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75 Jahre LSD: Hippie-Droge und Medizin
Wenn es im Sommer kräftig regnet, kann sich an den Ähren von Roggen und anderem Getreide ein giftiger Schimmelpilz bilden: das sogenannte Mutterkorn. Der Pilz sieht aus wie ein dunkelbraunes Getreidekorn und kann schon in Dosen von wenigen Gramm tödlich sein. Trotzdem war er in der Hippieszene der 1960er Jahre überaus beliebt. Denn aus dem Mutterkorn lässt sich Lysergsäurediethylamid gewinnen – besser bekannt als LSD, eines der am stärksten wirkenden Halluzinogene überhaupt.
Die Wirkung dieser Substanz hatte ein Schweizer Chemiker namens Albert Hofmann im April 1943 eher zufällig entdeckt. Für seine Experimente synthetisierte er damals ein Derivat der in dem Schimmelpilz vorkommenden Lysergsäure und berührte diese Flüssigkeit aus Versehen. Von der Haut musste ein Teil der Substanz später ihren Weg ins Körperinnere gefunden haben. Denn Hofmann fühlte sich plötzlich merkwürdig – so merkwürdig, dass er nach Hause ging und sich ins Bett legte.
Zufällig entdeckt
Der Chemiker beschrieb sein Erlebnis später als wunderbare, beglückende Erfahrung. Drei bis vier Stunden lang nahm er die Welt ganz anders wahr. Alles wirkte wie in einem Traum. Der Verdacht lag nahe: Dieses Erlebnis musste etwas mit dem LSD zu tun haben. Also nahm er die Substanz am nächsten Tag bewusst ein. Doch statt einen zweiten paradiesischen Traum erlebte Hofmann das genaue Gegenteil, eine Horrorerfahrung. Er hatte eine viel zu hohe Dosis eingenommen.
So oder so war damit klar: LSD hatte einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung und das Bewusstsein – im Guten wie im Schlechten. Hofmanns Arbeitgeber, eine schweizerische Pharmafirma, erkannte schnell, dass sich aus diesen Erkenntnissen etwas machen ließ. Das Unternehmen begann mit der industriellen Produktion von LSD. Unter dem Handelsnamen "Delysid" wurde es schon bald in der Psychiatrie eingesetzt.
Karriere als Flower-Power-Droge
Ärzte nutzten das Rauschmittel unter anderem als Stimmungsaufheller bei Schizophrenie- oder Trauma-Patienten. Doch auch in der breiten Bevölkerung machte LSD Karriere: In den frühen 60er Jahren entdeckte die Flower-Power-Bewegung die Substanz für sich. Die Hippies nutzten sie zur Bewusstseinserweiterung und zur Flucht vor der banalen Gesellschaft. Zwanzig Jahre später avancierte LSD zur Partydroge der Technoszene.
Fantastische Traumzustände, spirituelle Erlebnisse, Entgrenzungserfahrungen: Es waren Wirkungen, wie diese, die LSD bei vielen Menschen so beliebt machten. Doch wie lassen sich diese Effekte erklären? Forscher wissen heute, dass die psychoaktive Substanz im Gehirn an die Rezeptoren für den Neurotransmitter Serotonin andockt, einem unserer Glückshormone.
Aktivitätsfeuerwerk im Gehirn
Untersuchungen zeigen zudem: LSD entfaltet nicht nur ein wahres Aktivitätsfeuerwerk in unserem Denkorgan, indem es eine Vielzahl von Hirnregionen aktiviert. Es verschaltet auch ganz verschiedene Bereiche im Gehirn miteinander. Unter LSD-Einfluss arbeiten daher auf einmal Regionen zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun haben.
"Normalerweise besteht unser Gehirn aus voneinander unabhängigen Netzwerken, die für spezielle Funktionen zuständig sind – zum Beispiel für Sehen, Bewegung, Hören oder komplexere Dinge wie Aufmerksamkeit", erklärt Robin Carhart-Harris vom Imperial College in London. "LSD löst diese Trennung der einzelnen Netzwerke jedoch auf."