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Da blüht uns etwas – eingeschleppt und angesiedelt
Invasive Pflanzen, deren Samen zum Beispiel durch den Pflanzenhandel per Schiff von einem Kontinent zum anderen verschleppt werden, breiten sich bei günstigen Umweltbedingungen an neuen Standorten aus – und das teils mit schwerwiegenden Folgen für das dortige Ökosystem. Denn die Neuankömmlinge haben oft keine natürlichen Feinde und vermehren sich daher in ihrer neuen Heimat besonders schnell. Aber auch der Mensch kann die Folgen solcher Bioinvasoren zu spüren bekommen.
Neophyten in Europa
Neophyten - also Pflanzen, die vom Menschen in Gebiete außerhalb ihrer Heimat gebracht wurden - sind keine Seltenheit, im Gegenteil. Denn viele heute bei uns heimische Nutzpflanzen wie die Kartoffel, die Tomate oder auch der Kürbis stammen ursprünglich von anderen Kontinenten. Es gibt aber auch Pflanzen, die sich ungewollt und besonders rasant in neuen Gebieten ausbreiten. Zum Beispiel, wenn sie günstige, klimatische Bedingungen vorfinden und keine Feinde in der neuen Umgebung haben.
Und damit können solche invasiven Pflanzen erhebliche Schäden anrichten: Sie verdrängen häufig einheimische Arten und gelten deshalb als eine globale Bedrohung für die biologische Vielfalt. Nicht selten werden heimische Pflanzen- und Tierarten sogar komplett ausgerottet, weil sie beispielsweise mit der neuen Art um ihre Nahrungsquelle konkurrieren müssen oder weil der Neophyt eine wichtige Nahrungspflanze verdrängt.
Zusätzlich können invasive Arten auch eine Gesundheitsgefahr für den Menschen werden: Die von ihnen verursachten medizinischen Folgekosten schätzt der Naturschutzbund Deutschlands (NABU) EU-weit auf mindestens zwölf Milliarden Euro jährlich. Allein die nordamerikanische Beifuß-Ambrosie, deren Pollen für Allergiker gefährlich sind, sorgt in Deutschland nach Angaben des NABU für Kosten von jährlich bis zu einer Milliarde Euro.
Neuland Europa erobert
Das Beispiel der Beifuß-Ambrosie in Europa verdeutlicht die Problematik: Das aus Nordamerika stammende Kraut besiedelt bereits seit mehreren Jahrzehnten immer rasanter unseren Kontinent. In ihrer Heimat wird die Fortpflanzung der Ambrosie von natürlichen Feinden wie dem Ambrosiakäfer niedrig gehalten. Dieser frisst fast ausschließlich Pflanzen der Art Ambrosia artemisiifolia.
In Europa eingeschleppt, konnte sich die Ambrosie aber schnell verbreiten: Hierzulande kommen ihre Feinde natürlicherweise nicht vor. „Damit ist zum Beispiel die Produktion chemischer Abwehrstoffe nicht mehr notwendig.“, erläutert Oliver Tackenberg von der Goethe-Universität Frankfurt. „Die freiwerdenden Ressourcen können in die Fortpflanzung gesteckt werden und in Form größerer Samen zu schnellerem Wachstum und einer erhöhten Konkurrenzkraft führen“.
Tatsächlich zeigen Untersuchungen: Die europäischen Samen sind nicht nur deutlich größer, sie keimen mit einer Rate von 92 Prozent auch wesentlich häufiger als diejenigen aus amerikanischen Populationen. Zudem ist das Temperaturspektrum, in dem sie keimen können, breiter und die Keimgeschwindigkeit deutlich höher als bei den aus Amerika stammenden Ambrosia-Samen. Auch zeichnen sich die Jungpflanzen durch eine höhere Frosttoleranz aus, was eine Ausbreitung in nördlichere Regionen zusätzlich begünstigen dürfte.
Wer trägt die Schuld?
Genau nachzuverfolgen woher die Pflanzensamen stammen und wie sie letztendlich zu uns gekommen sind, ist praktisch unmöglich. Zugvögel beispielsweise transportieren Samen an ihrem Gefieder oder im Kot von einem Ort zum anderen. Aber erst der Mensch hat angefangen, sich weltweit zu vernetzen. Die Globalisierung und der weltweite Handel mit Schiffen und Flugzeugen begünstigen die Verbreitung von invasiven Pflanzen und Tieren. Problemlos heften sich Pollen an die Außenseite eines Frachtschiffs und überqueren so die Weltmeere.
Und damit noch nicht genug: Über unsere Kleidung können wir invasiven Pflanzenarten zusätzlich unbemerkt bei der Verbreitung helfen. Denn Samen bestimmter Spezies haften nicht nur hervorragend an Hosen und Co. Sie überstehen sogar Waschgänge in der Waschmaschine. Jeder Auslandsurlaub in der Natur birgt also eine mögliche Gefahrenquelle.
Wissenschaftler wie Tackenberg erklären den Grund für die rasante Verbreitung noch auf andere Weise: „Wie viele invasive Arten profitiert die Beifußblättrige Ambrosie vom Klimawandel. Sie hat sich vermutlich aber auch evolutionär verändert.“ Bei den günstigen Bedingungen in Europa steigerten sich die Fortpflanzungsrate und die Widerstandsfähigkeit des Neuankömmlings. Und während das unscheinbare Kraut im Südosten Europas schon fester Bestandteil der Vegetation ist, vermuten Forscher, dass es sich durch die Frosttoleranz auch im Norden ausbreiten wird: Besonders in kühleren Regionen, wo es der Wärme liebenden Art derzeit zu kalt ist, werde die Pollenbelastung massiv steigen.
Gekommen, um zu bleiben
Dass die Ambrosie nun in Europa ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Aber was bedeutet das für uns in Zukunft? Einerseits dringt das Kraut in Äcker ein und verursacht dort Ernteverluste. Schwerwiegender ist andererseits noch, dass es einen hochallergenen Pollen besitzt, der bei Allergikern schon in kleinen Mengen zu massiven gesundheitlichen Problemen wie Asthma führen kann. Bereits heute leidet etwa jeder fünfte Europäer an einer Pollenallergie, Tendenz steigend. Dazu kommt, dass Studien für Deutschland bis 2050 eine viermal höhere Konzentration von Ambrosiapollen prognostizieren.
Und jetzt? Seit 2015 ist eine neue Verordnung der EU in Kraft, deren Ziel es ist, durch rasche Bekämpfung die weitere Ausbreitung problematischer Arten zu stoppen. Eine weitere Verschleppung der Samen soll verhindert werden, indem die Pflanzen vor der Samenreife bekämpft werden. Landwirte, Gärtner und jeder Einzelne sei dazu aufgefordert, Vorkommen der Ambrosia zu melden.
Und es gibt noch eine vielversprechende Maßnahme: Eine Etablierung des Blattkäfers Ophraella communa soll die Rettung sein. Er frisst mit Vorliebe und fast ausschließlich an Pflanzen der Art Ambrosia artemisiifolia. Deshalb wird er in China schon länger gezielt gegen die Beifuß-Ambrosie eingesetzt. 2013 wurde dieser Käfer auch nach Europa eingeschleppt – hier ist er bisher vor allem in Norditalien verbreitet. Und das Ergebnis lässt sich sehen: Da bis zu 100 Prozent aller Beifuß-Ambrosien von den Käfern befallen sind und deren Blüte ausbleibt, konnte ein Abfall der Beifuß-Pollendichte in der Luft festgestellt werden. So können Allergiker womöglich zumindest in südlichen Regionen doch bald wieder durchatmen.