen Kontinent womöglich nun bevorsteht. Denn in der Antarktis liegen die Brutgebiete von bis zu 100 Millionen Seevögeln, darunter zahlreichen Pinguinarten. Sofern der Erreger weitere Inseln und das Festland erreicht, droht ihnen ein Massensterben. Die Bestände einiger seltener Arten könnten sogar komplett ausradiert werden. Dazu gehören verschiedene Albatros-Spezies, von denen es teilweise nur noch wenige Dutzend Individuen in der Antarktis gibt.

Andere Tiere kommen sogar nur hier vor. Dazu zählen fünf Pinguinarten und mehrere Robben, darunter die Weddellrobbe und der Seeleopard. Würde das Virus ihre Bestände erheblich dezimieren, wären direkt komplette Arten bedroht. Dabei haben es die Tiere der Antarktis auch ohne gefährliche Seuche schon schwer genug. Schlagzeilen machte 2022 etwa der klimawandelbedingte Tod unzähliger Pinguin-Küken. Nachdem die Eisschmelze zu früh eingesetzt hatte, waren in vier von fünf wissenschaftlich überwachten Kaiserpinguin-Kolonien alle Küken verendet. „Ohne wasserdichtes Gefieder ertrinken die Jungvögel – und die, die es wieder aus dem Wasser schaffen, erfrieren“, so Sonntag.

Überspringen auf den Menschen denkbar

Doch indem sich die H5N1-Variante immer weiter verbreitet, bedroht sie nicht nur die Ökosysteme der Antarktis, sondern potenziell auch uns. Wie die bisherigen Todesopfer der Virusvariante verdeutlichen, sind längst nicht nur Vögel in Gefahr. Neben Robben befällt das Virus auch andere Säugetierarten, darunter Otter, Waschbären, Füchse, Marder und sogar Hauskatzen. Experten befürchten, dass der Erreger mit der Zeit von Säugetier zu Säugetier springen und sich durch neue Mutationen an diese Tiergruppe anpassen könnte. Schlussendlich könnte er sich dadurch so weiterentwickeln, dass er auch uns Menschen leichter infizieren und bei uns gefährliche Krankheitsverläufe auslösen kann.

Zumindest aktuell gilt H5N1 aber noch als weitestgehend ungefährlich für uns. Wir können uns zwar theoretisch mit dem Virus infizieren, tun dies aber nur äußerst selten. Die Polarforscher des British Antarctic Survey haben trotzdem sicherheitshalber jede Art von Studien eingestellt, für die sie Tiere anfassen oder transportieren müssten. Die Weltgesundheitsorganisation ist außerdem bereits dabei, den neuen H5N1-Stamm im Labor zu kultivieren, um mehr über ihn zu erfahren und im Notfall einen menschengeeigneten Impfstoff gegen ihn zu entwickeln.

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